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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9

anvertrauen können, als dein General Anrep, der das schwere Los der Ge¬
fangnen mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln erleichterte. Die gefangnen
Generale und Offiziere wurden auf Ehrenwort interniert, und nicht einer von
ihnen brach sein Wort. Die Gemeinen wurden in Biwaks gelegt, die ein
Korton von unsern Truppen umschloß. Die Generale und Offiziere, im ganzen
gegen zweitausend, bestürmten unsern Vorgesetzten ungemein oft mit Bitten,
und da konnte man sehen, mit welcher Teilnahme und Freundlichkeit er sie
anhörte und zu beruhigen suchte und sie ihrem Geschick vertrauen hieß; sie
müßten, sagte er, geduldig die Entscheidung abwarten und dürften vor allen
Dingen nicht auf Flucht sinnen, weil jede Widersetzlichkeit strengste Ahndung
nach sich ziehn würde. General Anrep, sage ich, sprach jedem Einzelnen Trost
ein, soviel sein mitfühlendes Herz nur konnte, und beobachtete dabei ein durch¬
aus korrektes Verhalten und die nötige Vorsicht, wobei sein freundliches Be¬
nehmen ohne jede Beeinträchtigung der Ehre und des Schwures viel zur Auf¬
rechterhaltung der Ordnung und Subordination in diesem bunten Menschenhaufen
beitrug, in dessen Reihen jedermann hatte eintreten können, und dessen Ansehen
und Recht nur auf persönlicher Tapferkeit beruhte. Ich hatte beim General¬
adjutanten Anrep nur auf die Verpflegung der Kriegsgefangnen zu achten.
Das Herbeischaffen von Vorräten für eine so ungeheure Menschenmenge war
mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Sarlat, ein kleiner Ort von tausend
Einwohnern, konnte unmöglich alle Kriegsgefangnen samt unsern Truppen
verpflegen; man mußte also zu den Nachbardörfern seine Zuflucht nehmen.
General Aurep gebrauchte hierbei folgendes sehr bequeme Verfahren: er be¬
stimmte zwölf Offiziere von unsrer Division, denen er ein Detachement Husaren
und zur Unterstützung zwölf ungarische Offiziere nach Auswahl des frühern
Stabskommandanten Görgeis, Obersten Baier, als Ortskundige mitgab, zum
Aufsuchen von Ortschaften, die zur Verpflegung besser geeignet wären. Sie
wurden sämtlich dem Grafen Forgach unterstellt, der von der österreichischen
Regierung als Verpflegungskommissar zu unsrer Division entsandt war, und
diesen Offizieren wurden zwölf verschiedene Distrikte in der Umgegend von
Sarlat angewiesen, in die sie sich dann mit einer genügenden Anzahl Fourage-
wagen und mit der Verpflichtung begaben, überall das nötige Quantum Eß-
vorräte und Pferdefutter aufzubringen und darüber Anweisungen zur spätern
Bezahlung aus der österreichischen Staatskasse auszustellen. Diese Art und
Weise der Verproviantierung erwies sich dann wirklich als gut, weil alles
Notwendige ohne große Belästigung der Bewohner in kurzer Zeit herbei¬
geschafft werden konnte.

>v5N Sarlat verbrachten wir vier Tage, und hier wurde ich mit allen Be¬
fehlshabern und vielen Offizieren vom Korps Görgeis bekannt. Der älteste
von ihnen war Graf Leiningen, ein Bruder des österreichischen Generals, gegen
den er bei Komorn gefochten hatte. Görgei zeichnete ihn besonders wegen
seiner Tapferkeit bei der Einnahme Ofens aus. Der zweite war Pöltenberg,
der frühere österreichische Rittmeister, von den, ich schon gesprochen habe; er


Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9

anvertrauen können, als dein General Anrep, der das schwere Los der Ge¬
fangnen mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln erleichterte. Die gefangnen
Generale und Offiziere wurden auf Ehrenwort interniert, und nicht einer von
ihnen brach sein Wort. Die Gemeinen wurden in Biwaks gelegt, die ein
Korton von unsern Truppen umschloß. Die Generale und Offiziere, im ganzen
gegen zweitausend, bestürmten unsern Vorgesetzten ungemein oft mit Bitten,
und da konnte man sehen, mit welcher Teilnahme und Freundlichkeit er sie
anhörte und zu beruhigen suchte und sie ihrem Geschick vertrauen hieß; sie
müßten, sagte er, geduldig die Entscheidung abwarten und dürften vor allen
Dingen nicht auf Flucht sinnen, weil jede Widersetzlichkeit strengste Ahndung
nach sich ziehn würde. General Anrep, sage ich, sprach jedem Einzelnen Trost
ein, soviel sein mitfühlendes Herz nur konnte, und beobachtete dabei ein durch¬
aus korrektes Verhalten und die nötige Vorsicht, wobei sein freundliches Be¬
nehmen ohne jede Beeinträchtigung der Ehre und des Schwures viel zur Auf¬
rechterhaltung der Ordnung und Subordination in diesem bunten Menschenhaufen
beitrug, in dessen Reihen jedermann hatte eintreten können, und dessen Ansehen
und Recht nur auf persönlicher Tapferkeit beruhte. Ich hatte beim General¬
adjutanten Anrep nur auf die Verpflegung der Kriegsgefangnen zu achten.
Das Herbeischaffen von Vorräten für eine so ungeheure Menschenmenge war
mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Sarlat, ein kleiner Ort von tausend
Einwohnern, konnte unmöglich alle Kriegsgefangnen samt unsern Truppen
verpflegen; man mußte also zu den Nachbardörfern seine Zuflucht nehmen.
General Aurep gebrauchte hierbei folgendes sehr bequeme Verfahren: er be¬
stimmte zwölf Offiziere von unsrer Division, denen er ein Detachement Husaren
und zur Unterstützung zwölf ungarische Offiziere nach Auswahl des frühern
Stabskommandanten Görgeis, Obersten Baier, als Ortskundige mitgab, zum
Aufsuchen von Ortschaften, die zur Verpflegung besser geeignet wären. Sie
wurden sämtlich dem Grafen Forgach unterstellt, der von der österreichischen
Regierung als Verpflegungskommissar zu unsrer Division entsandt war, und
diesen Offizieren wurden zwölf verschiedene Distrikte in der Umgegend von
Sarlat angewiesen, in die sie sich dann mit einer genügenden Anzahl Fourage-
wagen und mit der Verpflichtung begaben, überall das nötige Quantum Eß-
vorräte und Pferdefutter aufzubringen und darüber Anweisungen zur spätern
Bezahlung aus der österreichischen Staatskasse auszustellen. Diese Art und
Weise der Verproviantierung erwies sich dann wirklich als gut, weil alles
Notwendige ohne große Belästigung der Bewohner in kurzer Zeit herbei¬
geschafft werden konnte.

