Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Erdboden

freilich beide nur dann, wenn sie fest auf der Scholle sitzen und mit etwas von
der hingebenden Liebe, von der oben die Rede war, die Scholle pflegen und
bearbeiten. Der Landedelmann, der seinen Beruf nicht in dieser Arbeit sucht,
der sein Gut verpachtet oder verwalten läßt, weil er kein Interesse an der
Landwirtschaft hat und lieber in einem städtischen oder einem andern Berufe
seine Kraft bethätigt, der gehört nicht aufs Land und soll den Erdboden einem
audern abgeben, der besser hingehört. Er gehört ebenso wenig dahin als der
Geldmann, der einen Teil seiner Schätze darauf verwendet, ein Landgut zu
erwerben, auf dem er des Sommers den Landedelmann spielen kann, oder der
es kauft, um sichre Rente daraus zu ziehn. Für diese hat der Erdboden keine
sittliche Bedeutung, er ist ihnen nicht viel mehr als der Geldkasten, oder das
Landgut sinkt zur Villa herab. Ein Landadel, der nicht selbst ans seiner
Scholle arbeitet, hat kein Recht, sich darüber zu beklagen, daß er von dem
industriellen, dem Börsenkapitalisten aus dem Besitz gedrängt wird. Sie taugen
beide nicht für den Beruf des Landbesitzers, und versöhnend spricht nur zu
Gunsten des Landedelmanns die Anhänglichkeit an einen Boden, der ihm durch
Arbeit und Besitz der Vorfahren geheiligt worden ist; denn auch dieses ist eine
sittlich gute Macht. Wo auch sie fehlt, da ist der Landedelmann, der Gro߬
grundbesitzer selber zum Geldmann und sein Landgut zur Ware geworden.

Der Bauer ist stetiger, fester auf der Scholle, weil er weniger imstande
ist, einen andern Beruf zu ergreifen, und weil er in persönlicher Arbeit sichrer
als der Großbesitzer mit dem Erdboden verwächst. Und ohne Zweifel bleibt
das Volk am ehesten auf die Dauer kräftig und gesund, das einen kräftigen
Bauernstand zum Grundstein hat. Das ist nur möglich, wenn der Erdboden
dem Bauern in dauerndem und stetigem Besitz erhalten bleibt. Das erkennt
die Wissenschaft ja auch längst an. Hat sie aber nach Kräften dafür gesorgt,
daß der Staat diese Stetigkeit schaffe, erhalte?

Nichts trägt so den Charakter des Jmmobils an sich als der Erdboden.
Aber wenn dieser Charakter im natürlichen Sinne auch nicht erschüttert werden
kann, so doch im ökonomischen Sinne. Je stärker die Geldwirtschaft um sich
greift, um so mehr wird der Erdboden, wird der Landbesitz in seinem immo¬
bilem Charakter bedroht. Gesetz und Recht stellen sich auf die Seite des mo¬
bilen Kapitals und verwischen den ethischen Unterschied, der für das ganze
Volk wie für den Einzelnen zwischen mobilem Kapital und Erdboden besteht.
Mobilisierung des Erdbodens, das ist die unheilvolle Tendenz unsrer Zeit.
Und wer den Erdboden nur als Geschäftsmann ansieht, muß so reden und
handeln; wer aber auch den immateriellen Gütern ihr Recht giebt, dürfte seine
Hand nicht der Mobilisierung des Erdbodens leihn.

