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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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zu bekleiden. Unbefangen haben die Italiener sofort antike Bauwerke, die
zwecklos geworden waren, für ihre Zwecke benutzt, bald als bloße Steinbrüche,
wie etwa in Rom die Gebäude des Forums, die Kaiserpaläste und das
Kolosseum, aus denen sie die prächtigen Quadern und Säulen, den Mnrmor-
schmuck der Wände und der Fußböden wegschleppten, um sie für ihre Neu¬
bauten, für Kirchen und Paläste und Privathäuser zu verwenden, bald indem
sie Tempel und andre Bauwerke zu Kirchen umgestalteten: den Tempel der
Minerva in Assisi, das Pantheon in Rom, den Athenetempel in Syrcckus;
oder über den Wohnhäusern christlicher Märtyrer Kirchen errichteten, die ihnen
geweiht wurden, wie in Rom Santa Cecilia im Trastevere und San Gio¬
vanni e Paolo auf dem Cälius; ja die alte Form der abendländischen Kirchen
fand ihr Vorbild in dem altrömischen Hause. Aber auch die Formen der
mittelalterlichen romanischen Baukunst schlössen sich eng an die römische an
-- die Gotik blieb, trotz großartiger Denkmäler, die auch in diesem Stile er¬
richtet wurden, den Italienern innerlich immer etwas Fremdes --, und seit dem
vierzehnten Jahrhundert begann dort jene Renaissnncebewegung, die auf alleu
Gebieten, in Kunst und Litteratur, in Wissenschaft und Staatswesen ganz un¬
mittelbar an das römische Altertum anknüpfte und mit vollem Bewußtsein gar
nichts andres wollte, als die Rückkehr zur antiken Grundlage des nationalen
Lebens. Einer der größten Baumeister der Hochrenaissance, Pallndio, wollte
nur das architektonische Ideal des Vitruvius verwirklichen; Bramante formte
die Peters kirche, indem er die erhabne Kuppel des Pantheons auf die unge¬
heuern Tonnengewölbe der Konstantins-Basilika setzte, und Michelangelo ge¬
staltete unmittelbar aus dem Hauptsaale der Diokletiansthcrmen die großartige
Kirche Santa Maria degli Angeli. Ihre neuen Paläste und Villen aber
schmückten die römischen Großen mit den Säulen und den Statuen der rö¬
mischen Kaiserzeit, und die Plastik Michelangelos wie die Malerei Rafaels
ging bei den Meisterwerken der antiken Skulptur in die Schule. Wie hätte
also jemals diesen Italienern der Gedanke kommen können, daß das Altertum
etwas Todes und Abgethanes sei! Es lebte vor ihren Augen, es beherrschte
ihre Bildung und ihre Kunst, es war und ist ein Stück ihres Wesens, so gut
wie für uns etwa die Zeit Goethes und Schillers. In hundert kleinen Zügen
macht sich das noch heute geltend. Dem modernen Italiener liegt das Alter¬
tum ungleich näher als das Mittelalter. Vor allen Resten des antiken Lebens
hegt er ehrfurchtsvolle Scheu; "mittelalterliches Mauerwerk," msaisvali innre>,Wi,
wenn es nur historisches, nicht künstlerisches Interesse erregt, wird wenig ge¬
schont. Der antike Lokalpatriotismus lebt in voller Stärke fort. Keine größere
Stadt Italiens, die nicht ihren bedeutenden Männern, mag auch ihr Ruhm
kaum jemals über die Grenzen der Gemeinde hinaus gereicht haben, etwa eine
Kirche als Ruhmeshalle eingerichtet, ihre Schulen nach ihnen genannt Hütte.
