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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Der Se. Petersburger Hof im Winter 5799/5 300

Kaum war er auf den Thron gelangt, so bewies Kaiser Paul seinen Ab¬
scheu vor dem Ereignis von 1762 und beschloß, den unheilvollen Folgen zuvor¬
zukommen, die Peter der Große heraufbeschworen hatte, als er die Thronfolge
von der Entschließung und Wahl des jedesmaligen Herrschers abhängig machte.
Paul, der von den'Ereignissen von 1762 für sich selbst zu fürchten gehabt
hatte, hat ein dem salischen nachgebildetes Gesetz erlassen, das die Frauen von
der Thronfolge fern hält und sie ein für alle mal dem ältesten männlichen
Sprossen seines Hauses zuspricht.

Gegen die Personen, die ihm während seiner Großfürstenzeit zugethan
gewesen waren, hat der Kaiser große Dankbarkeit gezeigt. Die Kurakins haben
die ersten Stellungen erhalten, und Nostoptschin, der sogleich befördert wurde,
ist im Begriff, eine sehr große Rolle zu spielen. Weiter ist die letzte Thron¬
besteigung von verschiednen Akten der Gerechtigkeit begleitet gewesen. Der
König von Polen wurde eingeladen, nach Se. Petersburg zu kommen, im
Marmorpalast untergebracht und mit besondrer Rücksicht behandelt. Bei seinem
Leichenbegängnis hat der Kaiser die dreizehntausend Mann, die das Trauer¬
gefolge bildeten, in Person befehligt. Kosziusko wurde aus dem Gefängnis
befreit und mit Wohlthaten überhäuft, die er hätte dankbarer, als geschehn ist,
anerkennen können. Der Kaiser hat ein so starkes Rechtsgefühl, daß, wenn
es auf ihn allein angekommen wäre, Polen seine Unabhängigkeit wiedererlangt
hätte. Dem Fürsten Besborodko*) hat er die Leitung der auswärtigen An¬
gelegenheiten übertragen und ihn mit Ehren und Gütern überschüttet.

Wenig später trat die außerordentliche Heftigkeit, die dem Kaiser immerdar
eigentümlich gewesen war, die er aber bis dahin mehr oder minder hatte ein¬
dämmen müssen, in so erschreckender Weise hervor, daß die Kurakins für sich
zu fürchten begannen. Sie versuchten eine Partei zu bilden, an deren Spitze sie
die Kaiserin zu bringen versuchten, indem sie sich dabei des Fräulein NeKdow
bedienten. Dieser Plan scheiterte an dem Grafen Kutaissow, einem bei Oszakow
gefangen genommnen Türkensklaven, der in den Dienst des Monarchen gesteckt
worden war, und den dieser hatte erziehn lassen, um ihn zu seinem Kammer¬
diener und sodann zu seinem Vertrauten zu machen.

Kutcnssows Geschichte ist bekannt -- sie gehört nnter die Beispiele uner¬
hörter Glückscrfolge, wie sie allein unter einem despotischen Regiment vor¬
kamen. Kutaissow hat die Geschmeidigkeit und Geschicklichkeit seiner Landsleute
und eine genaue Kenntnis der Eigenschaften seines Herrn. Er ist weder bös¬
artig noch verfolgungssüchtig, entbehrt dafür aber aller sittlichen Begriffe, die
ihn hätten befähigen können, sich so zu betragen, wie es seine Stellung und
die Würde seines Herrschers verlangten. Kutaissow ist entschiedncr Gegner
der gegen Frankreich gerichteten Koalitionspolitik und trifft in diesem Punkte
mit dem Grafen Nostoptschin zusammen, dessen Einfluß sich auf den seungen



Besborodko überlieferte dein Kaiser unmittelbar nach Katharinas Tode die auf seinen
(Pauls) Ausschluß vom Throne bezüglichen Dokumente.
Der Se. Petersburger Hof im Winter 5799/5 300

