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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Hafen von Syrakus zu schauen. Was wir bisher uur als Bruchstücke gesehen
haben, das schließt sich jetzt zu einem Ganzen zusammen, hundert Jugend¬
erinnerungen aus der Schul- und Studienzeit werden uns lebendig, und
wenn wir dann daheim im Unterricht darauf zu reden kommen, dann wird
es uns wie ein warmer Strom glücklicher Erinnerungen überfluten, farbige,
sonnige Bilder steigen vor unserm innern Auge auf, und von dem Glänze und
der Wärme in uns wird vielleicht auch etwas in Phantasie und Herz unsrer
Schüler übergehn.

Selbst plastische Werke, die wir doch daheim in Gipsabgüssen und vor¬
trefflichen Nachbildungen betrachten können, nehmen sich ganz anders aus in
den Originalen, in dem gelblichen Marmor und der grüngoldnen Bronze, in
den Prachtsälen des Vatikans, der Florentiner Uffizien, des Museums von
Neapel. Welcher Eindruck, das majestätische Reiterstandbild Marc Aurels auf
dem Kapitolsplatz inmitten der stolzen Renaissancepaläste Michelangelos, oder
die Bronzesäle in Neapel, die Sala rotonda im Vatikan! Was der antike
Bronzeguß in Kunstwerken und Hausgeräten zu leisten vermochte, und wie die
Kunst das ganze Leben dieser Völker dnrchdmng und verklärte, das lernen wir
erst dort. Was sind dann alle Nachbildungen der Alexanderschlacht, des größten
antiken Historiengemäldes, gegen das Originalmosaik in Neapel! Und mögen
die Wandgemälde in Pompeji vielfach verblaßt und beschädigt sein, es ist doch
ein ander Ding, sie an den Wänden dieser Zimmer, in ihrer alten Umgebung
selbst zu sehen, als in noch so gelungner und aufgefrischten Nachbildungen.
Ich werde niemals den Eindruck vergessen, als vor fünf Jahren in einem so¬
eben ciusgegrnbnen Zimmer der Casa Vetti zu Pompeji unter der sorglich
reinigenden Hand eines Arbeiters in frischen Farben Zug für Zug ein großes
Wandgemälde hervortrat, das seit 1816 Jahren, seitdem an dem grauenvollen
24. August des Jahres 79 der Besitzer dieses reichen schönen Hauses unter
dem rauschenden Aschenregen und den dunkelroten Blitzen des tobenden Vulkans
aus seinem Eigentum hinaus in die schwarze Nacht geflüchtet war, keines
Menschen Auge mehr geschaut hatte.

Und nun die Menschen! Trotz aller Zeitenstürme und aller fremden Zu-
wandruugen hat sich die innerste Natur des Volks weder in Griechenland noch
in Italien derart verändert, daß man sagen könnte, es lebe dort jetzt wirklich
ein ganz andres Volk. Die nordamerikanischen Indianer sind bis auf geringe
Reste ausgestorben, die alten Jtaliker und Hellenen' sind es nicht. Sie mögen
unter dem Drucke der Fremdherrschaft und des Unglücks manche guten Eigen¬
schaften verloren, manche schlechten gesteigert oder neu erworben haben, aber
im Kerne sind sie dieselben geblieben, und sie haben alle fremden Elemente
aufgesogen. Nur freilich dürfen wir auf den Straßen von Rom und Neapel,
von Athen und Syrakus nicht Gestalten aus den Dramen des Sophokles oder
lauter Männer wie die Scipionen und Catonen zu sehen erwarten, sondern
Menschen, wie sie Plautus und Terenz in ihren Komödien, Horaz in seinen
Satiren, Aristophanes in seinen Lustspielen. Xenophon in seinem Symposion,


Grenzboten II 1900 3
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Hafen von Syrakus zu schauen. Was wir bisher uur als Bruchstücke gesehen
haben, das schließt sich jetzt zu einem Ganzen zusammen, hundert Jugend¬
erinnerungen aus der Schul- und Studienzeit werden uns lebendig, und
wenn wir dann daheim im Unterricht darauf zu reden kommen, dann wird
es uns wie ein warmer Strom glücklicher Erinnerungen überfluten, farbige,
sonnige Bilder steigen vor unserm innern Auge auf, und von dem Glänze und
der Wärme in uns wird vielleicht auch etwas in Phantasie und Herz unsrer
Schüler übergehn.

Selbst plastische Werke, die wir doch daheim in Gipsabgüssen und vor¬
trefflichen Nachbildungen betrachten können, nehmen sich ganz anders aus in
den Originalen, in dem gelblichen Marmor und der grüngoldnen Bronze, in
den Prachtsälen des Vatikans, der Florentiner Uffizien, des Museums von
Neapel. Welcher Eindruck, das majestätische Reiterstandbild Marc Aurels auf
dem Kapitolsplatz inmitten der stolzen Renaissancepaläste Michelangelos, oder
die Bronzesäle in Neapel, die Sala rotonda im Vatikan! Was der antike
Bronzeguß in Kunstwerken und Hausgeräten zu leisten vermochte, und wie die
Kunst das ganze Leben dieser Völker dnrchdmng und verklärte, das lernen wir
erst dort. Was sind dann alle Nachbildungen der Alexanderschlacht, des größten
antiken Historiengemäldes, gegen das Originalmosaik in Neapel! Und mögen
die Wandgemälde in Pompeji vielfach verblaßt und beschädigt sein, es ist doch
ein ander Ding, sie an den Wänden dieser Zimmer, in ihrer alten Umgebung
selbst zu sehen, als in noch so gelungner und aufgefrischten Nachbildungen.
Ich werde niemals den Eindruck vergessen, als vor fünf Jahren in einem so¬
eben ciusgegrnbnen Zimmer der Casa Vetti zu Pompeji unter der sorglich
reinigenden Hand eines Arbeiters in frischen Farben Zug für Zug ein großes
Wandgemälde hervortrat, das seit 1816 Jahren, seitdem an dem grauenvollen
24. August des Jahres 79 der Besitzer dieses reichen schönen Hauses unter
dem rauschenden Aschenregen und den dunkelroten Blitzen des tobenden Vulkans
aus seinem Eigentum hinaus in die schwarze Nacht geflüchtet war, keines
Menschen Auge mehr geschaut hatte.

