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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Wohin gehen wir?

körperlicher und seelischer Grausamkeit gegen Mitmenschen, und nicht bloß gegen
solche von niedrer Rasse" (S. 392). Und es ist nur natürlich, daß der harte
englische Geschäftsmann als Herr unterwürfiger Hindus oder rachsüchtiger,
heimtückischer, kräftiger Neger jegliche Gefühlsregung bei der Verfolgung seines
Vorteils hinter die Geldgier oder die eigne Sicherheit zurückstellt. Wenn der
Engländer in Indien durch die bloße Zugehörigkeit zu dem Herrenvolke in der
Lage ist, seine Überlegenheit auch dem gebildeten und reichen Inder gegenüber zu
fühlen und zu zeigen, so kann das nicht verfehlen, seinem Hochmut, seinen An¬
sprüchen an Andre Nahrung zu geben; wer lange Zeit die Rhinozerospeitsche
geführt hat, wird nicht an feinem Gefühl für Leiden und Freuden, an Ver¬
ständnis für seine Mitmenschen gewonnen haben. Und Peitsche und Kugel
haben die Engländer in Afrika und überall, wo sie Wilden entgegengetreten
sind, reichlich angewandt. Die Härte ist rohen Völkern gegenüber oft not¬
wendig; aber indem man gezwungen ist, sie oft anzuwenden, wird man selbst
leicht härter und roher. Und das ist dann wohl auch der Preis, den die
Engländer in moralischer Münze für das Gold ihrer Kolonien in großem
Maße gezahlt haben. Wenn es dafür noch eines Beweises bedürfte, so könnte
dieser Zusammenstoß von Engländern und holländischen Bauern ihn erbringen,
dafür nämlich, daß Reichtum weder zu dem Glück eines Volkes, dessen Aus¬
druck persönliche Zufriedenheit ist, noch zur Veredlung des Volkscharakters
beiträgt. Die Bauern haben sich den Engländern moralisch weit überlegen
gezeigt. Wir haben Proben davon erlebt, wie viel Roheit und Rücksichts¬
losigkeit, Geldgier und Egoismus in dem Engländer von heute steckt. Als der
Krieg gegen die Buren ausbrach, betrugen sich die englischen Truppen nicht,
wie es heute in zivilisierten Staaten von Soldaten und Offizieren erwartet
wird, und wemi die Buren, ans die der Engländer als auf eine niedre Rasse
herabsah, die englischen Roheiten mit gleicher Münze vergolten hätten, so
hätten wir wahrscheinlich sich Greuel erneuern gesehen, wie sie zu Zeiten der
Landsknechte üblich waren. Die Buren waren klug genug, die englische Roheit
nicht durch Vergeltung noch stärker herauszufordern. Was die Engländer in
Südafrika, und was alle europäischen Kulturvölker in tropischen und sub¬
tropischen Kolonien, die sich zur Besiedlung nicht eignen, erstreben, ist Geld
"ut wieder Geld; die einen das Gold des Bodens, die andern, die Politiker,
den künftigen größern Gewinn, der sich aus der englischen Suprematie er¬
geben soll.' Sie nennens Kultur, sie haben auch den Buren gegenüber die
Whne der Kulturmission entfaltet, aber ihre Kultur in den Kolonien hat sehr
wenig mit 5)nmanismus. sehr viel mit Geldgewinn zu thun. Dieses Streben
hat sie in materieller Einsicht zu den tüchtigsten Kolonisatoren der Welt ge¬
macht, denn auf materieller Grundlage baut sich jede Kultur zuerst auf. ^n
früherer Zeit war ihre Art zu kolonisieren die rein kaufmännische, der Händler
ging voran, der Missionar folgte, zuletzt kam der Staat. Jetzt ist das anders
geworden, die Bedeutung von Kompagnien wie die Nigergesellschaft oder die
südafrikanische Gesellschaft tritt bald hinter dem Staat zurück. Aber die eng-


Wohin gehen wir?