Auch die Sitte, bemerkenswerte Ereignisse der Ortsgeschichte durch schwungvolle
Inschriften aus prächtigen Marmortafeln zu verewigen, hat sich erhalten, und
wenn eine Stadt etwa an ein antikes Sinnbild anknüpfen kann, so hält sie


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zu bekleiden. Unbefangen haben die Italiener sofort antike Bauwerke, die
zwecklos geworden waren, für ihre Zwecke benutzt, bald als bloße Steinbrüche,
wie etwa in Rom die Gebäude des Forums, die Kaiserpaläste und das
Kolosseum, aus denen sie die prächtigen Quadern und Säulen, den Mnrmor-
schmuck der Wände und der Fußböden wegschleppten, um sie für ihre Neu¬
bauten, für Kirchen und Paläste und Privathäuser zu verwenden, bald indem
sie Tempel und andre Bauwerke zu Kirchen umgestalteten: den Tempel der
Minerva in Assisi, das Pantheon in Rom, den Athenetempel in Syrcckus;
oder über den Wohnhäusern christlicher Märtyrer Kirchen errichteten, die ihnen
geweiht wurden, wie in Rom Santa Cecilia im Trastevere und San Gio¬
vanni e Paolo auf dem Cälius; ja die alte Form der abendländischen Kirchen
fand ihr Vorbild in dem altrömischen Hause. Aber auch die Formen der
mittelalterlichen romanischen Baukunst schlössen sich eng an die römische an
— die Gotik blieb, trotz großartiger Denkmäler, die auch in diesem Stile er¬
richtet wurden, den Italienern innerlich immer etwas Fremdes —, und seit dem
vierzehnten Jahrhundert begann dort jene Renaissnncebewegung, die auf alleu
Gebieten, in Kunst und Litteratur, in Wissenschaft und Staatswesen ganz un¬
mittelbar an das römische Altertum anknüpfte und mit vollem Bewußtsein gar
nichts andres wollte, als die Rückkehr zur antiken Grundlage des nationalen
Lebens. Einer der größten Baumeister der Hochrenaissance, Pallndio, wollte
nur das architektonische Ideal des Vitruvius verwirklichen; Bramante formte
die Peters kirche, indem er die erhabne Kuppel des Pantheons auf die unge¬
heuern Tonnengewölbe der Konstantins-Basilika setzte, und Michelangelo ge¬
staltete unmittelbar aus dem Hauptsaale der Diokletiansthcrmen die großartige
Kirche Santa Maria degli Angeli. Ihre neuen Paläste und Villen aber
schmückten die römischen Großen mit den Säulen und den Statuen der rö¬
mischen Kaiserzeit, und die Plastik Michelangelos wie die Malerei Rafaels
ging bei den Meisterwerken der antiken Skulptur in die Schule. Wie hätte
also jemals diesen Italienern der Gedanke kommen können, daß das Altertum
etwas Todes und Abgethanes sei! Es lebte vor ihren Augen, es beherrschte
ihre Bildung und ihre Kunst, es war und ist ein Stück ihres Wesens, so gut
wie für uns etwa die Zeit Goethes und Schillers. In hundert kleinen Zügen
macht sich das noch heute geltend. Dem modernen Italiener liegt das Alter¬
tum ungleich näher als das Mittelalter. Vor allen Resten des antiken Lebens
hegt er ehrfurchtsvolle Scheu; „mittelalterliches Mauerwerk," msaisvali innre>,Wi,
wenn es nur historisches, nicht künstlerisches Interesse erregt, wird wenig ge¬
schont. Der antike Lokalpatriotismus lebt in voller Stärke fort. Keine größere
Stadt Italiens, die nicht ihren bedeutenden Männern, mag auch ihr Ruhm
kaum jemals über die Grenzen der Gemeinde hinaus gereicht haben, etwa eine
Kirche als Ruhmeshalle eingerichtet, ihre Schulen nach ihnen genannt Hütte.
