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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen an den ungarischen Leldzug im Jahre ^3^9

Damjanics, einer der ausgezeichnetsten und tapfersten Generale der unga¬
rischen Armee, übergab die Festung und wollte ebenfalls nach Sarlat, wohin
seine Garnison gebracht wurde, um sich mit den Truppen Görgeis zu vereinen;
er erkrankte aber unterwegs an einer Wunde und mußte in Gulai bleiben.
Generaladjutant Anrep entsandte mich dorthin und befahl, ihm aus Vorsicht
einen russischen Offizier zu attachicren. Dcimjcmics, ein großer, stattlicher Mann
mit langem schwarzem Barte, war ein sehr angenehmer gebildeter Herr und
galt für den ritterlichsten Mann Ungarns. Er machte mir Mitteilungen, als
wenn der Garnison von Arad Versprechungen gegeben seien, sie namentlich
nicht den Österreichern auszuliefern. Ich erkannte sofort, daß das nicht möglich
sei, beeilte mich aber, dem Generaladjutanten Anrep Meldung davon zu macheu.
Die Sache klärte sich dann von selbst auf. Damjanics Angabe war durch
keine schriftlichen Abmachungen bestätigt, sondern dem General Vuturlin war
befohlen, die Garnison von Arad unter denselben Bedingungen gefangen zu
nehmen, unter denen sich Görgeis Truppen ergeben hatten. Folglich war
General Anrep gar nicht imstande, auf Damjanics Forderungen einzugehn,
namentlich da die Garnison schon in Sarlat war.*) Als ich diese Antwort
überbrachte, geriet Damjanics, der den tiefen Haß der Österreicher gegen seine
Person kannte, in Verzweiflung, und ich mußte vou seiner schönen jungen
Frau, die ihn überall hin begleitete und gerade in diesem Augenblick sein
krankes Bein verband, die lebhaftesten Vorwürfe hören. Der Unglückliche
wurde nicht einmal für würdig befunden, erschossen zu werden; Haynau ließ
ihn aufhängen.

Um wieder zu unsern Kriegsgefangnen zurückzukehren, so kann ich nicht
umhin, mitzuteilen, daß sich der Ort, wo sie untergebracht waren, allmählich
in einen Kirchhof verwandelte. Der Unrat wurde uicht fortgeschafft; zwei
Tage lang regnete es ununterbrochen in Strömen; endlich gaben die heißen
Tage abwechselnd mit kalten Nächten, sowie die schlechte Kost Anlaß zum Aus¬
druck) einer heftigen Cholera, an der in einer Nacht dreißig Mann starben.
In dieser Zeit zeichneten sich besonders Frauen durch ihre Aufopferung aus;
außer vielen andern Beispielen von zärtlicher Liebe und von Mitleid habe ich
mehr als einmal gesehen, wie schluchzende und verzweifelte Frauen den ge¬
storbnen Gatten die Augen zudrückten. Wegen der drohenden Gefahr und um
den Ausbruch einer Empörung in dieser verzweifelten Lage zu unterdrücken,
üeß der Generalfeldmarschall auf den Bericht des Generaladjutanten Anrep
hu, die Kriegsgefangnen sofort nach Gulai, eiuer großen Besitzung des Grafen
Wenckheim, der mit einer Tochter Radetzkys verheiratet war, ganz in der Nähe
bringen. Der Ort war sauber und frei gelegen, und die Cholera trat hier nicht
mehr auf. Unter der Zahl der Kriegsgefangnen waren Oberst Bethlen und
sein Vetter Matheinh, beides sehr gebildete und angenehme Leute, die mich
besonders verehrten, während ich meinerseits, soweit es mir die Pflicht und



*) Di D. H, ese Darstellung weicht von Görgeis (II, 435 f.) wiederum wesentlich ab!
Grenzboten II 1900 2"
Erinnerungen an den ungarischen Leldzug im Jahre ^3^9

Damjanics, einer der ausgezeichnetsten und tapfersten Generale der unga¬
rischen Armee, übergab die Festung und wollte ebenfalls nach Sarlat, wohin
seine Garnison gebracht wurde, um sich mit den Truppen Görgeis zu vereinen;
er erkrankte aber unterwegs an einer Wunde und mußte in Gulai bleiben.
Generaladjutant Anrep entsandte mich dorthin und befahl, ihm aus Vorsicht
einen russischen Offizier zu attachicren. Dcimjcmics, ein großer, stattlicher Mann
mit langem schwarzem Barte, war ein sehr angenehmer gebildeter Herr und
galt für den ritterlichsten Mann Ungarns. Er machte mir Mitteilungen, als
wenn der Garnison von Arad Versprechungen gegeben seien, sie namentlich
nicht den Österreichern auszuliefern. Ich erkannte sofort, daß das nicht möglich
sei, beeilte mich aber, dem Generaladjutanten Anrep Meldung davon zu macheu.
Die Sache klärte sich dann von selbst auf. Damjanics Angabe war durch
keine schriftlichen Abmachungen bestätigt, sondern dem General Vuturlin war
befohlen, die Garnison von Arad unter denselben Bedingungen gefangen zu
nehmen, unter denen sich Görgeis Truppen ergeben hatten. Folglich war
General Anrep gar nicht imstande, auf Damjanics Forderungen einzugehn,
namentlich da die Garnison schon in Sarlat war.*) Als ich diese Antwort
überbrachte, geriet Damjanics, der den tiefen Haß der Österreicher gegen seine
Person kannte, in Verzweiflung, und ich mußte vou seiner schönen jungen
Frau, die ihn überall hin begleitete und gerade in diesem Augenblick sein
krankes Bein verband, die lebhaftesten Vorwürfe hören. Der Unglückliche
wurde nicht einmal für würdig befunden, erschossen zu werden; Haynau ließ
ihn aufhängen.

Um wieder zu unsern Kriegsgefangnen zurückzukehren, so kann ich nicht
umhin, mitzuteilen, daß sich der Ort, wo sie untergebracht waren, allmählich
in einen Kirchhof verwandelte. Der Unrat wurde uicht fortgeschafft; zwei
Tage lang regnete es ununterbrochen in Strömen; endlich gaben die heißen
Tage abwechselnd mit kalten Nächten, sowie die schlechte Kost Anlaß zum Aus¬
druck) einer heftigen Cholera, an der in einer Nacht dreißig Mann starben.
In dieser Zeit zeichneten sich besonders Frauen durch ihre Aufopferung aus;
außer vielen andern Beispielen von zärtlicher Liebe und von Mitleid habe ich
mehr als einmal gesehen, wie schluchzende und verzweifelte Frauen den ge¬
storbnen Gatten die Augen zudrückten. Wegen der drohenden Gefahr und um
den Ausbruch einer Empörung in dieser verzweifelten Lage zu unterdrücken,
üeß der Generalfeldmarschall auf den Bericht des Generaladjutanten Anrep
hu, die Kriegsgefangnen sofort nach Gulai, eiuer großen Besitzung des Grafen
Wenckheim, der mit einer Tochter Radetzkys verheiratet war, ganz in der Nähe
bringen. Der Ort war sauber und frei gelegen, und die Cholera trat hier nicht
mehr auf. Unter der Zahl der Kriegsgefangnen waren Oberst Bethlen und
sein Vetter Matheinh, beides sehr gebildete und angenehme Leute, die mich
besonders verehrten, während ich meinerseits, soweit es mir die Pflicht und



*) Di D. H, ese Darstellung weicht von Görgeis (II, 435 f.) wiederum wesentlich ab!
Grenzboten II 1900 2«
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/185>, abgerufen am 01.10.2024.