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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

licher und 50 bis 70 Metern nordsüdlicher Allsdehnung; die schmale stumpf¬
winklige Front ist much Westen gekehrt, die einzige, die überhaupt augegriffen
werden konnte, denn an den beiden Langseiten fällt das Terrain rasch ab.
Im vordersten westlichen Teile folgen zwei breite und tiefe Gräben, zwischen
senkrechten 5 bis 6 Meter hohen Felswänden aufeinander, untereinander und
mit den rückwärts liegenden Teilen der Festung durch unterirdische Gänge ver¬
bunden, die es den Verteidigern erlaubten, ungesehen und gedeckt Verstärkungen
heranzubringen. Über den nördlichen Teil des zweiten (östlichen) Grabens
führte eine Zugbrücke, deren hohe Pfeiler uoch erhalten sind.

Hatte der stürmende Feind schon alle diese Hindernisse bewältigt, so sah
er erst die westliche Hauptmauer mit fünf starken Türmen vor sich, und hinter
ihr folgten noch zwei große, stark ummauerte Höfe, an der Südseite des west¬
lichen aber ein kleiner und tiefer liegender, also von dessen Mauer aus völlig
zu beherrschender, worin jede etwa eindringende feindliche Kolonne rettungslos
verloren war. Der einzige regelmäßige Zugang war im Osten von der Stadt her.
Durch dieses ganze Gewirr von Gräben, Tunneln, Höfen und Mauern führte
uns Salvatore mit einer Sachkenntnis und Umsicht, als ob er der Stabschef
oder Intendant des altgriechischen Festungskommandanten gewesen wäre.

Von der Höhe der Hauvtmaner aus bot sich uns eine unvergleichliche
Rundsicht: ostwärts über die sich leicht senkende kahle, steinbesäte Hochfläche
der Epipolä und die langen Linien der grauweißen Mauertrümmer längs
ihres Süd- und Nordrandes, bis zur Achradina hin, nach Norden den Abfall
hinunter über dürre Rasenflächen und Reihen von Ölbäumen hinweg nach der
weiten Ebne bis an den schönen Halbkreis der Bucht von Megam, auf die
Halbinsel Thapsos (Maguisi) und das weißschimmerude Augusta, auf den fernen
und doch so .nächtigen, alles beherrschenden Ätna darüber und auf die blaue
See. Nach Süden und Südosten zu erschien das breite, fruchtbare Anaposthal
und das herrliche Rund des Großen Hafens, das Vorgebirge Plemmyrwn und
die langgedehnte Jnselstadt gegenüber, dahinter abermals die große einfache
Linie des offnen Meeres.

Und nun stiegen sie doch auch hier auf. die "abgeschieden Gespenster
der Vergangenheit/ von denen Goethe nichts wissen wollte. Nicht im Schmuck
des Turbans und des Kettenpanzers, unter der Halbmondfahne und dem
Kreuze wie in Palermo, soudern helmbuschumflattert im Bronzeharmsch und
Schild, mit langem Stoßspeer und kurzem Schwert zogen sie einher und kamen
auf vielrudrigeu Schiffen über das blaue Meer.

Dort unten auf Thapsos waren im Frühjahr 414 die Athener gelandet,
diesen nördlichen Abfall waren sie heraufgestürmt auf d:e Epipola. da hatten
sie geschanzt und ihre Einschlicßungsmaueru gegen die Achradina und nach
dem großen Hafen hinunter gebaut, Mauern, nicht Schanzen, denn Erde
fanden sie hier oben nicht, wohl aber Steine im Überfluß. Hinuntergeworfen
hatten sie sich dann an der südlichen Seite des Anapos gelagert, später auf den
gelben Felsen des Plemmyrwn, und endlich ans der weiten Fläche des Großen
Hafens die Seeschlachten geschlagen, die ihre schöne Flotte vernichteten, ihnen


Auf Sizilien

licher und 50 bis 70 Metern nordsüdlicher Allsdehnung; die schmale stumpf¬
winklige Front ist much Westen gekehrt, die einzige, die überhaupt augegriffen
werden konnte, denn an den beiden Langseiten fällt das Terrain rasch ab.
Im vordersten westlichen Teile folgen zwei breite und tiefe Gräben, zwischen
senkrechten 5 bis 6 Meter hohen Felswänden aufeinander, untereinander und
mit den rückwärts liegenden Teilen der Festung durch unterirdische Gänge ver¬
bunden, die es den Verteidigern erlaubten, ungesehen und gedeckt Verstärkungen
heranzubringen. Über den nördlichen Teil des zweiten (östlichen) Grabens
führte eine Zugbrücke, deren hohe Pfeiler uoch erhalten sind.

Hatte der stürmende Feind schon alle diese Hindernisse bewältigt, so sah
er erst die westliche Hauptmauer mit fünf starken Türmen vor sich, und hinter
ihr folgten noch zwei große, stark ummauerte Höfe, an der Südseite des west¬
lichen aber ein kleiner und tiefer liegender, also von dessen Mauer aus völlig
zu beherrschender, worin jede etwa eindringende feindliche Kolonne rettungslos
verloren war. Der einzige regelmäßige Zugang war im Osten von der Stadt her.
Durch dieses ganze Gewirr von Gräben, Tunneln, Höfen und Mauern führte
uns Salvatore mit einer Sachkenntnis und Umsicht, als ob er der Stabschef
oder Intendant des altgriechischen Festungskommandanten gewesen wäre.

