Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

geschafft. Und diese selbe" Leute sind es, die gegenwärtig in Se. Petersburg
Gnaden verteilen und um alle Staatsgeheimnisse wissen ! Chevalier, der früher
Tänzer der erbärmlichsten Art war, ist hier Ballettmeister geworden, hat vom
Kaiser den Rang eines Kollegiennssessors*) erhalten und die Frechheit soweit ge¬
trieben, daß er die Hoffnung aussprach, das Kreuz des Malteserordens zu er¬
halten. Wer weiß/ob ers nicht dazu bringt -- hat Kutaissow doch diesen
Orden erlangt.

Aus den vorstehend berichteten Thatsachen und mit Rücksicht darauf, daß
Chevalier seine Frau beherrscht, diese auf Kutaissow und Kutaissow auf den
Kaiser uneingeschränkten Einfluß übt, liegt es nahe, gewisse Schlußfolgerungen
zu ziehn. Kutaissow besucht allabendlich Frau Chevalier und begiebt sich
von dort in das Palais, wo er die früher von den Günstlingen der Kaiserin
(so. Katharina) bewohnten Gemächer inne hat. Eins dieser Zimmer ist unter
dem des Kaisers und ist durch eine geheime Treppe damit verbunden. Herr
und Diener können einander sehen, so oft sie wollen.

Über die Kurakins und über deren frühere Pläne ist das Folgende zu
berichten. Einer dieser Herren war Minister des Auswärtigen, der andre
Generalprolnrenr -- beide sind ihrer Stellungen enthoben worden, Fräulein
Nelidow aber wurde verbannt, und die Kaiserin büßte ihren Einfluß auf den
Kaiser und dessen Vertrauen ein. Die Gunst, worin Kutaissow steht, hat
dadurch ihren Höhepunkt erlangt; er ist der intimste Vertraute des Kaisers
geworden, weicht nicht mehr von seiner Seite und hat den Posten eines Ober¬
stallmeisters, das Malteserkreuz, den Alexander-Newski- und den Anncnorden
erhalten. Die Kaiserin spielt seitdem eine höchst untergeordnete Rolle. Sie ist
uicht ohne Verstand, aber charakterlos und mit einem ausgesprochnen Hange
Zu kleinen Intriguen behaftet und für Dienstbotenklatschereien zugänglich. Tue
Vorliebe für ihren Bruder, den Prinzen Ferdinand") hat sie zur Partei-
gäugerin Österreichs gemacht, und das bedeutet die schlechteste Empfehlung,
die man bei dem Kaiser überhaupt haben kann. Früher war der Monarch em
musterhafter Ehemann und Vater, der die Bethätigung seiner Zärtlichkeit gegen
Fran und Kinder bis zur Affektation trieb. Nachdem er sich aber hat ein¬
reden lassen, daß ein Komplott bestanden habe, ist es um sein Vertrauen ge¬
schehn, und kann es nicht wiedergewonnen werden. Die Personen, die ihn
der Kaiserin entfremdet haben, haben überdies verstanden, ihn in anderwerte
Bande zu verstricken.

Des Kaisers Ergebenheit gegen Fräulein Nelidow war rein platonischer
Natur und auf eine gewisse Übereinstimmung der Seelen gegründet. Diese
Dame ist sehr häßlich, hat aber Verstand und Bildung.




Der Rang eines Kollegienassessors entsprach dem eines Hauptmanns (achte Rangklasse)
und verlieh damals den erblichen Adel.
^ Herzog Ferdinand von Württemberg war zugleich mit seine", Bruder, dem spätern
er Paul I. aus den. preußischen in den russischen Militärdienst über¬
getreten1834).

geschafft. Und diese selbe» Leute sind es, die gegenwärtig in Se. Petersburg
Gnaden verteilen und um alle Staatsgeheimnisse wissen ! Chevalier, der früher
Tänzer der erbärmlichsten Art war, ist hier Ballettmeister geworden, hat vom
Kaiser den Rang eines Kollegiennssessors*) erhalten und die Frechheit soweit ge¬
trieben, daß er die Hoffnung aussprach, das Kreuz des Malteserordens zu er¬
halten. Wer weiß/ob ers nicht dazu bringt — hat Kutaissow doch diesen
Orden erlangt.

Aus den vorstehend berichteten Thatsachen und mit Rücksicht darauf, daß
Chevalier seine Frau beherrscht, diese auf Kutaissow und Kutaissow auf den
Kaiser uneingeschränkten Einfluß übt, liegt es nahe, gewisse Schlußfolgerungen
zu ziehn. Kutaissow besucht allabendlich Frau Chevalier und begiebt sich
von dort in das Palais, wo er die früher von den Günstlingen der Kaiserin
(so. Katharina) bewohnten Gemächer inne hat. Eins dieser Zimmer ist unter
dem des Kaisers und ist durch eine geheime Treppe damit verbunden. Herr
und Diener können einander sehen, so oft sie wollen.

