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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Zu einer einigermaßen genügenden Besichtigung dieser weit auseinander
liegenden Trümmer sind mehrere Tage erforderlich und gelegentliche Wagen-
fnhrten kaum zu umgehn; längere Fußwandrnngen kosten unnütz Zeit und siud
auf den schattenlosen, im Sonnenlicht blendend weißen Straßen sehr anstrengend.
Auch ein Führer ist schwer entbehrlich, denn es ist nicht ganz leicht, sich zwischen
den hohen Gartenmauern und den vielverschlungnen Wegen auf den Hoch¬
flächen nur nach dem übrigens recht guten Plane bei Baedeker zurechtzufinden.
Im Vereine mit einem Landsmann aus Dresden, einem Ingenieur, der mit
nur zugleich in der Villa Politi eingetroffen war. wurde der erste Tag für
die Besichtigung der alten Stadt und der modernen Jnselstadt bestimmt. Als
Führer stellte uns Signora Politi, eine geborne Königsbergerin, die seit acht¬
zehn Jahren in Syrakus angesiedelt ist, denselben zwölfjährigen Knaben, der
mich nuf dem Bahnhöfe in Empfang genommen hatte. Der Junge verdient
einige Worte, denn er hat uns vortreffliche Dienste geleistet; er war zugleich
ein guter Typus dieser sehr begabten und tüchtigen Bevölkerung und kein
übles Zeugnis für die italienische' Volksschule. Der Sohn eines kinderreichen
Fuhrwerksbesitzers, klein, zierlich, geschmeidig, blond, mit einem Stich ins
Elegante, soweit es sein Vermögen erlaubte, freundlich, überaus gefüllig, dabei
schou ein umsichtiger Geschäftsmann, zeigte er eine für seine Alter ganz er¬
staunliche Kenntnis der Altertümer und der Gegend, die er teils aus Büchern,
teils als Begleiter von Führern erworben hatte, und ein hohes Maß von
Intelligenz.

Als ich am ersten Morgen vor die Thür trat, fragte er mich sofort: "Wie
geht es Ihnen heute?" "Warum fragst du so?" entgegnete ich. "Ja, Sie
waren gestern nicht recht wohl, denn Sie kamen am Abend nicht mehr heilender."
nämlich um noch irgend einen Gang zu machen. Er hatte und dieser klugen
Beobachtung beiläufig recht. ..Da ist noch das Grab des Archimedes. bemerkte
er später, aber dahin brauchen Sie nicht zu gehn, denn ich glaube nicht, das;
es echt ist." "Warum glaubst du das?" "Auf dem echten Grabe, bemerkte
der Junge weise, war eine Kugel, die in einem Cylinder eingeschrieben ist,
angebracht, die fehlt dort, also ist es nicht das echte Grab." ,.Du hast ganz
recht, bestätigte ich, euer großer Redner Cicero, der das Grab wieder auf¬
fand, hat es so beschrieben, wie du sagst." Darüber war er sehr glücklich.
Als ich eine Schlipsnadel mit einem männlichen Porträt an ihm bemerkte
und ihm sagte: "Das ist wohl euer Deputierter?" kam sofort die Antwort:
"O mein, unsre beiden Deputierten heißen so und so." Ob wohl em Leip¬
ziger Junge seines Alters und Standes das wissen würde? Er hatte von
einem Nordamerikaner etwas Englisch gelernt und fragte gelegentlich nach der
deutschen Bezeichnung für den oder jenen Gegenstand, wobei er dann sofort
die Verwandtschaft mit dem entsprechenden englischen Worte herausfand. ^in
Wrigen sprach er nnr Italienisch, aber ein gutes, deutliches Italienisch; glaubte
er. nicht ganz verstanden worden zu sein, so wiederholte er nicht nur den Satz.
Widern umschrieb auch wohl erklärend einen Ausdruck, und selten verfehlte er,


