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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Der Se, Petersburger Hof im Winter ^799/^300

(Kutaissows) stützt. Danach wird man sich von der Stärke dieser Partei und
von dem Umfange der Mittel eine Vorstellung machen können, womit sie ans den
Kaiser einwirken kann. Es ist über die Grunde vielfach gestritten worden, ans
denen der plötzliche Umschlag in den politischen Entschließungen dieses Mon¬
archen eingetreten ist. Kein Zweifel, daß die piemontesische Angelegenheit, die
Meinungsverschiedenheiten wegen der Räumung der Schweiz, und die Hart¬
näckigkeit, mit der Preußen aus seiner Neutralität beharrte, den Kaiser all¬
mählich verstimmt haben, und daß er schon bei der Veröffentlichung des
berufnen, an seine Unterthanen gerichteten Manifests vom 12. September
daran gedacht hatte, sich von der Koalition zurückzuziehn. Jedoch liegt die An¬
nahme nahe, daß noch andre Gründe auf die Entfremdung zwischen dem Kaiser
und dessen Verbündeten hingewirkt haben, und daß gewisse einflußreiche Per¬
sonen in diesem Sinne auf ihn eingewirkt und den eingetretenen Gegensatz zu
der Schärfe getrieben haben, die er jetzt erreicht hat. Personen, die Land und
Leute kennen, behaupten aus guten Gründen zu wissen, daß Kutaissow in
diesem Sinne thätig gewesen sei, und zwar auf die Äeranlassuug einer fran¬
zösischen Schauspielerin, der Madame Chevalier, Diese Dame ist in Se. Peters¬
burg zu einer sehr wichtigen Person geworden. Als Geliebte Kutaissows ist
sie von einem ganzen Schwarm von Ränkeschmieden und Ehrgeizigen umgeben,
darunter von Personen der höchsten Gesellschaft, die sich nicht schämen, um ihre
Unterstützung zu betteln und ihr Gesuche der schmählichsten Art zu unterbreiten.
So bezahlt z. B. der Oberkanunerherr Graf Scheremetjew für die Loge, die
er an ihren Benefizabenden nimmt, regelmäßig die Summe von dreitausend
Rubeln. Gold und Geschenke regnen auf diese Person herab, der anch der
Kaiser zu verschiednen malen reiche Gaben hat zugehn lassen, obgleich er
kein Entgelt dafür verlangt hat und alle bezüglichen Behauptungen durchaus
unbegründet sind.

Anfänglich war die Kaiserin bemüht, Frau Chevalier beiseite zu schieben;
dank Kntaissow, der sie sich beigelegt hat, ist diese Frau aber heute gegen alle
Feindseligkeiten gesichert. Der Kaiser hat ihr sogar eine Loge in der Eremitage
zum alleinigen Gebrauch bewilligt und sie von der Verpflichtung zu öffent¬
lichem Auftreten vor dem Publikum entbunden. Sie ist hübsch und liebens¬
würdig, hat früher in Lyon und in Hamburg gelebt und einen entsetzlichen
Taugenichts zum Manne genommen -- einen Kerl, der früher Vertrauter von
Collot d'Herbois und dessen Helfershelfer bei den berüchtigten Lyoner Füsilladen
war. Dieser abscheuliche, allein auf Schändlichkeiten bedachte Geselle übt großen
Einfluß auf seine Frau, die in seinen Händen zu einem gefährlichen Werkzeug
geworden ist. Herr von Haugwitz, der die Dame genau kennt, hat mir darüber
mancherlei wohlverbürgte Einzelheiten mitgeteilt, unter anderm, daß Chevalier
während der letzten Reise des verstorbnen Königs von Preußen nach Pyrmont
gekommen war und alles denkbare versucht hatte, um seine Frau bei dem König
oder Herrn von Haugwitz anzubringen. Da dieser letzte von Beziehungen der
Pariser Demokraten zu dem Ehepaare Kenntnis erhalten hatte, hat er es fort-


