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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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auch der modernen Philologie, von der klassischen Philologie und der Theologie
ganz zu schweigen, mit jungen Leuten anfange", denen sogar das Lateinische
fehlt? Entweder muß er sich auf den ganz elementaren Standpunkt stellen,
daß er ihnen jedes lateinische oder griechische Wort erklärt, was nun wieder
die andern besser unterrichteten Zuhörer langweilt und aufhält, oder er muß
sie beiseite liege" lassen, und sie werden fortwährend die Empfindung haben,
daß sie mangelhaft vorbereitet, Studenten zweiter Klasse seien. Kurz, der
ganze Vorschlag ist so unsinnig, daß er sich selbst richtet. Mag man den
Oberrealschulabiturientcn alle möglichen mathematisch - naturwissenschaftlichen
Fächer freigeben, auf die Universität gehören sie nicht, und die äußerlich
gleiche Berechtigung zum Studium der Geisteswissenschaften gebührt ihnen
nicht, weil ihnen die innerliche fehlt.

Doch lassen wir diese Frage, die entschieden ist, sobald man sie aufwirft,
beiseite und fassen die zweite Forderung ins Auge, den gemeinsamen lateiu-
lvsen Unterbau für alle höhern Schulen, also offenbar auch für die Real¬
schulen. In der Verbindung beider Forderungen steckt an sich ein Widerspruch;
denn wenn alle neuutlassigeu höhern Schulen dieselben Berechtigungen gewähren,
dann wird ja die Erleichterung der Eltern, die mau durch den gemeinsame,,
Unterbau erreichen will, nämlich sich erst in spätern Jahren über den künftigen
Beruf ihrer Söhne entscheiden zu müssen, schon auf diesem Wege wenigstens
für die neunklassigen Schulgattuugeu erreicht, für die lateinlosen Realschulen
allerdings nicht, aber bei diesen läßt sich dnrch Progymnasialklasse" mit Latein
der Übergang auf lateintreibende Anstalten ermöglichen. Was spricht denn
"un für den' gemeinsame" lateinlosen dreiklassigeu Unterban? schlechterdings
gar nichts als der Wunsch der Eltern, die Entscheidung über den Lebensweg
ihrer Söhne um einige Jahre, d. h. um ganze drei Jahre, hinauszuschiebe",
"tho ein ganz äußerlicher Grund, der nicht einmal besonders stichhaltig ist.
Denn ein'Übergang zwischen Gymnasium und Realgymnasium, und von beiden
auf die Realschule oder umgekehrt, ist in den untern Klassen bei einiger Nach¬
hilfe auch heute schou recht wohl möglich, wie eine vielfältige Erfahrung be¬
weist, und ob ein Knabe sich besser für die sprachlich-historischen oder für die
mathematisch-naturwissenschnftlichen Fächer eignet, das kann mau schon i" den
ersten Jahren erkennen. Mag sein, daß in kleinern Städten, die nur eure sehn -
gattuny haben, der dann etwa wünschenswerte Übergang zu eurer andern Schul-
gattuug erschwert wird, weil er die Eltern nötigt, ihre Söhne in eme andre
Stadt zu schicken, sie aus dem Hause zu geben; aber mit demselben Rechte
könnte sich darüber auch der Landpfarrer, der Gutsbesitzer. der Forster^urz
jeder, der auf dem platten Lande wohnt, beschweren, und doch wrrd kein Mensch
verlangen, daß jedem dieser Väter höhere Schulen der verschieden Gattungen
in erreichbare Nähe gesetzt werden; dazu würden denn doch Geld- und Lehr¬
kräfte fehlen. Eine Gleichheit der Bequemlichkeiten läßt sich eben denn besten
Willen nicht durchsetzen. . >

