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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

so angespannten auswärtigen Politik ganz unfähig und suchte immer wieder, auch
in Zeiten eines scheinbar gesicherten Bestandes, die Leitung eines bedeutenden
Mannes, also eines Alleinherrschers, wie Timoleon und Dion. Diese fort¬
gesetzte auswärtige Bedrohung, die Stellung der Stadt als der festen Burg der
sikeliotischen UnnblMgigkeit, ist der zweite Charakterzug. Karthager und Athener
sind vor diesen Mauern gescheitert; erst den Römern erlag 212 Syrakus, und
mit seiner Unabhängigkeit sank seine Größe dahin. Damit hängt der dritte Zug
zusammen: der Wechsel in der Bebauung des Stadtbodens. Die korinthischen
Ansiedler, die 734 v. Chr., nur zwanzig Jahre nach der Gründung Roms,
Archias von Griechenland herüberführte, bauten sich zunächst nur auf dem
felsigen Boden der Insel Ortygia an, der "Nasos" (Insel) schlechtweg, die in
Verbindung mit dem an der Südseite vorspringenden Vorgebirge Plemmyrwn
den Eingang zu dem großen Hafen im Osten bis auf eine Linie von einem
Kilometer sperrt. Den Übergang über den Anapos an der Westseite des weiten
Beckens deckte bald als Brückenkopf eine Vorstadt (Polichne) auf der flachen
Anhöhe bei den Resten des Olympieions.

Erst später ergriff die Besiedlung auch den östlichen Teil der stellenweise
sumpfigen Ebne zwischen der Anaposmündung und den steilen Abfällen der
Hochflüche, die sich etwa in der Form eines langgezognen gleichschenkligen Drei¬
ecks von der Steilküste der Achradina als Basis im Osten bis zur Höhe des
Euryalos unterhalb des Telegrafo als Spitze im Westen erstreckt, sowie die
Achradina selbst; in dieser Niederung lag auf der Landenge zwischen dem
großen und dem kleinen Hafen der Markt (Agora), dessen Stelle heute nur
noch eine einsame Säule südöstlich vom Bahnhofe auf öder Weidefläche be¬
zeichnet. Getön deckte diese offne Strecke nach Westen hin durch eme zum
südlichen Abhänge der Achradina laufende Mauer und setzte diese längs der
Westseite des neuen Stadtteils bis zum Nordabhänge fort; wohl noch unter
ihm oder bald nach ihm entstanden als Vorstädte vor dieser Mauer im Norden
die Tyche (nach einem Tempel der Glücksgöttin so benannt) und im Süden die
Neapolis, die Neustadt. Beide wurden erst zur Zeit der athenischen Belage¬
rung in die Befestigungen einbezogen. Auch die Lakonien, die großen Stein¬
brüche an der Südseite der Achradina, müssen wenigstens zum Teil aus dem
fünften Jahrhundert stammen, denn die gefangnen Athener wurden nach der
Katastrophe von 413 dort untergebracht. Aber da eben jene Belagerung gezeigt
hatte, daß die militärisch schwache Seite von Syrakus die Epipolä seien, in
deren leicht zu gewinnendem Besitz jeder Feind die ganze tiefer gelegne Um¬
gebung beherrschte und die Verbindung mit dem Lande abschneiden konnte, so
ließ Dionysios I. im Jahre 402 die gewaltigen Mauerlinien am Sud- und
am Nordrande dieser Hochfläche ziehn und schloß sie an der Westspitze mit dem
starken Fort Euryalos. . .