Überall, wo sich der Bauer frei ausleben, sich sein Recht selbst schaffen
kann, da sucht er halb instinktiv den Erdboden fest an die Familie zu binden.
Nicht bloß, wie der Mann des mobilen Kapitals vielleicht meint, aus be¬
rechnendem Eigennutz für die Erhaltung der Familie, sondern auch aus An¬
hänglichkeit an den Erdboden. Und um den Hof dem Geschlecht zu erhalten,


Erdboden

freilich beide nur dann, wenn sie fest auf der Scholle sitzen und mit etwas von
der hingebenden Liebe, von der oben die Rede war, die Scholle pflegen und
bearbeiten. Der Landedelmann, der seinen Beruf nicht in dieser Arbeit sucht,
der sein Gut verpachtet oder verwalten läßt, weil er kein Interesse an der
Landwirtschaft hat und lieber in einem städtischen oder einem andern Berufe
seine Kraft bethätigt, der gehört nicht aufs Land und soll den Erdboden einem
audern abgeben, der besser hingehört. Er gehört ebenso wenig dahin als der
Geldmann, der einen Teil seiner Schätze darauf verwendet, ein Landgut zu
erwerben, auf dem er des Sommers den Landedelmann spielen kann, oder der
es kauft, um sichre Rente daraus zu ziehn. Für diese hat der Erdboden keine
sittliche Bedeutung, er ist ihnen nicht viel mehr als der Geldkasten, oder das
Landgut sinkt zur Villa herab. Ein Landadel, der nicht selbst ans seiner
Scholle arbeitet, hat kein Recht, sich darüber zu beklagen, daß er von dem
industriellen, dem Börsenkapitalisten aus dem Besitz gedrängt wird. Sie taugen
beide nicht für den Beruf des Landbesitzers, und versöhnend spricht nur zu
Gunsten des Landedelmanns die Anhänglichkeit an einen Boden, der ihm durch
Arbeit und Besitz der Vorfahren geheiligt worden ist; denn auch dieses ist eine
sittlich gute Macht. Wo auch sie fehlt, da ist der Landedelmann, der Gro߬
grundbesitzer selber zum Geldmann und sein Landgut zur Ware geworden.

Der Bauer ist stetiger, fester auf der Scholle, weil er weniger imstande
ist, einen andern Beruf zu ergreifen, und weil er in persönlicher Arbeit sichrer
als der Großbesitzer mit dem Erdboden verwächst. Und ohne Zweifel bleibt
das Volk am ehesten auf die Dauer kräftig und gesund, das einen kräftigen
Bauernstand zum Grundstein hat. Das ist nur möglich, wenn der Erdboden
dem Bauern in dauerndem und stetigem Besitz erhalten bleibt. Das erkennt
die Wissenschaft ja auch längst an. Hat sie aber nach Kräften dafür gesorgt,
daß der Staat diese Stetigkeit schaffe, erhalte?

Nichts trägt so den Charakter des Jmmobils an sich als der Erdboden.
Aber wenn dieser Charakter im natürlichen Sinne auch nicht erschüttert werden
kann, so doch im ökonomischen Sinne. Je stärker die Geldwirtschaft um sich
greift, um so mehr wird der Erdboden, wird der Landbesitz in seinem immo¬
bilem Charakter bedroht. Gesetz und Recht stellen sich auf die Seite des mo¬
bilen Kapitals und verwischen den ethischen Unterschied, der für das ganze
Volk wie für den Einzelnen zwischen mobilem Kapital und Erdboden besteht.
Mobilisierung des Erdbodens, das ist die unheilvolle Tendenz unsrer Zeit.
Und wer den Erdboden nur als Geschäftsmann ansieht, muß so reden und
handeln; wer aber auch den immateriellen Gütern ihr Recht giebt, dürfte seine
Hand nicht der Mobilisierung des Erdbodens leihn.