körperlicher und seelischer Grausamkeit gegen Mitmenschen, und nicht bloß gegen
solche von niedrer Rasse" (S. 392). Und es ist nur natürlich, daß der harte
englische Geschäftsmann als Herr unterwürfiger Hindus oder rachsüchtiger,
heimtückischer, kräftiger Neger jegliche Gefühlsregung bei der Verfolgung seines
Vorteils hinter die Geldgier oder die eigne Sicherheit zurückstellt. Wenn der
Engländer in Indien durch die bloße Zugehörigkeit zu dem Herrenvolke in der
Lage ist, seine Überlegenheit auch dem gebildeten und reichen Inder gegenüber zu
fühlen und zu zeigen, so kann das nicht verfehlen, seinem Hochmut, seinen An¬
sprüchen an Andre Nahrung zu geben; wer lange Zeit die Rhinozerospeitsche
geführt hat, wird nicht an feinem Gefühl für Leiden und Freuden, an Ver¬
ständnis für seine Mitmenschen gewonnen haben. Und Peitsche und Kugel
haben die Engländer in Afrika und überall, wo sie Wilden entgegengetreten
sind, reichlich angewandt. Die Härte ist rohen Völkern gegenüber oft not¬
wendig; aber indem man gezwungen ist, sie oft anzuwenden, wird man selbst
leicht härter und roher. Und das ist dann wohl auch der Preis, den die
Engländer in moralischer Münze für das Gold ihrer Kolonien in großem
Maße gezahlt haben. Wenn es dafür noch eines Beweises bedürfte, so könnte
dieser Zusammenstoß von Engländern und holländischen Bauern ihn erbringen,
dafür nämlich, daß Reichtum weder zu dem Glück eines Volkes, dessen Aus¬
druck persönliche Zufriedenheit ist, noch zur Veredlung des Volkscharakters
beiträgt. Die Bauern haben sich den Engländern moralisch weit überlegen
gezeigt. Wir haben Proben davon erlebt, wie viel Roheit und Rücksichts¬
losigkeit, Geldgier und Egoismus in dem Engländer von heute steckt. Als der
Krieg gegen die Buren ausbrach, betrugen sich die englischen Truppen nicht,
wie es heute in zivilisierten Staaten von Soldaten und Offizieren erwartet
wird, und wemi die Buren, ans die der Engländer als auf eine niedre Rasse
herabsah, die englischen Roheiten mit gleicher Münze vergolten hätten, so
hätten wir wahrscheinlich sich Greuel erneuern gesehen, wie sie zu Zeiten der
Landsknechte üblich waren. Die Buren waren klug genug, die englische Roheit
nicht durch Vergeltung noch stärker herauszufordern. Was die Engländer in
Südafrika, und was alle europäischen Kulturvölker in tropischen und sub¬
tropischen Kolonien, die sich zur Besiedlung nicht eignen, erstreben, ist Geld
»ut wieder Geld; die einen das Gold des Bodens, die andern, die Politiker,
den künftigen größern Gewinn, der sich aus der englischen Suprematie er¬
geben soll.' Sie nennens Kultur, sie haben auch den Buren gegenüber die
Whne der Kulturmission entfaltet, aber ihre Kultur in den Kolonien hat sehr
wenig mit 5)nmanismus. sehr viel mit Geldgewinn zu thun. Dieses Streben
hat sie in materieller Einsicht zu den tüchtigsten Kolonisatoren der Welt ge¬
macht, denn auf materieller Grundlage baut sich jede Kultur zuerst auf. ^n
früherer Zeit war ihre Art zu kolonisieren die rein kaufmännische, der Händler
ging voran, der Missionar folgte, zuletzt kam der Staat. Jetzt ist das anders
geworden, die Bedeutung von Kompagnien wie die Nigergesellschaft oder die
südafrikanische Gesellschaft tritt bald hinter dem Staat zurück. Aber die eng-