Der Se, Petersburger Hof im Winter ^799/^300

(Kutaissows) stützt. Danach wird man sich von der Stärke dieser Partei und
von dem Umfange der Mittel eine Vorstellung machen können, womit sie ans den
Kaiser einwirken kann. Es ist über die Grunde vielfach gestritten worden, ans
denen der plötzliche Umschlag in den politischen Entschließungen dieses Mon¬
archen eingetreten ist. Kein Zweifel, daß die piemontesische Angelegenheit, die
Meinungsverschiedenheiten wegen der Räumung der Schweiz, und die Hart¬
näckigkeit, mit der Preußen aus seiner Neutralität beharrte, den Kaiser all¬
mählich verstimmt haben, und daß er schon bei der Veröffentlichung des
berufnen, an seine Unterthanen gerichteten Manifests vom 12. September
daran gedacht hatte, sich von der Koalition zurückzuziehn. Jedoch liegt die An¬
nahme nahe, daß noch andre Gründe auf die Entfremdung zwischen dem Kaiser
und dessen Verbündeten hingewirkt haben, und daß gewisse einflußreiche Per¬
sonen in diesem Sinne auf ihn eingewirkt und den eingetretenen Gegensatz zu
der Schärfe getrieben haben, die er jetzt erreicht hat. Personen, die Land und
Leute kennen, behaupten aus guten Gründen zu wissen, daß Kutaissow in
diesem Sinne thätig gewesen sei, und zwar auf die Äeranlassuug einer fran¬
zösischen Schauspielerin, der Madame Chevalier, Diese Dame ist in Se. Peters¬
burg zu einer sehr wichtigen Person geworden. Als Geliebte Kutaissows ist
sie von einem ganzen Schwarm von Ränkeschmieden und Ehrgeizigen umgeben,
darunter von Personen der höchsten Gesellschaft, die sich nicht schämen, um ihre
Unterstützung zu betteln und ihr Gesuche der schmählichsten Art zu unterbreiten.
So bezahlt z. B. der Oberkanunerherr Graf Scheremetjew für die Loge, die
er an ihren Benefizabenden nimmt, regelmäßig die Summe von dreitausend
Rubeln. Gold und Geschenke regnen auf diese Person herab, der anch der
Kaiser zu verschiednen malen reiche Gaben hat zugehn lassen, obgleich er
kein Entgelt dafür verlangt hat und alle bezüglichen Behauptungen durchaus
unbegründet sind.

Anfänglich war die Kaiserin bemüht, Frau Chevalier beiseite zu schieben;
dank Kntaissow, der sie sich beigelegt hat, ist diese Frau aber heute gegen alle
Feindseligkeiten gesichert. Der Kaiser hat ihr sogar eine Loge in der Eremitage
zum alleinigen Gebrauch bewilligt und sie von der Verpflichtung zu öffent¬
lichem Auftreten vor dem Publikum entbunden. Sie ist hübsch und liebens¬
würdig, hat früher in Lyon und in Hamburg gelebt und einen entsetzlichen
Taugenichts zum Manne genommen — einen Kerl, der früher Vertrauter von
Collot d'Herbois und dessen Helfershelfer bei den berüchtigten Lyoner Füsilladen
war. Dieser abscheuliche, allein auf Schändlichkeiten bedachte Geselle übt großen
Einfluß auf seine Frau, die in seinen Händen zu einem gefährlichen Werkzeug
geworden ist. Herr von Haugwitz, der die Dame genau kennt, hat mir darüber
mancherlei wohlverbürgte Einzelheiten mitgeteilt, unter anderm, daß Chevalier
während der letzten Reise des verstorbnen Königs von Preußen nach Pyrmont
gekommen war und alles denkbare versucht hatte, um seine Frau bei dem König
oder Herrn von Haugwitz anzubringen. Da dieser letzte von Beziehungen der
Pariser Demokraten zu dem Ehepaare Kenntnis erhalten hatte, hat er es fort-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/284>, abgerufen am 03.07.2024.