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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Erdboden

Vererbt er ihn an den Sohn nicht nach der Forderung gleicher Teilung unter
den Kindern, sondern so. daß ein Sohn in der Lage ist, den Hof möglichst
unverkleinert dem Geschlecht zu erhalten. Aber das aus der Denkweise des
städtisch-kommerziellen Lebens erwachsene Recht fordert Gleichheit in der Erb¬
teilung der Brüder oder der Geschwister, und so wird denn das Anerbenrecht
übel angesehen, und der Bauer in Schranken gewiesen. Wollte man aber den
Bauernhof nicht bloß auf so und so viel tausend Mark einschätzen, sondern
seinen ethischen Wert für den Bauernstand und das gesamte Volk mit in
Rechnung ziehn. dann müßte man das Anerbenrecht fördern, soweit das Ge¬
wissen des Volks, des Bauern selbst es nur zuläßt.

Andre Feinde des Bauern sind der Großbesitz und das Geldkapital, die
den Bauernhof, nachdem er vom Juden ausgewuchert worden ist, vom Bauern
oder vom Wucherer aufkaufen und in den Großbetrieb aufsaugen. Das Gesetz
hat im Namen des Liberalismus das Bauernland wie den Bauern unter das
gemeine Zivilrecht gestellt. Und wie das gemeine Erbrecht nicht für den Hof¬
bauer paßt, so auch das gemeine Sachenrecht nicht für das Bauernland. Wie
hat man gegen die Latifundien gewettert! Hat man sich aber entschlossen,
zwischen Großbesitz und Bauernland einen festen Strich zu ziehn, der die Auf¬
saugung des Bauernlands durch den Großbesitz gesetzlich verhindern würde?
Nein, man hat es nicht gethan, weil Großbesitz und mobiles Kapital ein ge¬
meinsames Interesse haben, die Mobilität des Erdbodens zu erhalten, und
dann auch der leeren Theorie zuliebe, die keinen Unterschied zwischen Bauern
und Nichtbauern rechtlich festlegen will. Und die größere Schuld mag hierbei
den Großbesitz treffen, von dem man eher den weitern Blick erwarten kann
in diesen Dingen. Er Hütte im eignen Interesse an der gesetzlichen Sicherung
des Bauern im ostelbischen Lande arbeiten sollen. Er wäre dann besser ge¬
rüstet gegen den heutigen Ansturm der Theoretiker des Geldsacks, die von der
Vernichtung alles Großbesitzes so viel, ja bis zur Rettung Deutschlands und
zur Lösung der sozialen Frage erwarten.

Sonderbare Schwärmer! Sie wollen genaue Rechner, Realpolitiker sein
und gleichen doch eher denen, die vor hundert Jahren meinten, mit Hilfe der
Guillotine alle Menschen zu Gleichheit und Freiheit und Brüderlichkeit zu
führen. Wenn nun das letzte Rittergut zerschlagen, oder deutlicher gesprochen,
der letzte Edelmann nationalökonomisch guillotiniert sein wird, was dann?
Wird dann der Bauer zum Zweikindersystem greifen, um seinen Besitz nicht
zersplittern zu lassen? Und wenn nicht, wo werden diese gelehrten Herren
dann wieder Rittergüter hernehmen zum Verteilen an die jüngern Bauernsöhne?
Und wenn der letzte Hektar in Deutschland auf den höchsten Ertrag gesteigert
sein wird, wird dann die Gefahr der agrarischen Krisen nicht auch auf das
höchste Maß gesteigert sein? Diese Leute wissen eben nicht, was Erdboden
ist. Sie haben keine Wurzel in ihm und kennen den Landbauer nicht, noch
die ethische Seite des Volkslebens. Ihr Humanismus ist Mammonismus,
in ihnen wird man zum Menschen erst, wenn man Geld erworben hat. Noch


Erdboden

Vererbt er ihn an den Sohn nicht nach der Forderung gleicher Teilung unter
den Kindern, sondern so. daß ein Sohn in der Lage ist, den Hof möglichst
unverkleinert dem Geschlecht zu erhalten. Aber das aus der Denkweise des
städtisch-kommerziellen Lebens erwachsene Recht fordert Gleichheit in der Erb¬
teilung der Brüder oder der Geschwister, und so wird denn das Anerbenrecht
übel angesehen, und der Bauer in Schranken gewiesen. Wollte man aber den
Bauernhof nicht bloß auf so und so viel tausend Mark einschätzen, sondern
seinen ethischen Wert für den Bauernstand und das gesamte Volk mit in
Rechnung ziehn. dann müßte man das Anerbenrecht fördern, soweit das Ge¬
wissen des Volks, des Bauern selbst es nur zuläßt.

Andre Feinde des Bauern sind der Großbesitz und das Geldkapital, die
den Bauernhof, nachdem er vom Juden ausgewuchert worden ist, vom Bauern
oder vom Wucherer aufkaufen und in den Großbetrieb aufsaugen. Das Gesetz
hat im Namen des Liberalismus das Bauernland wie den Bauern unter das
gemeine Zivilrecht gestellt. Und wie das gemeine Erbrecht nicht für den Hof¬
bauer paßt, so auch das gemeine Sachenrecht nicht für das Bauernland. Wie
hat man gegen die Latifundien gewettert! Hat man sich aber entschlossen,
zwischen Großbesitz und Bauernland einen festen Strich zu ziehn, der die Auf¬
saugung des Bauernlands durch den Großbesitz gesetzlich verhindern würde?
Nein, man hat es nicht gethan, weil Großbesitz und mobiles Kapital ein ge¬
meinsames Interesse haben, die Mobilität des Erdbodens zu erhalten, und
dann auch der leeren Theorie zuliebe, die keinen Unterschied zwischen Bauern
und Nichtbauern rechtlich festlegen will. Und die größere Schuld mag hierbei
den Großbesitz treffen, von dem man eher den weitern Blick erwarten kann
in diesen Dingen. Er Hütte im eignen Interesse an der gesetzlichen Sicherung
des Bauern im ostelbischen Lande arbeiten sollen. Er wäre dann besser ge¬
rüstet gegen den heutigen Ansturm der Theoretiker des Geldsacks, die von der
Vernichtung alles Großbesitzes so viel, ja bis zur Rettung Deutschlands und
zur Lösung der sozialen Frage erwarten.