Schwerlich ist dieser Raum jemals ganz mit Häusern besetzt worden, aber
Syrakus war seitdem seinem Umfange nach die größte Stadt der Mittelmeer-
länder, die nächste nach Karthago und mit 23,32 Kilometern Maucrumfangv°er 18 Quadratkilometern Flächenraum wesentlich größer als das spätere


Auf Sizilien

so angespannten auswärtigen Politik ganz unfähig und suchte immer wieder, auch
in Zeiten eines scheinbar gesicherten Bestandes, die Leitung eines bedeutenden
Mannes, also eines Alleinherrschers, wie Timoleon und Dion. Diese fort¬
gesetzte auswärtige Bedrohung, die Stellung der Stadt als der festen Burg der
sikeliotischen UnnblMgigkeit, ist der zweite Charakterzug. Karthager und Athener
sind vor diesen Mauern gescheitert; erst den Römern erlag 212 Syrakus, und
mit seiner Unabhängigkeit sank seine Größe dahin. Damit hängt der dritte Zug
zusammen: der Wechsel in der Bebauung des Stadtbodens. Die korinthischen
Ansiedler, die 734 v. Chr., nur zwanzig Jahre nach der Gründung Roms,
Archias von Griechenland herüberführte, bauten sich zunächst nur auf dem
felsigen Boden der Insel Ortygia an, der „Nasos" (Insel) schlechtweg, die in
Verbindung mit dem an der Südseite vorspringenden Vorgebirge Plemmyrwn
den Eingang zu dem großen Hafen im Osten bis auf eine Linie von einem
Kilometer sperrt. Den Übergang über den Anapos an der Westseite des weiten
Beckens deckte bald als Brückenkopf eine Vorstadt (Polichne) auf der flachen
Anhöhe bei den Resten des Olympieions.

Erst später ergriff die Besiedlung auch den östlichen Teil der stellenweise
sumpfigen Ebne zwischen der Anaposmündung und den steilen Abfällen der
Hochflüche, die sich etwa in der Form eines langgezognen gleichschenkligen Drei¬
ecks von der Steilküste der Achradina als Basis im Osten bis zur Höhe des
Euryalos unterhalb des Telegrafo als Spitze im Westen erstreckt, sowie die
Achradina selbst; in dieser Niederung lag auf der Landenge zwischen dem
großen und dem kleinen Hafen der Markt (Agora), dessen Stelle heute nur
noch eine einsame Säule südöstlich vom Bahnhofe auf öder Weidefläche be¬
zeichnet. Getön deckte diese offne Strecke nach Westen hin durch eme zum
südlichen Abhänge der Achradina laufende Mauer und setzte diese längs der
Westseite des neuen Stadtteils bis zum Nordabhänge fort; wohl noch unter
ihm oder bald nach ihm entstanden als Vorstädte vor dieser Mauer im Norden
die Tyche (nach einem Tempel der Glücksgöttin so benannt) und im Süden die
Neapolis, die Neustadt. Beide wurden erst zur Zeit der athenischen Belage¬
rung in die Befestigungen einbezogen. Auch die Lakonien, die großen Stein¬
brüche an der Südseite der Achradina, müssen wenigstens zum Teil aus dem
fünften Jahrhundert stammen, denn die gefangnen Athener wurden nach der
Katastrophe von 413 dort untergebracht. Aber da eben jene Belagerung gezeigt
hatte, daß die militärisch schwache Seite von Syrakus die Epipolä seien, in
deren leicht zu gewinnendem Besitz jeder Feind die ganze tiefer gelegne Um¬
gebung beherrschte und die Verbindung mit dem Lande abschneiden konnte, so
ließ Dionysios I. im Jahre 402 die gewaltigen Mauerlinien am Sud- und
am Nordrande dieser Hochfläche ziehn und schloß sie an der Westspitze mit dem
starken Fort Euryalos. . .

Schwerlich ist dieser Raum jemals ganz mit Häusern besetzt worden, aber
Syrakus war seitdem seinem Umfange nach die größte Stadt der Mittelmeer-
länder, die nächste nach Karthago und mit 23,32 Kilometern Maucrumfangv°er 18 Quadratkilometern Flächenraum wesentlich größer als das spätere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/303>, abgerufen am 01.07.2024.