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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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technisch, aber nicht ästhetisch Großen, d. h. gegen die Barbarei, denn Menschen,
für die etwa die Hängebrücke zwischen New-Dort und Brooklyn oder eineSchnell-
zngslokomotive etwas Höheres ist als der Parthenon oder der Hermes von
Olympia, die sind trotz aller technischen Fortschritte und aller äußerlichen
Zivilisation Barbaren. Drittens zeigt uns das Altertum bei aller Freiheit
und Vielseitigkeit der individuellen Entwicklung doch eine Unterordnung des
Einzelnen unter das große Ganze des Staats, eine solche Hingebung gerade
der größten und besten Menschen an die idealen Güter, daß dieser Anblick
für eine zu Schranken- und sinnlosem Individualismus und zum brutalen
Geldverdienen so sehr hinneigende Zeit wie die unsre ein nur allzunotwen¬
diges Korrektiv ist. Beseitigt das alles nur aus unsrer höhern Jugend¬
bildung aus Rücksicht auf den "praktischen Nutzen," und ihr werdet Menschen,
die noch für Vaterland und Monarchie eintreten und Opfer bringen, künftig
mit der Laterne suchen können! Denn Geld kann man auch in einer Republik
verdienen und auch im Auslande. Uol osns, loi Mria. Wenn wir Deutschen
in unsrer Bildung veramerikanern, d. h. veroberflächlichen, wenn an unsre
Spitze einmal Ehrenmänner treten wie die, die den ruchlosen südafrikanischen
Krieg ans Gier nach Gold und Diamanten angezettelt haben, dann sind wir
verloren, denn um rücksichtsloser Brutalität und gewissenloser Schlauheit werden
wir es den Angelsachsen diesseits und jenseits des Atlantischen Ozeans niemals
gleichthun, dazu haben wir doch noch zu viel Gemüt.

Das mag alles sein, werden die "Reformer" entgegnen, aber wir haben
eben keine Zeit mehr, unsre Jugend so tief in das klassische Altertum einzu¬
führen, daß es diese Bedeutung für sie gewinnen könnte; wir brauchen die
Zeit zur Schulung fürs Leben, und wir müssen Deutsche, nicht Griechen und
Römer, erziehn. Dafür geben uns die vaterländische Geschichte und Litteratur
eine genügende idealistische Grundlage. Ihr habt keine Zeit für das Not¬
wendigste, keine Zeit für das Maß von sittlicher und ästhetischer Bildung, das
uns vor der zivilisierten Barbarei, der schlimmsten von allen, bewahrt? Ist denn
Bildung bloß die Ausrüstung mit Kenntnissen und Fertigkeiten für das soge¬
nannte praktische Leben, oder ist nicht vielmehr gerade ein gewisses Maß von
sittlicher und ästhetischer Kultur die beste Mitgift für das praktische Leben?