Von der Höhe der Hauvtmaner aus bot sich uns eine unvergleichliche
Rundsicht: ostwärts über die sich leicht senkende kahle, steinbesäte Hochfläche
der Epipolä und die langen Linien der grauweißen Mauertrümmer längs
ihres Süd- und Nordrandes, bis zur Achradina hin, nach Norden den Abfall
hinunter über dürre Rasenflächen und Reihen von Ölbäumen hinweg nach der
weiten Ebne bis an den schönen Halbkreis der Bucht von Megam, auf die
Halbinsel Thapsos (Maguisi) und das weißschimmerude Augusta, auf den fernen
und doch so .nächtigen, alles beherrschenden Ätna darüber und auf die blaue
See. Nach Süden und Südosten zu erschien das breite, fruchtbare Anaposthal
und das herrliche Rund des Großen Hafens, das Vorgebirge Plemmyrwn und
die langgedehnte Jnselstadt gegenüber, dahinter abermals die große einfache
Linie des offnen Meeres.

Und nun stiegen sie doch auch hier auf. die „abgeschieden Gespenster
der Vergangenheit/ von denen Goethe nichts wissen wollte. Nicht im Schmuck
des Turbans und des Kettenpanzers, unter der Halbmondfahne und dem
Kreuze wie in Palermo, soudern helmbuschumflattert im Bronzeharmsch und
Schild, mit langem Stoßspeer und kurzem Schwert zogen sie einher und kamen
auf vielrudrigeu Schiffen über das blaue Meer.

Dort unten auf Thapsos waren im Frühjahr 414 die Athener gelandet,
diesen nördlichen Abfall waren sie heraufgestürmt auf d:e Epipola. da hatten
sie geschanzt und ihre Einschlicßungsmaueru gegen die Achradina und nach
dem großen Hafen hinunter gebaut, Mauern, nicht Schanzen, denn Erde
fanden sie hier oben nicht, wohl aber Steine im Überfluß. Hinuntergeworfen
hatten sie sich dann an der südlichen Seite des Anapos gelagert, später auf den
gelben Felsen des Plemmyrwn, und endlich ans der weiten Fläche des Großen
Hafens die Seeschlachten geschlagen, die ihre schöne Flotte vernichteten, ihnen


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[0307] Auf Sizilien licher und 50 bis 70 Metern nordsüdlicher Allsdehnung; die schmale stumpf¬ winklige Front ist much Westen gekehrt, die einzige, die überhaupt augegriffen werden konnte, denn an den beiden Langseiten fällt das Terrain rasch ab. Im vordersten westlichen Teile folgen zwei breite und tiefe Gräben, zwischen senkrechten 5 bis 6 Meter hohen Felswänden aufeinander, untereinander und mit den rückwärts liegenden Teilen der Festung durch unterirdische Gänge ver¬ bunden, die es den Verteidigern erlaubten, ungesehen und gedeckt Verstärkungen heranzubringen. Über den nördlichen Teil des zweiten (östlichen) Grabens führte eine Zugbrücke, deren hohe Pfeiler uoch erhalten sind. Hatte der stürmende Feind schon alle diese Hindernisse bewältigt, so sah er erst die westliche Hauptmauer mit fünf starken Türmen vor sich, und hinter ihr folgten noch zwei große, stark ummauerte Höfe, an der Südseite des west¬ lichen aber ein kleiner und tiefer liegender, also von dessen Mauer aus völlig zu beherrschender, worin jede etwa eindringende feindliche Kolonne rettungslos verloren war. Der einzige regelmäßige Zugang war im Osten von der Stadt her. Durch dieses ganze Gewirr von Gräben, Tunneln, Höfen und Mauern führte uns Salvatore mit einer Sachkenntnis und Umsicht, als ob er der Stabschef oder Intendant des altgriechischen Festungskommandanten gewesen wäre. Von der Höhe der Hauvtmaner aus bot sich uns eine unvergleichliche Rundsicht: ostwärts über die sich leicht senkende kahle, steinbesäte Hochfläche der Epipolä und die langen Linien der grauweißen Mauertrümmer längs ihres Süd- und Nordrandes, bis zur Achradina hin, nach Norden den Abfall hinunter über dürre Rasenflächen und Reihen von Ölbäumen hinweg nach der weiten Ebne bis an den schönen Halbkreis der Bucht von Megam, auf die Halbinsel Thapsos (Maguisi) und das weißschimmerude Augusta, auf den fernen und doch so .nächtigen, alles beherrschenden Ätna darüber und auf die blaue See. Nach Süden und Südosten zu erschien das breite, fruchtbare Anaposthal und das herrliche Rund des Großen Hafens, das Vorgebirge Plemmyrwn und die langgedehnte Jnselstadt gegenüber, dahinter abermals die große einfache Linie des offnen Meeres. Und nun stiegen sie doch auch hier auf. die „abgeschieden Gespenster der Vergangenheit/ von denen Goethe nichts wissen wollte. Nicht im Schmuck des Turbans und des Kettenpanzers, unter der Halbmondfahne und dem Kreuze wie in Palermo, soudern helmbuschumflattert im Bronzeharmsch und Schild, mit langem Stoßspeer und kurzem Schwert zogen sie einher und kamen auf vielrudrigeu Schiffen über das blaue Meer. Dort unten auf Thapsos waren im Frühjahr 414 die Athener gelandet, diesen nördlichen Abfall waren sie heraufgestürmt auf d:e Epipola. da hatten sie geschanzt und ihre Einschlicßungsmaueru gegen die Achradina und nach dem großen Hafen hinunter gebaut, Mauern, nicht Schanzen, denn Erde fanden sie hier oben nicht, wohl aber Steine im Überfluß. Hinuntergeworfen hatten sie sich dann an der südlichen Seite des Anapos gelagert, später auf den gelben Felsen des Plemmyrwn, und endlich ans der weiten Fläche des Großen Hafens die Seeschlachten geschlagen, die ihre schöne Flotte vernichteten, ihnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/307>, abgerufen am 03.07.2024.