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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Europa und England

Kriege griff, zweihundert niederländische Kauffahrer und auf Se. Eustatius
holländische Waren für mehr als drei Millionen Pfund wegnahm, noch ehe
dort der Kriegszustand bekannt geworden war. Es folgten die Kriege mit der
französischen Republik, die England Gelegenheit boten, dem von Frankreich zu
einem Bündnis gezwungnen Holland zwischen 1793 und 1797 das Kapland,
Ceylon, die Molukken zu nehmen, 1797 die holländische Flotte bei Camper-
down aufs Haupt zu schlagen und zwei Jahre später den Rest holländischer
Seemacht zu zwingen, sich bei Texel zu ergeben. Auch die Niederlande waren
zur See abgethan.

Unterdessen war Frankreich seit Ludwig XIV. allmählich zur Seemacht
erwachsen, ja es war einige Zeit lang, vor dem spanischen Erbfolgekriege,
nächst Spanien die größte Kolonialmacht. Im Verlauf der Koalitionskriege
aber hatte es mit seinen kontinentalen Gegnern so schwere Arbeit, daß es zur
See den Engländern nicht gewachsen war. England trat schon 1709 so sicher
auf, daß es in dem Haager Präliminarfrieden von 1709 von Frankreich ver¬
langte, es solle auf allen Handel mit Indien verzichten. Ludwig verwarf diese
Präliminarien, aber der Friede von 1713 zwang ihn, England einen Teil
von Kanada, Mädler und Neufundland zu überlasten, und sein spanischer
Enkel Philipp verlor Gibraltar, Menorca und mußte schwere kommerzielle Ver¬
pflichtungen übernehmen, deren eine war, daß England jederzeit in dem spa¬
nischen Westindien einen Kauffahrer haben durfte, der zollfrei handelte; das
war sehr wertvoll, weil dadurch der englische Schmuggelhandel erleichtert
wurde. Seitdem hört das Ringen zwischen Frankreich-Spanien auf der einen,
England auf der andern Seite hundert Jahre lang kaum mehr auf, und das
Hauptziel Englands bleibt immer, die feindliche Seemacht und die feindliche
Kolonialmacht zu zerstören. Dafür sind alle Mittel gut. Im vollen Frieden
wurden im Jahre 1735 dreihundert französische Handelsschiffe mit sechstausend
Mann Besatzung und außerdem zwei Kriegsschiffe weggenommen. Dann brach
1747 der Krieg von neuem los, und Frankreich verlor beim Kap Finisterre
seine Kriegsflotte und infolge davon anch seine Handelsflotte. Kaum hatte es
sich von dem Schlage erholt, so schloß England 1755 einen Subsidienv ertrag
mit Rußland, dann 1756 mit Preußen, um Frankreichs Weltstellung weiter
zu bekämpfen. Denn der siebenjährige Krieg war von feiten Englands im
Vertrag von Westminster als ein Verwüstungskrieg gegen die französische See¬
macht gemeint, den es auf Seite von Preußen so lange führte, bis dieser
Zweck erreicht war, worauf es Friedrich den Großen im Stiche ließ. Die
beiden französischen Flotten von Brest und im Mittelmeer wurden 1759 ver¬
nichtet und die letzten Schiffe in den Häfen versteigert. Der unbeugsame Pitt
hatte sich, als er 1757 zur Leitung gelangte, durch alle Niederlagen in Europa
und Kanada nicht irre machen lassen, und die preußischen Siege waren es,
die England halfen, gegen Frankreich seinen Willen durchzusetzen, wie vorher
Holland ihm zur Entwaffnung Spaniens geholfen hatte. Als Pitt 1761 ge¬
stürzt war, sprang sein Nachfolger Lord Bude sofort auf die gegnerische Seite


Europa und England

Kriege griff, zweihundert niederländische Kauffahrer und auf Se. Eustatius
holländische Waren für mehr als drei Millionen Pfund wegnahm, noch ehe
dort der Kriegszustand bekannt geworden war. Es folgten die Kriege mit der
französischen Republik, die England Gelegenheit boten, dem von Frankreich zu
einem Bündnis gezwungnen Holland zwischen 1793 und 1797 das Kapland,
Ceylon, die Molukken zu nehmen, 1797 die holländische Flotte bei Camper-
down aufs Haupt zu schlagen und zwei Jahre später den Rest holländischer
Seemacht zu zwingen, sich bei Texel zu ergeben. Auch die Niederlande waren
zur See abgethan.