Auch die Sitte, bemerkenswerte Ereignisse der Ortsgeschichte durch schwungvolle
Inschriften aus prächtigen Marmortafeln zu verewigen, hat sich erhalten, und
wenn eine Stadt etwa an ein antikes Sinnbild anknüpfen kann, so hält sie


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[0028] Line Lntlassungsrede zu bekleiden. Unbefangen haben die Italiener sofort antike Bauwerke, die zwecklos geworden waren, für ihre Zwecke benutzt, bald als bloße Steinbrüche, wie etwa in Rom die Gebäude des Forums, die Kaiserpaläste und das Kolosseum, aus denen sie die prächtigen Quadern und Säulen, den Mnrmor- schmuck der Wände und der Fußböden wegschleppten, um sie für ihre Neu¬ bauten, für Kirchen und Paläste und Privathäuser zu verwenden, bald indem sie Tempel und andre Bauwerke zu Kirchen umgestalteten: den Tempel der Minerva in Assisi, das Pantheon in Rom, den Athenetempel in Syrcckus; oder über den Wohnhäusern christlicher Märtyrer Kirchen errichteten, die ihnen geweiht wurden, wie in Rom Santa Cecilia im Trastevere und San Gio¬ vanni e Paolo auf dem Cälius; ja die alte Form der abendländischen Kirchen fand ihr Vorbild in dem altrömischen Hause. Aber auch die Formen der mittelalterlichen romanischen Baukunst schlössen sich eng an die römische an — die Gotik blieb, trotz großartiger Denkmäler, die auch in diesem Stile er¬ richtet wurden, den Italienern innerlich immer etwas Fremdes —, und seit dem vierzehnten Jahrhundert begann dort jene Renaissnncebewegung, die auf alleu Gebieten, in Kunst und Litteratur, in Wissenschaft und Staatswesen ganz un¬ mittelbar an das römische Altertum anknüpfte und mit vollem Bewußtsein gar nichts andres wollte, als die Rückkehr zur antiken Grundlage des nationalen Lebens. Einer der größten Baumeister der Hochrenaissance, Pallndio, wollte nur das architektonische Ideal des Vitruvius verwirklichen; Bramante formte die Peters kirche, indem er die erhabne Kuppel des Pantheons auf die unge¬ heuern Tonnengewölbe der Konstantins-Basilika setzte, und Michelangelo ge¬ staltete unmittelbar aus dem Hauptsaale der Diokletiansthcrmen die großartige Kirche Santa Maria degli Angeli. Ihre neuen Paläste und Villen aber schmückten die römischen Großen mit den Säulen und den Statuen der rö¬ mischen Kaiserzeit, und die Plastik Michelangelos wie die Malerei Rafaels ging bei den Meisterwerken der antiken Skulptur in die Schule. Wie hätte also jemals diesen Italienern der Gedanke kommen können, daß das Altertum etwas Todes und Abgethanes sei! Es lebte vor ihren Augen, es beherrschte ihre Bildung und ihre Kunst, es war und ist ein Stück ihres Wesens, so gut wie für uns etwa die Zeit Goethes und Schillers. In hundert kleinen Zügen macht sich das noch heute geltend. Dem modernen Italiener liegt das Alter¬ tum ungleich näher als das Mittelalter. Vor allen Resten des antiken Lebens hegt er ehrfurchtsvolle Scheu; „mittelalterliches Mauerwerk," msaisvali innre>,Wi, wenn es nur historisches, nicht künstlerisches Interesse erregt, wird wenig ge¬ schont. Der antike Lokalpatriotismus lebt in voller Stärke fort. Keine größere Stadt Italiens, die nicht ihren bedeutenden Männern, mag auch ihr Ruhm kaum jemals über die Grenzen der Gemeinde hinaus gereicht haben, etwa eine Kirche als Ruhmeshalle eingerichtet, ihre Schulen nach ihnen genannt Hütte. Auch die Sitte, bemerkenswerte Ereignisse der Ortsgeschichte durch schwungvolle Inschriften aus prächtigen Marmortafeln zu verewigen, hat sich erhalten, und wenn eine Stadt etwa an ein antikes Sinnbild anknüpfen kann, so hält sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/28>, abgerufen am 01.07.2024.