Und nun die Menschen! Trotz aller Zeitenstürme und aller fremden Zu-
wandruugen hat sich die innerste Natur des Volks weder in Griechenland noch
in Italien derart verändert, daß man sagen könnte, es lebe dort jetzt wirklich
ein ganz andres Volk. Die nordamerikanischen Indianer sind bis auf geringe
Reste ausgestorben, die alten Jtaliker und Hellenen' sind es nicht. Sie mögen
unter dem Drucke der Fremdherrschaft und des Unglücks manche guten Eigen¬
schaften verloren, manche schlechten gesteigert oder neu erworben haben, aber
im Kerne sind sie dieselben geblieben, und sie haben alle fremden Elemente
aufgesogen. Nur freilich dürfen wir auf den Straßen von Rom und Neapel,
von Athen und Syrakus nicht Gestalten aus den Dramen des Sophokles oder
lauter Männer wie die Scipionen und Catonen zu sehen erwarten, sondern
Menschen, wie sie Plautus und Terenz in ihren Komödien, Horaz in seinen
Satiren, Aristophanes in seinen Lustspielen. Xenophon in seinem Symposion,


Grenzboten II 1900 3
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[0025] Line Gntlassungsrede Hafen von Syrakus zu schauen. Was wir bisher uur als Bruchstücke gesehen haben, das schließt sich jetzt zu einem Ganzen zusammen, hundert Jugend¬ erinnerungen aus der Schul- und Studienzeit werden uns lebendig, und wenn wir dann daheim im Unterricht darauf zu reden kommen, dann wird es uns wie ein warmer Strom glücklicher Erinnerungen überfluten, farbige, sonnige Bilder steigen vor unserm innern Auge auf, und von dem Glänze und der Wärme in uns wird vielleicht auch etwas in Phantasie und Herz unsrer Schüler übergehn. Selbst plastische Werke, die wir doch daheim in Gipsabgüssen und vor¬ trefflichen Nachbildungen betrachten können, nehmen sich ganz anders aus in den Originalen, in dem gelblichen Marmor und der grüngoldnen Bronze, in den Prachtsälen des Vatikans, der Florentiner Uffizien, des Museums von Neapel. Welcher Eindruck, das majestätische Reiterstandbild Marc Aurels auf dem Kapitolsplatz inmitten der stolzen Renaissancepaläste Michelangelos, oder die Bronzesäle in Neapel, die Sala rotonda im Vatikan! Was der antike Bronzeguß in Kunstwerken und Hausgeräten zu leisten vermochte, und wie die Kunst das ganze Leben dieser Völker dnrchdmng und verklärte, das lernen wir erst dort. Was sind dann alle Nachbildungen der Alexanderschlacht, des größten antiken Historiengemäldes, gegen das Originalmosaik in Neapel! Und mögen die Wandgemälde in Pompeji vielfach verblaßt und beschädigt sein, es ist doch ein ander Ding, sie an den Wänden dieser Zimmer, in ihrer alten Umgebung selbst zu sehen, als in noch so gelungner und aufgefrischten Nachbildungen. Ich werde niemals den Eindruck vergessen, als vor fünf Jahren in einem so¬ eben ciusgegrnbnen Zimmer der Casa Vetti zu Pompeji unter der sorglich reinigenden Hand eines Arbeiters in frischen Farben Zug für Zug ein großes Wandgemälde hervortrat, das seit 1816 Jahren, seitdem an dem grauenvollen 24. August des Jahres 79 der Besitzer dieses reichen schönen Hauses unter dem rauschenden Aschenregen und den dunkelroten Blitzen des tobenden Vulkans aus seinem Eigentum hinaus in die schwarze Nacht geflüchtet war, keines Menschen Auge mehr geschaut hatte. Und nun die Menschen! Trotz aller Zeitenstürme und aller fremden Zu- wandruugen hat sich die innerste Natur des Volks weder in Griechenland noch in Italien derart verändert, daß man sagen könnte, es lebe dort jetzt wirklich ein ganz andres Volk. Die nordamerikanischen Indianer sind bis auf geringe Reste ausgestorben, die alten Jtaliker und Hellenen' sind es nicht. Sie mögen unter dem Drucke der Fremdherrschaft und des Unglücks manche guten Eigen¬ schaften verloren, manche schlechten gesteigert oder neu erworben haben, aber im Kerne sind sie dieselben geblieben, und sie haben alle fremden Elemente aufgesogen. Nur freilich dürfen wir auf den Straßen von Rom und Neapel, von Athen und Syrakus nicht Gestalten aus den Dramen des Sophokles oder lauter Männer wie die Scipionen und Catonen zu sehen erwarten, sondern Menschen, wie sie Plautus und Terenz in ihren Komödien, Horaz in seinen Satiren, Aristophanes in seinen Lustspielen. Xenophon in seinem Symposion, Grenzboten II 1900 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/25>, abgerufen am 01.07.2024.