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[0227] Wohin gehen wir? körperlicher und seelischer Grausamkeit gegen Mitmenschen, und nicht bloß gegen solche von niedrer Rasse" (S. 392). Und es ist nur natürlich, daß der harte englische Geschäftsmann als Herr unterwürfiger Hindus oder rachsüchtiger, heimtückischer, kräftiger Neger jegliche Gefühlsregung bei der Verfolgung seines Vorteils hinter die Geldgier oder die eigne Sicherheit zurückstellt. Wenn der Engländer in Indien durch die bloße Zugehörigkeit zu dem Herrenvolke in der Lage ist, seine Überlegenheit auch dem gebildeten und reichen Inder gegenüber zu fühlen und zu zeigen, so kann das nicht verfehlen, seinem Hochmut, seinen An¬ sprüchen an Andre Nahrung zu geben; wer lange Zeit die Rhinozerospeitsche geführt hat, wird nicht an feinem Gefühl für Leiden und Freuden, an Ver¬ ständnis für seine Mitmenschen gewonnen haben. Und Peitsche und Kugel haben die Engländer in Afrika und überall, wo sie Wilden entgegengetreten sind, reichlich angewandt. Die Härte ist rohen Völkern gegenüber oft not¬ wendig; aber indem man gezwungen ist, sie oft anzuwenden, wird man selbst leicht härter und roher. Und das ist dann wohl auch der Preis, den die Engländer in moralischer Münze für das Gold ihrer Kolonien in großem Maße gezahlt haben. Wenn es dafür noch eines Beweises bedürfte, so könnte dieser Zusammenstoß von Engländern und holländischen Bauern ihn erbringen, dafür nämlich, daß Reichtum weder zu dem Glück eines Volkes, dessen Aus¬ druck persönliche Zufriedenheit ist, noch zur Veredlung des Volkscharakters beiträgt. Die Bauern haben sich den Engländern moralisch weit überlegen gezeigt. Wir haben Proben davon erlebt, wie viel Roheit und Rücksichts¬ losigkeit, Geldgier und Egoismus in dem Engländer von heute steckt. Als der Krieg gegen die Buren ausbrach, betrugen sich die englischen Truppen nicht, wie es heute in zivilisierten Staaten von Soldaten und Offizieren erwartet wird, und wemi die Buren, ans die der Engländer als auf eine niedre Rasse herabsah, die englischen Roheiten mit gleicher Münze vergolten hätten, so hätten wir wahrscheinlich sich Greuel erneuern gesehen, wie sie zu Zeiten der Landsknechte üblich waren. Die Buren waren klug genug, die englische Roheit nicht durch Vergeltung noch stärker herauszufordern. Was die Engländer in Südafrika, und was alle europäischen Kulturvölker in tropischen und sub¬ tropischen Kolonien, die sich zur Besiedlung nicht eignen, erstreben, ist Geld »ut wieder Geld; die einen das Gold des Bodens, die andern, die Politiker, den künftigen größern Gewinn, der sich aus der englischen Suprematie er¬ geben soll.' Sie nennens Kultur, sie haben auch den Buren gegenüber die Whne der Kulturmission entfaltet, aber ihre Kultur in den Kolonien hat sehr wenig mit 5)nmanismus. sehr viel mit Geldgewinn zu thun. Dieses Streben hat sie in materieller Einsicht zu den tüchtigsten Kolonisatoren der Welt ge¬ macht, denn auf materieller Grundlage baut sich jede Kultur zuerst auf. ^n früherer Zeit war ihre Art zu kolonisieren die rein kaufmännische, der Händler ging voran, der Missionar folgte, zuletzt kam der Staat. Jetzt ist das anders geworden, die Bedeutung von Kompagnien wie die Nigergesellschaft oder die südafrikanische Gesellschaft tritt bald hinter dem Staat zurück. Aber die eng-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/227>, abgerufen am 03.07.2024.