Über die Kurakins und über deren frühere Pläne ist das Folgende zu
berichten. Einer dieser Herren war Minister des Auswärtigen, der andre
Generalprolnrenr — beide sind ihrer Stellungen enthoben worden, Fräulein
Nelidow aber wurde verbannt, und die Kaiserin büßte ihren Einfluß auf den
Kaiser und dessen Vertrauen ein. Die Gunst, worin Kutaissow steht, hat
dadurch ihren Höhepunkt erlangt; er ist der intimste Vertraute des Kaisers
geworden, weicht nicht mehr von seiner Seite und hat den Posten eines Ober¬
stallmeisters, das Malteserkreuz, den Alexander-Newski- und den Anncnorden
erhalten. Die Kaiserin spielt seitdem eine höchst untergeordnete Rolle. Sie ist
uicht ohne Verstand, aber charakterlos und mit einem ausgesprochnen Hange
Zu kleinen Intriguen behaftet und für Dienstbotenklatschereien zugänglich. Tue
Vorliebe für ihren Bruder, den Prinzen Ferdinand«) hat sie zur Partei-
gäugerin Österreichs gemacht, und das bedeutet die schlechteste Empfehlung,
die man bei dem Kaiser überhaupt haben kann. Früher war der Monarch em
musterhafter Ehemann und Vater, der die Bethätigung seiner Zärtlichkeit gegen
Fran und Kinder bis zur Affektation trieb. Nachdem er sich aber hat ein¬
reden lassen, daß ein Komplott bestanden habe, ist es um sein Vertrauen ge¬
schehn, und kann es nicht wiedergewonnen werden. Die Personen, die ihn
der Kaiserin entfremdet haben, haben überdies verstanden, ihn in anderwerte
Bande zu verstricken.

Des Kaisers Ergebenheit gegen Fräulein Nelidow war rein platonischer
Natur und auf eine gewisse Übereinstimmung der Seelen gegründet. Diese
Dame ist sehr häßlich, hat aber Verstand und Bildung.