Überall, wo sich der Bauer frei ausleben, sich sein Recht selbst schaffen
kann, da sucht er halb instinktiv den Erdboden fest an die Familie zu binden.
Nicht bloß, wie der Mann des mobilen Kapitals vielleicht meint, aus be¬
rechnendem Eigennutz für die Erhaltung der Familie, sondern auch aus An¬
hänglichkeit an den Erdboden. Und um den Hof dem Geschlecht zu erhalten,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290687"/>
          <fw type="header" place="top"> Erdboden</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1059" prev="#ID_1058"> freilich beide nur dann, wenn sie fest auf der Scholle sitzen und mit etwas von<lb/>
der hingebenden Liebe, von der oben die Rede war, die Scholle pflegen und<lb/>
bearbeiten. Der Landedelmann, der seinen Beruf nicht in dieser Arbeit sucht,<lb/>
der sein Gut verpachtet oder verwalten läßt, weil er kein Interesse an der<lb/>
Landwirtschaft hat und lieber in einem städtischen oder einem andern Berufe<lb/>
seine Kraft bethätigt, der gehört nicht aufs Land und soll den Erdboden einem<lb/>
audern abgeben, der besser hingehört. Er gehört ebenso wenig dahin als der<lb/>
Geldmann, der einen Teil seiner Schätze darauf verwendet, ein Landgut zu<lb/>
erwerben, auf dem er des Sommers den Landedelmann spielen kann, oder der<lb/>
es kauft, um sichre Rente daraus zu ziehn. Für diese hat der Erdboden keine<lb/>
sittliche Bedeutung, er ist ihnen nicht viel mehr als der Geldkasten, oder das<lb/>
Landgut sinkt zur Villa herab. Ein Landadel, der nicht selbst ans seiner<lb/>
Scholle arbeitet, hat kein Recht, sich darüber zu beklagen, daß er von dem<lb/>
industriellen, dem Börsenkapitalisten aus dem Besitz gedrängt wird. Sie taugen<lb/>
beide nicht für den Beruf des Landbesitzers, und versöhnend spricht nur zu<lb/>
Gunsten des Landedelmanns die Anhänglichkeit an einen Boden, der ihm durch<lb/>
Arbeit und Besitz der Vorfahren geheiligt worden ist; denn auch dieses ist eine<lb/>
sittlich gute Macht. Wo auch sie fehlt, da ist der Landedelmann, der Gro߬<lb/>
grundbesitzer selber zum Geldmann und sein Landgut zur Ware geworden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1060"> Der Bauer ist stetiger, fester auf der Scholle, weil er weniger imstande<lb/>
ist, einen andern Beruf zu ergreifen, und weil er in persönlicher Arbeit sichrer<lb/>
als der Großbesitzer mit dem Erdboden verwächst. Und ohne Zweifel bleibt<lb/>
das Volk am ehesten auf die Dauer kräftig und gesund, das einen kräftigen<lb/>
Bauernstand zum Grundstein hat. Das ist nur möglich, wenn der Erdboden<lb/>
dem Bauern in dauerndem und stetigem Besitz erhalten bleibt. Das erkennt<lb/>
die Wissenschaft ja auch längst an. Hat sie aber nach Kräften dafür gesorgt,<lb/>
daß der Staat diese Stetigkeit schaffe, erhalte?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1061"> Nichts trägt so den Charakter des Jmmobils an sich als der Erdboden.<lb/>
Aber wenn dieser Charakter im natürlichen Sinne auch nicht erschüttert werden<lb/>
kann, so doch im ökonomischen Sinne. Je stärker die Geldwirtschaft um sich<lb/>
greift, um so mehr wird der Erdboden, wird der Landbesitz in seinem immo¬<lb/>
bilem Charakter bedroht. Gesetz und Recht stellen sich auf die Seite des mo¬<lb/>
bilen Kapitals und verwischen den ethischen Unterschied, der für das ganze<lb/>
Volk wie für den Einzelnen zwischen mobilem Kapital und Erdboden besteht.<lb/>
Mobilisierung des Erdbodens, das ist die unheilvolle Tendenz unsrer Zeit.<lb/>
Und wer den Erdboden nur als Geschäftsmann ansieht, muß so reden und<lb/>
handeln; wer aber auch den immateriellen Gütern ihr Recht giebt, dürfte seine<lb/>
Hand nicht der Mobilisierung des Erdbodens leihn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1062" next="#ID_1063"> Überall, wo sich der Bauer frei ausleben, sich sein Recht selbst schaffen<lb/>