Falls ihr nämlich überhaupt noch eine höhere Bestimmung des Menschen über
den materiellen Erwerb und Genuß hinaus anerkennt, und das thut ihr doch
Wohl. Der Litteratur und der Geschichte unsers Volkes aber fehlt -- bei aller
Liebe für sie muß das gesagt werden -- gerade das, was das klassische Altertum
auszeichnet, sie kann dieses also nicht ersetzen. Und hat denn das Gym¬
nasium seine Pflichten gegen die Nation bisher nicht redlich erfüllt? Ist
nicht aus ihm ein guter Teil der Generation hervorgegangen, die 1870/71
gemacht hat? Ist denn unser Welthandel und unsre Weltpolitik nicht auf
der Grundlage des Schulwesens erwachsen, wie es bis jetzt besteht? Es ist ja
geradezu Unsinn, dem Gymnasium vorzuwerfen, daß es über Griechenland und
Rom das Vaterland vergessen habe. Der vaterländische und der für uns
damit unzertrennbar verbundne monarchische Gedanke haben keine bessere Pfleg-


technisch, aber nicht ästhetisch Großen, d. h. gegen die Barbarei, denn Menschen,
für die etwa die Hängebrücke zwischen New-Dort und Brooklyn oder eineSchnell-
zngslokomotive etwas Höheres ist als der Parthenon oder der Hermes von
Olympia, die sind trotz aller technischen Fortschritte und aller äußerlichen
Zivilisation Barbaren. Drittens zeigt uns das Altertum bei aller Freiheit
und Vielseitigkeit der individuellen Entwicklung doch eine Unterordnung des
Einzelnen unter das große Ganze des Staats, eine solche Hingebung gerade
der größten und besten Menschen an die idealen Güter, daß dieser Anblick
für eine zu Schranken- und sinnlosem Individualismus und zum brutalen
Geldverdienen so sehr hinneigende Zeit wie die unsre ein nur allzunotwen¬
diges Korrektiv ist. Beseitigt das alles nur aus unsrer höhern Jugend¬
bildung aus Rücksicht auf den „praktischen Nutzen," und ihr werdet Menschen,
die noch für Vaterland und Monarchie eintreten und Opfer bringen, künftig
mit der Laterne suchen können! Denn Geld kann man auch in einer Republik
verdienen und auch im Auslande. Uol osns, loi Mria. Wenn wir Deutschen
in unsrer Bildung veramerikanern, d. h. veroberflächlichen, wenn an unsre
Spitze einmal Ehrenmänner treten wie die, die den ruchlosen südafrikanischen
Krieg ans Gier nach Gold und Diamanten angezettelt haben, dann sind wir
verloren, denn um rücksichtsloser Brutalität und gewissenloser Schlauheit werden
wir es den Angelsachsen diesseits und jenseits des Atlantischen Ozeans niemals
gleichthun, dazu haben wir doch noch zu viel Gemüt.

Das mag alles sein, werden die „Reformer" entgegnen, aber wir haben
eben keine Zeit mehr, unsre Jugend so tief in das klassische Altertum einzu¬
führen, daß es diese Bedeutung für sie gewinnen könnte; wir brauchen die
Zeit zur Schulung fürs Leben, und wir müssen Deutsche, nicht Griechen und
Römer, erziehn. Dafür geben uns die vaterländische Geschichte und Litteratur
eine genügende idealistische Grundlage. Ihr habt keine Zeit für das Not¬
wendigste, keine Zeit für das Maß von sittlicher und ästhetischer Bildung, das
uns vor der zivilisierten Barbarei, der schlimmsten von allen, bewahrt? Ist denn
Bildung bloß die Ausrüstung mit Kenntnissen und Fertigkeiten für das soge¬
nannte praktische Leben, oder ist nicht vielmehr gerade ein gewisses Maß von
sittlicher und ästhetischer Kultur die beste Mitgift für das praktische Leben?