Grenzboten II 1900

Zu einer einigermaßen genügenden Besichtigung dieser weit auseinander
liegenden Trümmer sind mehrere Tage erforderlich und gelegentliche Wagen-
fnhrten kaum zu umgehn; längere Fußwandrnngen kosten unnütz Zeit und siud
auf den schattenlosen, im Sonnenlicht blendend weißen Straßen sehr anstrengend.
Auch ein Führer ist schwer entbehrlich, denn es ist nicht ganz leicht, sich zwischen
den hohen Gartenmauern und den vielverschlungnen Wegen auf den Hoch¬
flächen nur nach dem übrigens recht guten Plane bei Baedeker zurechtzufinden.
Im Vereine mit einem Landsmann aus Dresden, einem Ingenieur, der mit
nur zugleich in der Villa Politi eingetroffen war. wurde der erste Tag für
die Besichtigung der alten Stadt und der modernen Jnselstadt bestimmt. Als
Führer stellte uns Signora Politi, eine geborne Königsbergerin, die seit acht¬
zehn Jahren in Syrakus angesiedelt ist, denselben zwölfjährigen Knaben, der
mich nuf dem Bahnhöfe in Empfang genommen hatte. Der Junge verdient
einige Worte, denn er hat uns vortreffliche Dienste geleistet; er war zugleich
ein guter Typus dieser sehr begabten und tüchtigen Bevölkerung und kein
übles Zeugnis für die italienische' Volksschule. Der Sohn eines kinderreichen
Fuhrwerksbesitzers, klein, zierlich, geschmeidig, blond, mit einem Stich ins
Elegante, soweit es sein Vermögen erlaubte, freundlich, überaus gefüllig, dabei
schou ein umsichtiger Geschäftsmann, zeigte er eine für seine Alter ganz er¬
staunliche Kenntnis der Altertümer und der Gegend, die er teils aus Büchern,
teils als Begleiter von Führern erworben hatte, und ein hohes Maß von
Intelligenz.

Als ich am ersten Morgen vor die Thür trat, fragte er mich sofort: „Wie
geht es Ihnen heute?" „Warum fragst du so?" entgegnete ich. „Ja, Sie
waren gestern nicht recht wohl, denn Sie kamen am Abend nicht mehr heilender."
nämlich um noch irgend einen Gang zu machen. Er hatte und dieser klugen
Beobachtung beiläufig recht. ..Da ist noch das Grab des Archimedes. bemerkte
er später, aber dahin brauchen Sie nicht zu gehn, denn ich glaube nicht, das;
es echt ist." „Warum glaubst du das?" „Auf dem echten Grabe, bemerkte
der Junge weise, war eine Kugel, die in einem Cylinder eingeschrieben ist,
angebracht, die fehlt dort, also ist es nicht das echte Grab." ,.Du hast ganz
recht, bestätigte ich, euer großer Redner Cicero, der das Grab wieder auf¬
fand, hat es so beschrieben, wie du sagst." Darüber war er sehr glücklich.
Als ich eine Schlipsnadel mit einem männlichen Porträt an ihm bemerkte
und ihm sagte: „Das ist wohl euer Deputierter?" kam sofort die Antwort:
"O mein, unsre beiden Deputierten heißen so und so." Ob wohl em Leip¬
ziger Junge seines Alters und Standes das wissen würde? Er hatte von
einem Nordamerikaner etwas Englisch gelernt und fragte gelegentlich nach der
deutschen Bezeichnung für den oder jenen Gegenstand, wobei er dann sofort
die Verwandtschaft mit dem entsprechenden englischen Worte herausfand. ^in
Wrigen sprach er nnr Italienisch, aber ein gutes, deutliches Italienisch; glaubte
er. nicht ganz verstanden worden zu sein, so wiederholte er nicht nur den Satz.
Widern umschrieb auch wohl erklärend einen Ausdruck, und selten verfehlte er,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/305>, abgerufen am 22.07.2024.