kann, da sucht er halb instinktiv den Erdboden fest an die Familie zu binden.<lb/>
Nicht bloß, wie der Mann des mobilen Kapitals vielleicht meint, aus be¬<lb/>
rechnendem Eigennutz für die Erhaltung der Familie, sondern auch aus An¬<lb/>
hänglichkeit an den Erdboden.  Und um den Hof dem Geschlecht zu erhalten,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] Erdboden freilich beide nur dann, wenn sie fest auf der Scholle sitzen und mit etwas von der hingebenden Liebe, von der oben die Rede war, die Scholle pflegen und bearbeiten. Der Landedelmann, der seinen Beruf nicht in dieser Arbeit sucht, der sein Gut verpachtet oder verwalten läßt, weil er kein Interesse an der Landwirtschaft hat und lieber in einem städtischen oder einem andern Berufe seine Kraft bethätigt, der gehört nicht aufs Land und soll den Erdboden einem audern abgeben, der besser hingehört. Er gehört ebenso wenig dahin als der Geldmann, der einen Teil seiner Schätze darauf verwendet, ein Landgut zu erwerben, auf dem er des Sommers den Landedelmann spielen kann, oder der es kauft, um sichre Rente daraus zu ziehn. Für diese hat der Erdboden keine sittliche Bedeutung, er ist ihnen nicht viel mehr als der Geldkasten, oder das Landgut sinkt zur Villa herab. Ein Landadel, der nicht selbst ans seiner Scholle arbeitet, hat kein Recht, sich darüber zu beklagen, daß er von dem industriellen, dem Börsenkapitalisten aus dem Besitz gedrängt wird. Sie taugen beide nicht für den Beruf des Landbesitzers, und versöhnend spricht nur zu Gunsten des Landedelmanns die Anhänglichkeit an einen Boden, der ihm durch Arbeit und Besitz der Vorfahren geheiligt worden ist; denn auch dieses ist eine sittlich gute Macht. Wo auch sie fehlt, da ist der Landedelmann, der Gro߬ grundbesitzer selber zum Geldmann und sein Landgut zur Ware geworden. Der Bauer ist stetiger, fester auf der Scholle, weil er weniger imstande ist, einen andern Beruf zu ergreifen, und weil er in persönlicher Arbeit sichrer als der Großbesitzer mit dem Erdboden verwächst. Und ohne Zweifel bleibt das Volk am ehesten auf die Dauer kräftig und gesund, das einen kräftigen Bauernstand zum Grundstein hat. Das ist nur möglich, wenn der Erdboden dem Bauern in dauerndem und stetigem Besitz erhalten bleibt. Das erkennt die Wissenschaft ja auch längst an. Hat sie aber nach Kräften dafür gesorgt, daß der Staat diese Stetigkeit schaffe, erhalte? Nichts trägt so den Charakter des Jmmobils an sich als der Erdboden. Aber wenn dieser Charakter im natürlichen Sinne auch nicht erschüttert werden kann, so doch im ökonomischen Sinne. Je stärker die Geldwirtschaft um sich greift, um so mehr wird der Erdboden, wird der Landbesitz in seinem immo¬ bilem Charakter bedroht. Gesetz und Recht stellen sich auf die Seite des mo¬ bilen Kapitals und verwischen den ethischen Unterschied, der für das ganze Volk wie für den Einzelnen zwischen mobilem Kapital und Erdboden besteht. Mobilisierung des Erdbodens, das ist die unheilvolle Tendenz unsrer Zeit. Und wer den Erdboden nur als Geschäftsmann ansieht, muß so reden und handeln; wer aber auch den immateriellen Gütern ihr Recht giebt, dürfte seine Hand nicht der Mobilisierung des Erdbodens leihn. Überall, wo sich der Bauer frei ausleben, sich sein Recht selbst schaffen kann, da sucht er halb instinktiv den Erdboden fest an die Familie zu binden. Nicht bloß, wie der Mann des mobilen Kapitals vielleicht meint, aus be¬ rechnendem Eigennutz für die Erhaltung der Familie, sondern auch aus An¬ hänglichkeit an den Erdboden. Und um den Hof dem Geschlecht zu erhalten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/276>, abgerufen am 24.08.2024.