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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

kaiserliche Rom, dessen Aurelicmische Mauer nur 19 Kilometer lang ist. Hinter
diesen Festungswerken hat es zweimal, 396 und 311 bis 309 v. Chr., kar¬
thagischen Belagerungen mit Glück widerstanden; erst den Römern gelang
es nach langer Einschließung 212 durch Überrumplung und Verrat zunächst
die Epipolü, dann die Ortygia zu nehmen; der Euryalos und die Achradina
fielen dann durch Übergabe. Seitdem ging es mit Syrakus rasch bergab. Zwar
machten es die Römer zur Hauptstadt ihrer Provinz Sizilien, als die es noch
zu Ciceros Zeit seinen alten Umfang mit Ausnahme der Epipolä bewahrte,
und Augustus verpflanzte auf dieses zur römischen Domäne laZör xublious) ge¬
schlagne Gebiet im Jahre 21 v. Chr. eine römische Kolonie. Später wurde die
Stadt Sitz eines Bischofs, und selbst Kaiser Constans II. hat noch 663 bis 668
n. Chr. hier residiert, aber die Bevölkerung schwand zusammen und begann
sich von den Hochflüchen, überhaupt vom Festlande auf die Insel zurückzuziehn.
Darauf deutet schon die Entstehung ausgedehnter Katakomben in den ersten
christlichen Jahrhunderten auf dem Südabfalle der Achradina, die man doch nicht
innerhalb der bewohnten Stadt angelegt haben kann, und die Stellung des
arabischen Belagcrungsheers 827 auf demselben Südabhange bei den Lakonien,
877 bis 878 bei der alten Kathedrale auf dem Festlande, vermutlich der jetzigen
Unterkirche von San Giovanni ganz in der Nähe.

Mit der Erstürmung der Ortygia durch die Araber am 21. Mai 878
verfiel auch dieser älteste Stadtteil einer gründlichen Zerstörung und Verödung,
und die Erhebung Palermos zur Hauptstadt Siziliens brachte Syrakus auch
um seinen alten Rang. Durch die natürliche Gunst der Lage kam es immer
wieder empor, es wurde 1039 sogar noch einmal vorübergehend von Georg
Mcmicckes für das byzantinische Reich erobert und fiel endlich 1085 den Nor¬
mannen zu, aber die Besiedlung blieb auf die Ortygia und ihre nächste Um¬
gebung beschränkt, die früher bewohnten Hochflächen wurden in ländliche Grund¬
stücke umgewandelt oder blieben wüst. "Die alte Hoheit von Syrakus stirbt
in Armut und Einsamkeit dahin," sagt der normännische Historiker Hugo
Falcandus in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts. Erst in der
neusten Zeit beginnt im Anschluß an den Bahnhof sich eine neue festländische
Vorstadt zu bilden.

Aus alledem ergiebt sich mit Notwendigkeit der jetzige Zustand. Da die
Ortygia seit 2600 Jahren immer bewohnt geblieben, also nach den wechselnden
Bedürfnissen immer wieder umgestaltet worden ist, so konnten sich dort nur
geringe bauliche Neste des Altertums erhalten. Da die Hochflüchen früh ver¬
ödeten, so wurden die dort stehenden Gebunde vermutlich als bequeme Stein¬
brüche benützt und verschwanden fast gänzlich. Am zahlreichsten sind die antiken
Denkmäler in dem Raume zwischen den Hochflächen und der Insel, da diese
Bauten weit länger im Gebrauch blieben, und das Bedürfnis nach handlichem
Baumaterial bei dem Sinken der Stadt im Mittelalter wohl gering war.
Dieses selbst hat in Syrakus nur wenig Spur hinterlassen; was heute Syrakus
heißt, stammt im wesentlichen aus den letzten Jahrhunderten oder ist antik.


Auf Sizilien

kaiserliche Rom, dessen Aurelicmische Mauer nur 19 Kilometer lang ist. Hinter
diesen Festungswerken hat es zweimal, 396 und 311 bis 309 v. Chr., kar¬
thagischen Belagerungen mit Glück widerstanden; erst den Römern gelang
es nach langer Einschließung 212 durch Überrumplung und Verrat zunächst
die Epipolü, dann die Ortygia zu nehmen; der Euryalos und die Achradina
fielen dann durch Übergabe. Seitdem ging es mit Syrakus rasch bergab. Zwar
machten es die Römer zur Hauptstadt ihrer Provinz Sizilien, als die es noch
zu Ciceros Zeit seinen alten Umfang mit Ausnahme der Epipolä bewahrte,
und Augustus verpflanzte auf dieses zur römischen Domäne laZör xublious) ge¬
schlagne Gebiet im Jahre 21 v. Chr. eine römische Kolonie. Später wurde die
Stadt Sitz eines Bischofs, und selbst Kaiser Constans II. hat noch 663 bis 668
n. Chr. hier residiert, aber die Bevölkerung schwand zusammen und begann
sich von den Hochflüchen, überhaupt vom Festlande auf die Insel zurückzuziehn.
Darauf deutet schon die Entstehung ausgedehnter Katakomben in den ersten
christlichen Jahrhunderten auf dem Südabfalle der Achradina, die man doch nicht
innerhalb der bewohnten Stadt angelegt haben kann, und die Stellung des
arabischen Belagcrungsheers 827 auf demselben Südabhange bei den Lakonien,
877 bis 878 bei der alten Kathedrale auf dem Festlande, vermutlich der jetzigen
Unterkirche von San Giovanni ganz in der Nähe.