Falls ihr nämlich überhaupt noch eine höhere Bestimmung des Menschen über
den materiellen Erwerb und Genuß hinaus anerkennt, und das thut ihr doch
Wohl. Der Litteratur und der Geschichte unsers Volkes aber fehlt — bei aller
Liebe für sie muß das gesagt werden — gerade das, was das klassische Altertum
auszeichnet, sie kann dieses also nicht ersetzen. Und hat denn das Gym¬
nasium seine Pflichten gegen die Nation bisher nicht redlich erfüllt? Ist
nicht aus ihm ein guter Teil der Generation hervorgegangen, die 1870/71
gemacht hat? Ist denn unser Welthandel und unsre Weltpolitik nicht auf
der Grundlage des Schulwesens erwachsen, wie es bis jetzt besteht? Es ist ja
geradezu Unsinn, dem Gymnasium vorzuwerfen, daß es über Griechenland und
Rom das Vaterland vergessen habe. Der vaterländische und der für uns
damit unzertrennbar verbundne monarchische Gedanke haben keine bessere Pfleg-


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[0243] technisch, aber nicht ästhetisch Großen, d. h. gegen die Barbarei, denn Menschen, für die etwa die Hängebrücke zwischen New-Dort und Brooklyn oder eineSchnell- zngslokomotive etwas Höheres ist als der Parthenon oder der Hermes von Olympia, die sind trotz aller technischen Fortschritte und aller äußerlichen Zivilisation Barbaren. Drittens zeigt uns das Altertum bei aller Freiheit und Vielseitigkeit der individuellen Entwicklung doch eine Unterordnung des Einzelnen unter das große Ganze des Staats, eine solche Hingebung gerade der größten und besten Menschen an die idealen Güter, daß dieser Anblick für eine zu Schranken- und sinnlosem Individualismus und zum brutalen Geldverdienen so sehr hinneigende Zeit wie die unsre ein nur allzunotwen¬ diges Korrektiv ist. Beseitigt das alles nur aus unsrer höhern Jugend¬ bildung aus Rücksicht auf den „praktischen Nutzen," und ihr werdet Menschen, die noch für Vaterland und Monarchie eintreten und Opfer bringen, künftig mit der Laterne suchen können! Denn Geld kann man auch in einer Republik verdienen und auch im Auslande. Uol osns, loi Mria. Wenn wir Deutschen in unsrer Bildung veramerikanern, d. h. veroberflächlichen, wenn an unsre Spitze einmal Ehrenmänner treten wie die, die den ruchlosen südafrikanischen Krieg ans Gier nach Gold und Diamanten angezettelt haben, dann sind wir verloren, denn um rücksichtsloser Brutalität und gewissenloser Schlauheit werden wir es den Angelsachsen diesseits und jenseits des Atlantischen Ozeans niemals gleichthun, dazu haben wir doch noch zu viel Gemüt. Das mag alles sein, werden die „Reformer" entgegnen, aber wir haben eben keine Zeit mehr, unsre Jugend so tief in das klassische Altertum einzu¬ führen, daß es diese Bedeutung für sie gewinnen könnte; wir brauchen die Zeit zur Schulung fürs Leben, und wir müssen Deutsche, nicht Griechen und Römer, erziehn. Dafür geben uns die vaterländische Geschichte und Litteratur eine genügende idealistische Grundlage. Ihr habt keine Zeit für das Not¬ wendigste, keine Zeit für das Maß von sittlicher und ästhetischer Bildung, das uns vor der zivilisierten Barbarei, der schlimmsten von allen, bewahrt? Ist denn Bildung bloß die Ausrüstung mit Kenntnissen und Fertigkeiten für das soge¬ nannte praktische Leben, oder ist nicht vielmehr gerade ein gewisses Maß von sittlicher und ästhetischer Kultur die beste Mitgift für das praktische Leben? Falls ihr nämlich überhaupt noch eine höhere Bestimmung des Menschen über den materiellen Erwerb und Genuß hinaus anerkennt, und das thut ihr doch Wohl. Der Litteratur und der Geschichte unsers Volkes aber fehlt — bei aller Liebe für sie muß das gesagt werden — gerade das, was das klassische Altertum auszeichnet, sie kann dieses also nicht ersetzen. Und hat denn das Gym¬ nasium seine Pflichten gegen die Nation bisher nicht redlich erfüllt? Ist nicht aus ihm ein guter Teil der Generation hervorgegangen, die 1870/71 gemacht hat? Ist denn unser Welthandel und unsre Weltpolitik nicht auf der Grundlage des Schulwesens erwachsen, wie es bis jetzt besteht? Es ist ja geradezu Unsinn, dem Gymnasium vorzuwerfen, daß es über Griechenland und Rom das Vaterland vergessen habe. Der vaterländische und der für uns damit unzertrennbar verbundne monarchische Gedanke haben keine bessere Pfleg-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/243>, abgerufen am 03.07.2024.