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Innere Grüude, pädagogische Gründe für diesen gemeinsamen lateinlosen
Unterbau giebt es nicht; was man davon etwa vorzubringen versucht, ist fade"-


auch der modernen Philologie, von der klassischen Philologie und der Theologie
ganz zu schweigen, mit jungen Leuten anfange», denen sogar das Lateinische
fehlt? Entweder muß er sich auf den ganz elementaren Standpunkt stellen,
daß er ihnen jedes lateinische oder griechische Wort erklärt, was nun wieder
die andern besser unterrichteten Zuhörer langweilt und aufhält, oder er muß
sie beiseite liege» lassen, und sie werden fortwährend die Empfindung haben,
daß sie mangelhaft vorbereitet, Studenten zweiter Klasse seien. Kurz, der
ganze Vorschlag ist so unsinnig, daß er sich selbst richtet. Mag man den
Oberrealschulabiturientcn alle möglichen mathematisch - naturwissenschaftlichen
Fächer freigeben, auf die Universität gehören sie nicht, und die äußerlich
gleiche Berechtigung zum Studium der Geisteswissenschaften gebührt ihnen
nicht, weil ihnen die innerliche fehlt.

Doch lassen wir diese Frage, die entschieden ist, sobald man sie aufwirft,
beiseite und fassen die zweite Forderung ins Auge, den gemeinsamen lateiu-
lvsen Unterbau für alle höhern Schulen, also offenbar auch für die Real¬
schulen. In der Verbindung beider Forderungen steckt an sich ein Widerspruch;
denn wenn alle neuutlassigeu höhern Schulen dieselben Berechtigungen gewähren,
dann wird ja die Erleichterung der Eltern, die mau durch den gemeinsame,,
Unterbau erreichen will, nämlich sich erst in spätern Jahren über den künftigen
Beruf ihrer Söhne entscheiden zu müssen, schon auf diesem Wege wenigstens
für die neunklassigen Schulgattuugeu erreicht, für die lateinlosen Realschulen
allerdings nicht, aber bei diesen läßt sich dnrch Progymnasialklasse» mit Latein
der Übergang auf lateintreibende Anstalten ermöglichen. Was spricht denn
»un für den' gemeinsame» lateinlosen dreiklassigeu Unterban? schlechterdings
gar nichts als der Wunsch der Eltern, die Entscheidung über den Lebensweg
ihrer Söhne um einige Jahre, d. h. um ganze drei Jahre, hinauszuschiebe»,
"tho ein ganz äußerlicher Grund, der nicht einmal besonders stichhaltig ist.
Denn ein'Übergang zwischen Gymnasium und Realgymnasium, und von beiden
auf die Realschule oder umgekehrt, ist in den untern Klassen bei einiger Nach¬
hilfe auch heute schou recht wohl möglich, wie eine vielfältige Erfahrung be¬
weist, und ob ein Knabe sich besser für die sprachlich-historischen oder für die
mathematisch-naturwissenschnftlichen Fächer eignet, das kann mau schon i» den
ersten Jahren erkennen. Mag sein, daß in kleinern Städten, die nur eure sehn -
gattuny haben, der dann etwa wünschenswerte Übergang zu eurer andern Schul-
gattuug erschwert wird, weil er die Eltern nötigt, ihre Söhne in eme andre
Stadt zu schicken, sie aus dem Hause zu geben; aber mit demselben Rechte
könnte sich darüber auch der Landpfarrer, der Gutsbesitzer. der Forster^urz
jeder, der auf dem platten Lande wohnt, beschweren, und doch wrrd kein Mensch
verlangen, daß jedem dieser Väter höhere Schulen der verschieden Gattungen
in erreichbare Nähe gesetzt werden; dazu würden denn doch Geld- und Lehr¬
kräfte fehlen. Eine Gleichheit der Bequemlichkeiten läßt sich eben denn besten
Willen nicht durchsetzen. . >

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Innere Grüude, pädagogische Gründe für diesen gemeinsamen lateinlosen
Unterbau giebt es nicht; was man davon etwa vorzubringen versucht, ist fade»-