Kaum war er auf den Thron gelangt, so bewies Kaiser Paul seinen Ab¬
scheu vor dem Ereignis von 1762 und beschloß, den unheilvollen Folgen zuvor¬
zukommen, die Peter der Große heraufbeschworen hatte, als er die Thronfolge
von der Entschließung und Wahl des jedesmaligen Herrschers abhängig machte.
Paul, der von den'Ereignissen von 1762 für sich selbst zu fürchten gehabt
hatte, hat ein dem salischen nachgebildetes Gesetz erlassen, das die Frauen von
der Thronfolge fern hält und sie ein für alle mal dem ältesten männlichen
Sprossen seines Hauses zuspricht.

Gegen die Personen, die ihm während seiner Großfürstenzeit zugethan
gewesen waren, hat der Kaiser große Dankbarkeit gezeigt. Die Kurakins haben
die ersten Stellungen erhalten, und Nostoptschin, der sogleich befördert wurde,
ist im Begriff, eine sehr große Rolle zu spielen. Weiter ist die letzte Thron¬
besteigung von verschiednen Akten der Gerechtigkeit begleitet gewesen. Der
König von Polen wurde eingeladen, nach Se. Petersburg zu kommen, im
Marmorpalast untergebracht und mit besondrer Rücksicht behandelt. Bei seinem
Leichenbegängnis hat der Kaiser die dreizehntausend Mann, die das Trauer¬
gefolge bildeten, in Person befehligt. Kosziusko wurde aus dem Gefängnis
befreit und mit Wohlthaten überhäuft, die er hätte dankbarer, als geschehn ist,
anerkennen können. Der Kaiser hat ein so starkes Rechtsgefühl, daß, wenn
es auf ihn allein angekommen wäre, Polen seine Unabhängigkeit wiedererlangt
hätte. Dem Fürsten Besborodko*) hat er die Leitung der auswärtigen An¬
gelegenheiten übertragen und ihn mit Ehren und Gütern überschüttet.

Wenig später trat die außerordentliche Heftigkeit, die dem Kaiser immerdar
eigentümlich gewesen war, die er aber bis dahin mehr oder minder hatte ein¬
dämmen müssen, in so erschreckender Weise hervor, daß die Kurakins für sich
zu fürchten begannen. Sie versuchten eine Partei zu bilden, an deren Spitze sie
die Kaiserin zu bringen versuchten, indem sie sich dabei des Fräulein NeKdow
bedienten. Dieser Plan scheiterte an dem Grafen Kutaissow, einem bei Oszakow
gefangen genommnen Türkensklaven, der in den Dienst des Monarchen gesteckt
worden war, und den dieser hatte erziehn lassen, um ihn zu seinem Kammer¬
diener und sodann zu seinem Vertrauten zu machen.

Kutcnssows Geschichte ist bekannt — sie gehört nnter die Beispiele uner¬
hörter Glückscrfolge, wie sie allein unter einem despotischen Regiment vor¬
kamen. Kutaissow hat die Geschmeidigkeit und Geschicklichkeit seiner Landsleute
und eine genaue Kenntnis der Eigenschaften seines Herrn. Er ist weder bös¬
artig noch verfolgungssüchtig, entbehrt dafür aber aller sittlichen Begriffe, die
ihn hätten befähigen können, sich so zu betragen, wie es seine Stellung und
die Würde seines Herrschers verlangten. Kutaissow ist entschiedncr Gegner
der gegen Frankreich gerichteten Koalitionspolitik und trifft in diesem Punkte
mit dem Grafen Nostoptschin zusammen, dessen Einfluß sich auf den seungen



Besborodko überlieferte dein Kaiser unmittelbar nach Katharinas Tode die auf seinen
(Pauls) Ausschluß vom Throne bezüglichen Dokumente.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/283>, abgerufen am 01.07.2024.