>v5N Sarlat verbrachten wir vier Tage, und hier wurde ich mit allen Be¬
fehlshabern und vielen Offizieren vom Korps Görgeis bekannt. Der älteste
von ihnen war Graf Leiningen, ein Bruder des österreichischen Generals, gegen
den er bei Komorn gefochten hatte. Görgei zeichnete ihn besonders wegen
seiner Tapferkeit bei der Einnahme Ofens aus. Der zweite war Pöltenberg,
der frühere österreichische Rittmeister, von den, ich schon gesprochen habe; er


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[0183] Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9 anvertrauen können, als dein General Anrep, der das schwere Los der Ge¬ fangnen mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln erleichterte. Die gefangnen Generale und Offiziere wurden auf Ehrenwort interniert, und nicht einer von ihnen brach sein Wort. Die Gemeinen wurden in Biwaks gelegt, die ein Korton von unsern Truppen umschloß. Die Generale und Offiziere, im ganzen gegen zweitausend, bestürmten unsern Vorgesetzten ungemein oft mit Bitten, und da konnte man sehen, mit welcher Teilnahme und Freundlichkeit er sie anhörte und zu beruhigen suchte und sie ihrem Geschick vertrauen hieß; sie müßten, sagte er, geduldig die Entscheidung abwarten und dürften vor allen Dingen nicht auf Flucht sinnen, weil jede Widersetzlichkeit strengste Ahndung nach sich ziehn würde. General Anrep, sage ich, sprach jedem Einzelnen Trost ein, soviel sein mitfühlendes Herz nur konnte, und beobachtete dabei ein durch¬ aus korrektes Verhalten und die nötige Vorsicht, wobei sein freundliches Be¬ nehmen ohne jede Beeinträchtigung der Ehre und des Schwures viel zur Auf¬ rechterhaltung der Ordnung und Subordination in diesem bunten Menschenhaufen beitrug, in dessen Reihen jedermann hatte eintreten können, und dessen Ansehen und Recht nur auf persönlicher Tapferkeit beruhte. Ich hatte beim General¬ adjutanten Anrep nur auf die Verpflegung der Kriegsgefangnen zu achten. Das Herbeischaffen von Vorräten für eine so ungeheure Menschenmenge war mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Sarlat, ein kleiner Ort von tausend Einwohnern, konnte unmöglich alle Kriegsgefangnen samt unsern Truppen verpflegen; man mußte also zu den Nachbardörfern seine Zuflucht nehmen. General Aurep gebrauchte hierbei folgendes sehr bequeme Verfahren: er be¬ stimmte zwölf Offiziere von unsrer Division, denen er ein Detachement Husaren und zur Unterstützung zwölf ungarische Offiziere nach Auswahl des frühern Stabskommandanten Görgeis, Obersten Baier, als Ortskundige mitgab, zum Aufsuchen von Ortschaften, die zur Verpflegung besser geeignet wären. Sie wurden sämtlich dem Grafen Forgach unterstellt, der von der österreichischen Regierung als Verpflegungskommissar zu unsrer Division entsandt war, und diesen Offizieren wurden zwölf verschiedene Distrikte in der Umgegend von Sarlat angewiesen, in die sie sich dann mit einer genügenden Anzahl Fourage- wagen und mit der Verpflichtung begaben, überall das nötige Quantum Eß- vorräte und Pferdefutter aufzubringen und darüber Anweisungen zur spätern Bezahlung aus der österreichischen Staatskasse auszustellen. Diese Art und Weise der Verproviantierung erwies sich dann wirklich als gut, weil alles Notwendige ohne große Belästigung der Bewohner in kurzer Zeit herbei¬ geschafft werden konnte. >v5N Sarlat verbrachten wir vier Tage, und hier wurde ich mit allen Be¬ fehlshabern und vielen Offizieren vom Korps Görgeis bekannt. Der älteste von ihnen war Graf Leiningen, ein Bruder des österreichischen Generals, gegen den er bei Komorn gefochten hatte. Görgei zeichnete ihn besonders wegen seiner Tapferkeit bei der Einnahme Ofens aus. Der zweite war Pöltenberg, der frühere österreichische Rittmeister, von den, ich schon gesprochen habe; er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/183>, abgerufen am 01.10.2024.