Mit der Erstürmung der Ortygia durch die Araber am 21. Mai 878
verfiel auch dieser älteste Stadtteil einer gründlichen Zerstörung und Verödung,
und die Erhebung Palermos zur Hauptstadt Siziliens brachte Syrakus auch
um seinen alten Rang. Durch die natürliche Gunst der Lage kam es immer
wieder empor, es wurde 1039 sogar noch einmal vorübergehend von Georg
Mcmicckes für das byzantinische Reich erobert und fiel endlich 1085 den Nor¬
mannen zu, aber die Besiedlung blieb auf die Ortygia und ihre nächste Um¬
gebung beschränkt, die früher bewohnten Hochflächen wurden in ländliche Grund¬
stücke umgewandelt oder blieben wüst. „Die alte Hoheit von Syrakus stirbt
in Armut und Einsamkeit dahin," sagt der normännische Historiker Hugo
Falcandus in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts. Erst in der
neusten Zeit beginnt im Anschluß an den Bahnhof sich eine neue festländische
Vorstadt zu bilden.

Aus alledem ergiebt sich mit Notwendigkeit der jetzige Zustand. Da die
Ortygia seit 2600 Jahren immer bewohnt geblieben, also nach den wechselnden
Bedürfnissen immer wieder umgestaltet worden ist, so konnten sich dort nur
geringe bauliche Neste des Altertums erhalten. Da die Hochflüchen früh ver¬
ödeten, so wurden die dort stehenden Gebunde vermutlich als bequeme Stein¬
brüche benützt und verschwanden fast gänzlich. Am zahlreichsten sind die antiken
Denkmäler in dem Raume zwischen den Hochflächen und der Insel, da diese
Bauten weit länger im Gebrauch blieben, und das Bedürfnis nach handlichem
Baumaterial bei dem Sinken der Stadt im Mittelalter wohl gering war.
Dieses selbst hat in Syrakus nur wenig Spur hinterlassen; was heute Syrakus
heißt, stammt im wesentlichen aus den letzten Jahrhunderten oder ist antik.


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[0304] Auf Sizilien kaiserliche Rom, dessen Aurelicmische Mauer nur 19 Kilometer lang ist. Hinter diesen Festungswerken hat es zweimal, 396 und 311 bis 309 v. Chr., kar¬ thagischen Belagerungen mit Glück widerstanden; erst den Römern gelang es nach langer Einschließung 212 durch Überrumplung und Verrat zunächst die Epipolü, dann die Ortygia zu nehmen; der Euryalos und die Achradina fielen dann durch Übergabe. Seitdem ging es mit Syrakus rasch bergab. Zwar machten es die Römer zur Hauptstadt ihrer Provinz Sizilien, als die es noch zu Ciceros Zeit seinen alten Umfang mit Ausnahme der Epipolä bewahrte, und Augustus verpflanzte auf dieses zur römischen Domäne laZör xublious) ge¬ schlagne Gebiet im Jahre 21 v. Chr. eine römische Kolonie. Später wurde die Stadt Sitz eines Bischofs, und selbst Kaiser Constans II. hat noch 663 bis 668 n. Chr. hier residiert, aber die Bevölkerung schwand zusammen und begann sich von den Hochflüchen, überhaupt vom Festlande auf die Insel zurückzuziehn. Darauf deutet schon die Entstehung ausgedehnter Katakomben in den ersten christlichen Jahrhunderten auf dem Südabfalle der Achradina, die man doch nicht innerhalb der bewohnten Stadt angelegt haben kann, und die Stellung des arabischen Belagcrungsheers 827 auf demselben Südabhange bei den Lakonien, 877 bis 878 bei der alten Kathedrale auf dem Festlande, vermutlich der jetzigen Unterkirche von San Giovanni ganz in der Nähe. Mit der Erstürmung der Ortygia durch die Araber am 21. Mai 878 verfiel auch dieser älteste Stadtteil einer gründlichen Zerstörung und Verödung, und die Erhebung Palermos zur Hauptstadt Siziliens brachte Syrakus auch um seinen alten Rang. Durch die natürliche Gunst der Lage kam es immer wieder empor, es wurde 1039 sogar noch einmal vorübergehend von Georg Mcmicckes für das byzantinische Reich erobert und fiel endlich 1085 den Nor¬ mannen zu, aber die Besiedlung blieb auf die Ortygia und ihre nächste Um¬ gebung beschränkt, die früher bewohnten Hochflächen wurden in ländliche Grund¬ stücke umgewandelt oder blieben wüst. „Die alte Hoheit von Syrakus stirbt in Armut und Einsamkeit dahin," sagt der normännische Historiker Hugo Falcandus in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts. Erst in der neusten Zeit beginnt im Anschluß an den Bahnhof sich eine neue festländische Vorstadt zu bilden. Aus alledem ergiebt sich mit Notwendigkeit der jetzige Zustand. Da die Ortygia seit 2600 Jahren immer bewohnt geblieben, also nach den wechselnden Bedürfnissen immer wieder umgestaltet worden ist, so konnten sich dort nur geringe bauliche Neste des Altertums erhalten. Da die Hochflüchen früh ver¬ ödeten, so wurden die dort stehenden Gebunde vermutlich als bequeme Stein¬ brüche benützt und verschwanden fast gänzlich. Am zahlreichsten sind die antiken Denkmäler in dem Raume zwischen den Hochflächen und der Insel, da diese Bauten weit länger im Gebrauch blieben, und das Bedürfnis nach handlichem Baumaterial bei dem Sinken der Stadt im Mittelalter wohl gering war. Dieses selbst hat in Syrakus nur wenig Spur hinterlassen; was heute Syrakus heißt, stammt im wesentlichen aus den letzten Jahrhunderten oder ist antik.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/304>, abgerufen am 03.07.2024.