Der Rang eines Kollegienassessors entsprach dem eines Hauptmanns (achte Rangklasse)
und verlieh damals den erblichen Adel.
^ Herzog Ferdinand von Württemberg war zugleich mit seine», Bruder, dem spätern
er Paul I. aus den. preußischen in den russischen Militärdienst über¬
getreten1834).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0285" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290696"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <p xml:id="ID_1086" prev="#ID_1085"> geschafft. Und diese selbe» Leute sind es, die gegenwärtig in Se. Petersburg<lb/>
Gnaden verteilen und um alle Staatsgeheimnisse wissen ! Chevalier, der früher<lb/>
Tänzer der erbärmlichsten Art war, ist hier Ballettmeister geworden, hat vom<lb/>
Kaiser den Rang eines Kollegiennssessors*) erhalten und die Frechheit soweit ge¬<lb/>
trieben, daß er die Hoffnung aussprach, das Kreuz des Malteserordens zu er¬<lb/>
halten. Wer weiß/ob ers nicht dazu bringt &#x2014; hat Kutaissow doch diesen<lb/>
Orden erlangt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1087"> Aus den vorstehend berichteten Thatsachen und mit Rücksicht darauf, daß<lb/>
Chevalier seine Frau beherrscht, diese auf Kutaissow und Kutaissow auf den<lb/>
Kaiser uneingeschränkten Einfluß übt, liegt es nahe, gewisse Schlußfolgerungen<lb/>
zu ziehn. Kutaissow besucht allabendlich Frau Chevalier und begiebt sich<lb/>
von dort in das Palais, wo er die früher von den Günstlingen der Kaiserin<lb/>
(so. Katharina) bewohnten Gemächer inne hat. Eins dieser Zimmer ist unter<lb/>
dem des Kaisers und ist durch eine geheime Treppe damit verbunden. Herr<lb/>
und Diener können einander sehen, so oft sie wollen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1088"> Über die Kurakins und über deren frühere Pläne ist das Folgende zu<lb/>
berichten. Einer dieser Herren war Minister des Auswärtigen, der andre<lb/>
Generalprolnrenr &#x2014; beide sind ihrer Stellungen enthoben worden, Fräulein<lb/>
Nelidow aber wurde verbannt, und die Kaiserin büßte ihren Einfluß auf den<lb/>
Kaiser und dessen Vertrauen ein. Die Gunst, worin Kutaissow steht, hat<lb/>
dadurch ihren Höhepunkt erlangt; er ist der intimste Vertraute des Kaisers<lb/>
geworden, weicht nicht mehr von seiner Seite und hat den Posten eines Ober¬<lb/>
stallmeisters, das Malteserkreuz, den Alexander-Newski- und den Anncnorden<lb/>
erhalten. Die Kaiserin spielt seitdem eine höchst untergeordnete Rolle. Sie ist<lb/>
uicht ohne Verstand, aber charakterlos und mit einem ausgesprochnen Hange<lb/>
Zu kleinen Intriguen behaftet und für Dienstbotenklatschereien zugänglich. Tue<lb/>
Vorliebe für ihren Bruder, den Prinzen Ferdinand«) hat sie zur Partei-<lb/>
gäugerin Österreichs gemacht, und das bedeutet die schlechteste Empfehlung,<lb/>
die man bei dem Kaiser überhaupt haben kann. Früher war der Monarch em<lb/>
musterhafter Ehemann und Vater, der die Bethätigung seiner Zärtlichkeit gegen<lb/>
Fran und Kinder bis zur Affektation trieb. Nachdem er sich aber hat ein¬<lb/>
reden lassen, daß ein Komplott bestanden habe, ist es um sein Vertrauen ge¬<lb/>
schehn, und kann es nicht wiedergewonnen werden. Die Personen, die ihn<lb/>
der Kaiserin entfremdet haben, haben überdies verstanden, ihn in anderwerte<lb/>
Bande zu verstricken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1089"> Des Kaisers Ergebenheit gegen Fräulein Nelidow war rein platonischer<lb/>
Natur und auf eine gewisse Übereinstimmung der Seelen gegründet. Diese<lb/>
Dame ist sehr häßlich, hat aber Verstand und Bildung.</p><lb/>
            <note xml:id="FID_43" place="foot"> Der Rang eines Kollegienassessors entsprach dem eines Hauptmanns (achte Rangklasse)<lb/>
und verlieh damals den erblichen Adel.</note><lb/>
            <note xml:id="FID_44" place="foot"> ^    Herzog Ferdinand von Württemberg war zugleich mit seine», Bruder, dem spätern<lb/>
er Paul I. aus den. preußischen in den russischen Militärdienst über¬<lb/>
getreten1834).</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0285] geschafft. Und diese selbe» Leute sind es, die gegenwärtig in Se. Petersburg Gnaden verteilen und um alle Staatsgeheimnisse wissen ! Chevalier, der früher Tänzer der erbärmlichsten Art war, ist hier Ballettmeister geworden, hat vom Kaiser den Rang eines Kollegiennssessors*) erhalten und die Frechheit soweit ge¬ trieben, daß er die Hoffnung aussprach, das Kreuz des Malteserordens zu er¬ halten. Wer weiß/ob ers nicht dazu bringt — hat Kutaissow doch diesen Orden erlangt. Aus den vorstehend berichteten Thatsachen und mit Rücksicht darauf, daß Chevalier seine Frau beherrscht, diese auf Kutaissow und Kutaissow auf den Kaiser uneingeschränkten Einfluß übt, liegt es nahe, gewisse Schlußfolgerungen zu ziehn. Kutaissow besucht allabendlich Frau Chevalier und begiebt sich von dort in das Palais, wo er die früher von den Günstlingen der Kaiserin (so. Katharina) bewohnten Gemächer inne hat. Eins dieser Zimmer ist unter dem des Kaisers und ist durch eine geheime Treppe damit verbunden. Herr und Diener können einander sehen, so oft sie wollen. Über die Kurakins und über deren frühere Pläne ist das Folgende zu berichten. Einer dieser Herren war Minister des Auswärtigen, der andre Generalprolnrenr — beide sind ihrer Stellungen enthoben worden, Fräulein Nelidow aber wurde verbannt, und die Kaiserin büßte ihren Einfluß auf den Kaiser und dessen Vertrauen ein. Die Gunst, worin Kutaissow steht, hat dadurch ihren Höhepunkt erlangt; er ist der intimste Vertraute des Kaisers geworden, weicht nicht mehr von seiner Seite und hat den Posten eines Ober¬ stallmeisters, das Malteserkreuz, den Alexander-Newski- und den Anncnorden erhalten. Die Kaiserin spielt seitdem eine höchst untergeordnete Rolle. Sie ist uicht ohne Verstand, aber charakterlos und mit einem ausgesprochnen Hange Zu kleinen Intriguen behaftet und für Dienstbotenklatschereien zugänglich. Tue Vorliebe für ihren Bruder, den Prinzen Ferdinand«) hat sie zur Partei- gäugerin Österreichs gemacht, und das bedeutet die schlechteste Empfehlung, die man bei dem Kaiser überhaupt haben kann. Früher war der Monarch em musterhafter Ehemann und Vater, der die Bethätigung seiner Zärtlichkeit gegen Fran und Kinder bis zur Affektation trieb. Nachdem er sich aber hat ein¬ reden lassen, daß ein Komplott bestanden habe, ist es um sein Vertrauen ge¬ schehn, und kann es nicht wiedergewonnen werden. Die Personen, die ihn der Kaiserin entfremdet haben, haben überdies verstanden, ihn in anderwerte Bande zu verstricken. Des Kaisers Ergebenheit gegen Fräulein Nelidow war rein platonischer Natur und auf eine gewisse Übereinstimmung der Seelen gegründet. Diese Dame ist sehr häßlich, hat aber Verstand und Bildung. Der Rang eines Kollegienassessors entsprach dem eines Hauptmanns (achte Rangklasse) und verlieh damals den erblichen Adel. ^ Herzog Ferdinand von Württemberg war zugleich mit seine», Bruder, dem spätern er Paul I. aus den. preußischen in den russischen Militärdienst über¬ getreten1834).

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/285
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/285>, abgerufen am 01.10.2024.