Unterdessen war Frankreich seit Ludwig XIV. allmählich zur Seemacht
erwachsen, ja es war einige Zeit lang, vor dem spanischen Erbfolgekriege,
nächst Spanien die größte Kolonialmacht. Im Verlauf der Koalitionskriege
aber hatte es mit seinen kontinentalen Gegnern so schwere Arbeit, daß es zur
See den Engländern nicht gewachsen war. England trat schon 1709 so sicher
auf, daß es in dem Haager Präliminarfrieden von 1709 von Frankreich ver¬
langte, es solle auf allen Handel mit Indien verzichten. Ludwig verwarf diese
Präliminarien, aber der Friede von 1713 zwang ihn, England einen Teil
von Kanada, Mädler und Neufundland zu überlasten, und sein spanischer
Enkel Philipp verlor Gibraltar, Menorca und mußte schwere kommerzielle Ver¬
pflichtungen übernehmen, deren eine war, daß England jederzeit in dem spa¬
nischen Westindien einen Kauffahrer haben durfte, der zollfrei handelte; das
war sehr wertvoll, weil dadurch der englische Schmuggelhandel erleichtert
wurde. Seitdem hört das Ringen zwischen Frankreich-Spanien auf der einen,
England auf der andern Seite hundert Jahre lang kaum mehr auf, und das
Hauptziel Englands bleibt immer, die feindliche Seemacht und die feindliche
Kolonialmacht zu zerstören. Dafür sind alle Mittel gut. Im vollen Frieden
wurden im Jahre 1735 dreihundert französische Handelsschiffe mit sechstausend
Mann Besatzung und außerdem zwei Kriegsschiffe weggenommen. Dann brach
1747 der Krieg von neuem los, und Frankreich verlor beim Kap Finisterre
seine Kriegsflotte und infolge davon anch seine Handelsflotte. Kaum hatte es
sich von dem Schlage erholt, so schloß England 1755 einen Subsidienv ertrag
mit Rußland, dann 1756 mit Preußen, um Frankreichs Weltstellung weiter
zu bekämpfen. Denn der siebenjährige Krieg war von feiten Englands im
Vertrag von Westminster als ein Verwüstungskrieg gegen die französische See¬
macht gemeint, den es auf Seite von Preußen so lange führte, bis dieser
Zweck erreicht war, worauf es Friedrich den Großen im Stiche ließ. Die
beiden französischen Flotten von Brest und im Mittelmeer wurden 1759 ver¬
nichtet und die letzten Schiffe in den Häfen versteigert. Der unbeugsame Pitt
hatte sich, als er 1757 zur Leitung gelangte, durch alle Niederlagen in Europa
und Kanada nicht irre machen lassen, und die preußischen Siege waren es,
die England halfen, gegen Frankreich seinen Willen durchzusetzen, wie vorher
Holland ihm zur Entwaffnung Spaniens geholfen hatte. Als Pitt 1761 ge¬
stürzt war, sprang sein Nachfolger Lord Bude sofort auf die gegnerische Seite


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[0326] Europa und England Kriege griff, zweihundert niederländische Kauffahrer und auf Se. Eustatius holländische Waren für mehr als drei Millionen Pfund wegnahm, noch ehe dort der Kriegszustand bekannt geworden war. Es folgten die Kriege mit der französischen Republik, die England Gelegenheit boten, dem von Frankreich zu einem Bündnis gezwungnen Holland zwischen 1793 und 1797 das Kapland, Ceylon, die Molukken zu nehmen, 1797 die holländische Flotte bei Camper- down aufs Haupt zu schlagen und zwei Jahre später den Rest holländischer Seemacht zu zwingen, sich bei Texel zu ergeben. Auch die Niederlande waren zur See abgethan. Unterdessen war Frankreich seit Ludwig XIV. allmählich zur Seemacht erwachsen, ja es war einige Zeit lang, vor dem spanischen Erbfolgekriege, nächst Spanien die größte Kolonialmacht. Im Verlauf der Koalitionskriege aber hatte es mit seinen kontinentalen Gegnern so schwere Arbeit, daß es zur See den Engländern nicht gewachsen war. England trat schon 1709 so sicher auf, daß es in dem Haager Präliminarfrieden von 1709 von Frankreich ver¬ langte, es solle auf allen Handel mit Indien verzichten. Ludwig verwarf diese Präliminarien, aber der Friede von 1713 zwang ihn, England einen Teil von Kanada, Mädler und Neufundland zu überlasten, und sein spanischer Enkel Philipp verlor Gibraltar, Menorca und mußte schwere kommerzielle Ver¬ pflichtungen übernehmen, deren eine war, daß England jederzeit in dem spa¬ nischen Westindien einen Kauffahrer haben durfte, der zollfrei handelte; das war sehr wertvoll, weil dadurch der englische Schmuggelhandel erleichtert wurde. Seitdem hört das Ringen zwischen Frankreich-Spanien auf der einen, England auf der andern Seite hundert Jahre lang kaum mehr auf, und das Hauptziel Englands bleibt immer, die feindliche Seemacht und die feindliche Kolonialmacht zu zerstören. Dafür sind alle Mittel gut. Im vollen Frieden wurden im Jahre 1735 dreihundert französische Handelsschiffe mit sechstausend Mann Besatzung und außerdem zwei Kriegsschiffe weggenommen. Dann brach 1747 der Krieg von neuem los, und Frankreich verlor beim Kap Finisterre seine Kriegsflotte und infolge davon anch seine Handelsflotte. Kaum hatte es sich von dem Schlage erholt, so schloß England 1755 einen Subsidienv ertrag mit Rußland, dann 1756 mit Preußen, um Frankreichs Weltstellung weiter zu bekämpfen. Denn der siebenjährige Krieg war von feiten Englands im Vertrag von Westminster als ein Verwüstungskrieg gegen die französische See¬ macht gemeint, den es auf Seite von Preußen so lange führte, bis dieser Zweck erreicht war, worauf es Friedrich den Großen im Stiche ließ. Die beiden französischen Flotten von Brest und im Mittelmeer wurden 1759 ver¬ nichtet und die letzten Schiffe in den Häfen versteigert. Der unbeugsame Pitt hatte sich, als er 1757 zur Leitung gelangte, durch alle Niederlagen in Europa und Kanada nicht irre machen lassen, und die preußischen Siege waren es, die England halfen, gegen Frankreich seinen Willen durchzusetzen, wie vorher Holland ihm zur Entwaffnung Spaniens geholfen hatte. Als Pitt 1761 ge¬ stürzt war, sprang sein Nachfolger Lord Bude sofort auf die gegnerische Seite

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/326>, abgerufen am 03.07.2024.