Sonderbare Schwärmer! Sie wollen genaue Rechner, Realpolitiker sein
und gleichen doch eher denen, die vor hundert Jahren meinten, mit Hilfe der
Guillotine alle Menschen zu Gleichheit und Freiheit und Brüderlichkeit zu
führen. Wenn nun das letzte Rittergut zerschlagen, oder deutlicher gesprochen,
der letzte Edelmann nationalökonomisch guillotiniert sein wird, was dann?
Wird dann der Bauer zum Zweikindersystem greifen, um seinen Besitz nicht
zersplittern zu lassen? Und wenn nicht, wo werden diese gelehrten Herren
dann wieder Rittergüter hernehmen zum Verteilen an die jüngern Bauernsöhne?
Und wenn der letzte Hektar in Deutschland auf den höchsten Ertrag gesteigert
sein wird, wird dann die Gefahr der agrarischen Krisen nicht auch auf das
höchste Maß gesteigert sein? Diese Leute wissen eben nicht, was Erdboden
ist. Sie haben keine Wurzel in ihm und kennen den Landbauer nicht, noch
die ethische Seite des Volkslebens. Ihr Humanismus ist Mammonismus,
in ihnen wird man zum Menschen erst, wenn man Geld erworben hat. Noch


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[0277] Erdboden Vererbt er ihn an den Sohn nicht nach der Forderung gleicher Teilung unter den Kindern, sondern so. daß ein Sohn in der Lage ist, den Hof möglichst unverkleinert dem Geschlecht zu erhalten. Aber das aus der Denkweise des städtisch-kommerziellen Lebens erwachsene Recht fordert Gleichheit in der Erb¬ teilung der Brüder oder der Geschwister, und so wird denn das Anerbenrecht übel angesehen, und der Bauer in Schranken gewiesen. Wollte man aber den Bauernhof nicht bloß auf so und so viel tausend Mark einschätzen, sondern seinen ethischen Wert für den Bauernstand und das gesamte Volk mit in Rechnung ziehn. dann müßte man das Anerbenrecht fördern, soweit das Ge¬ wissen des Volks, des Bauern selbst es nur zuläßt. Andre Feinde des Bauern sind der Großbesitz und das Geldkapital, die den Bauernhof, nachdem er vom Juden ausgewuchert worden ist, vom Bauern oder vom Wucherer aufkaufen und in den Großbetrieb aufsaugen. Das Gesetz hat im Namen des Liberalismus das Bauernland wie den Bauern unter das gemeine Zivilrecht gestellt. Und wie das gemeine Erbrecht nicht für den Hof¬ bauer paßt, so auch das gemeine Sachenrecht nicht für das Bauernland. Wie hat man gegen die Latifundien gewettert! Hat man sich aber entschlossen, zwischen Großbesitz und Bauernland einen festen Strich zu ziehn, der die Auf¬ saugung des Bauernlands durch den Großbesitz gesetzlich verhindern würde? Nein, man hat es nicht gethan, weil Großbesitz und mobiles Kapital ein ge¬ meinsames Interesse haben, die Mobilität des Erdbodens zu erhalten, und dann auch der leeren Theorie zuliebe, die keinen Unterschied zwischen Bauern und Nichtbauern rechtlich festlegen will. Und die größere Schuld mag hierbei den Großbesitz treffen, von dem man eher den weitern Blick erwarten kann in diesen Dingen. Er Hütte im eignen Interesse an der gesetzlichen Sicherung des Bauern im ostelbischen Lande arbeiten sollen. Er wäre dann besser ge¬ rüstet gegen den heutigen Ansturm der Theoretiker des Geldsacks, die von der Vernichtung alles Großbesitzes so viel, ja bis zur Rettung Deutschlands und zur Lösung der sozialen Frage erwarten. Sonderbare Schwärmer! Sie wollen genaue Rechner, Realpolitiker sein und gleichen doch eher denen, die vor hundert Jahren meinten, mit Hilfe der Guillotine alle Menschen zu Gleichheit und Freiheit und Brüderlichkeit zu führen. Wenn nun das letzte Rittergut zerschlagen, oder deutlicher gesprochen, der letzte Edelmann nationalökonomisch guillotiniert sein wird, was dann? Wird dann der Bauer zum Zweikindersystem greifen, um seinen Besitz nicht zersplittern zu lassen? Und wenn nicht, wo werden diese gelehrten Herren dann wieder Rittergüter hernehmen zum Verteilen an die jüngern Bauernsöhne? Und wenn der letzte Hektar in Deutschland auf den höchsten Ertrag gesteigert sein wird, wird dann die Gefahr der agrarischen Krisen nicht auch auf das höchste Maß gesteigert sein? Diese Leute wissen eben nicht, was Erdboden ist. Sie haben keine Wurzel in ihm und kennen den Landbauer nicht, noch die ethische Seite des Volkslebens. Ihr Humanismus ist Mammonismus, in ihnen wird man zum Menschen erst, wenn man Geld erworben hat. Noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/277>, abgerufen am 22.07.2024.