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[0239] auch der modernen Philologie, von der klassischen Philologie und der Theologie ganz zu schweigen, mit jungen Leuten anfange», denen sogar das Lateinische fehlt? Entweder muß er sich auf den ganz elementaren Standpunkt stellen, daß er ihnen jedes lateinische oder griechische Wort erklärt, was nun wieder die andern besser unterrichteten Zuhörer langweilt und aufhält, oder er muß sie beiseite liege» lassen, und sie werden fortwährend die Empfindung haben, daß sie mangelhaft vorbereitet, Studenten zweiter Klasse seien. Kurz, der ganze Vorschlag ist so unsinnig, daß er sich selbst richtet. Mag man den Oberrealschulabiturientcn alle möglichen mathematisch - naturwissenschaftlichen Fächer freigeben, auf die Universität gehören sie nicht, und die äußerlich gleiche Berechtigung zum Studium der Geisteswissenschaften gebührt ihnen nicht, weil ihnen die innerliche fehlt. Doch lassen wir diese Frage, die entschieden ist, sobald man sie aufwirft, beiseite und fassen die zweite Forderung ins Auge, den gemeinsamen lateiu- lvsen Unterbau für alle höhern Schulen, also offenbar auch für die Real¬ schulen. In der Verbindung beider Forderungen steckt an sich ein Widerspruch; denn wenn alle neuutlassigeu höhern Schulen dieselben Berechtigungen gewähren, dann wird ja die Erleichterung der Eltern, die mau durch den gemeinsame,, Unterbau erreichen will, nämlich sich erst in spätern Jahren über den künftigen Beruf ihrer Söhne entscheiden zu müssen, schon auf diesem Wege wenigstens für die neunklassigen Schulgattuugeu erreicht, für die lateinlosen Realschulen allerdings nicht, aber bei diesen läßt sich dnrch Progymnasialklasse» mit Latein der Übergang auf lateintreibende Anstalten ermöglichen. Was spricht denn »un für den' gemeinsame» lateinlosen dreiklassigeu Unterban? schlechterdings gar nichts als der Wunsch der Eltern, die Entscheidung über den Lebensweg ihrer Söhne um einige Jahre, d. h. um ganze drei Jahre, hinauszuschiebe», "tho ein ganz äußerlicher Grund, der nicht einmal besonders stichhaltig ist. Denn ein'Übergang zwischen Gymnasium und Realgymnasium, und von beiden auf die Realschule oder umgekehrt, ist in den untern Klassen bei einiger Nach¬ hilfe auch heute schou recht wohl möglich, wie eine vielfältige Erfahrung be¬ weist, und ob ein Knabe sich besser für die sprachlich-historischen oder für die mathematisch-naturwissenschnftlichen Fächer eignet, das kann mau schon i» den ersten Jahren erkennen. Mag sein, daß in kleinern Städten, die nur eure sehn - gattuny haben, der dann etwa wünschenswerte Übergang zu eurer andern Schul- gattuug erschwert wird, weil er die Eltern nötigt, ihre Söhne in eme andre Stadt zu schicken, sie aus dem Hause zu geben; aber mit demselben Rechte könnte sich darüber auch der Landpfarrer, der Gutsbesitzer. der Forster^urz jeder, der auf dem platten Lande wohnt, beschweren, und doch wrrd kein Mensch verlangen, daß jedem dieser Väter höhere Schulen der verschieden Gattungen in erreichbare Nähe gesetzt werden; dazu würden denn doch Geld- und Lehr¬ kräfte fehlen. Eine Gleichheit der Bequemlichkeiten läßt sich eben denn besten Willen nicht durchsetzen. . > ^,.<c Innere Grüude, pädagogische Gründe für diesen gemeinsamen lateinlosen Unterbau giebt es nicht; was man davon etwa vorzubringen versucht, ist fade»-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/239>, abgerufen am 03.07.2024.