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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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wohin gehen wir?

worden ist, so ist es für uns vielleicht von Nutzen, diesen Charakter zu be¬
obachten, um aus ihm Schlüsse auf unsre eigne Entwicklung zu ziehn.

Überall und immer hat der Erfolg das erste Wort in den Beziehungen
der Menschen zu einander. Der Wilde betet ihn an, und der Kulturmensch
beugt sich vor ihm leichter als vor irgend einer andern, einer sittlichen Macht.
Ganz besonders der Engländer, wenn wir die Völker miteinander vergleichen.
Beobachten wir aber die einzelnen Gruppen innerhalb der Völker, die Arten
des Berufs, und fragen, in welchem Beruf der Erfolg am reinsten verehrt
wird, so werden wir in erster Reihe an den Kaufmann denken, ob er nun mit
Geld an der Börse oder mit Waren handelt. Man sieht es dem einzelnen
Engländer an, daß er in einer Handelsgesellschaft aufgewachsen ist, und man
spürt den kommerziellen Geist ebenso in dem öffentlichen Leben, wie in der
Politik Englands.

Alles beim Engländer zeigt überlegte Zweckmäßigkeit, geschlossene, einseitige
Kraft, nüchternen Willen. Das sind Eigenschaften, die einen tüchtigen Geschäfts¬
mann machen. Es sind vielleicht auch die Eigenschaften, die in der angel¬
sächsischen Rasse selbst liegen, und die von der Natur des Landes besonders
begünstigt werden. Steffen") zeigt in seiner unübertrefflichen Zeichnung des
englischen Charakters, daß dieser wesentlich von dem Klima des Landes geformt
worden ist, das zu angestrengter Arbeit treibt. Aber der Angelsachse hat in
Amerika einen andern Himmel gefunden, seit Generationen lebt er unter ganz
kontinentalem Klima und ist in seinem Grundcharakter doch derselbe geblieben
wie in England. Wenn es erlaubt wäre, einem Meisterwerke wie dem von
Steffen einen geringen Pinselstrich hinzuzufügen, so würde ich darauf hinweisen,
einmal daß die Masse der Nordamerikaner schon mit dem englischen Charakter
und zu dem hauptsächlich industriell-kommerziellen Beruf hinüberkam, dem sie
schon in England oblag, und ferner, daß die geographische Lage beider Länder
eine parallele Entwicklung im Charakter beider Völker beförderte. Der in¬
sularen Lage Großbritanniens und der in nationalem Verstände ebenso abge¬
schlossenen, von keinem gleichwertigen fremden Stamm als Nachbarn beein¬
flußten Lage Nordamerikas dürfte ein Anteil an der Charakterbildung der
Angelsachsen beider Länder beizumessen sein, die sich unter ähnlichen Ver¬
hältnissen in Australien ohne Zweifel ähnlich erweisen wird. Nicht nur die
Vereinigten Staaten und England, sondern ebenso Australien duldet, soweit
irgend thunlich, keine fremde Nachbarschaft: die insulare Lage Englands wieder¬
holt sich in Amerika wie in Australien; sie äußert sich in dem gewaltsamen
Streben, Herr der Küste nach allen Seiten hin, oder doch wenigstens, wie jetzt
in Afrika, die xarÄinouiit xover zu sein. Das "athletische Temperament" der
Engländer, wie Steffen es bezeichnet, hätte sich schwerlich entwickelt, wenn
diese Angelsachsen in ihrer alten deutschen Heimat zwischen andern Völkern



Steffen, England als Weltmacht und Kulturstaat, deutsch von Reyher, Stuttgart, Hobbing
und Büchle, 1899.
wohin gehen wir?

worden ist, so ist es für uns vielleicht von Nutzen, diesen Charakter zu be¬
obachten, um aus ihm Schlüsse auf unsre eigne Entwicklung zu ziehn.

Überall und immer hat der Erfolg das erste Wort in den Beziehungen
der Menschen zu einander. Der Wilde betet ihn an, und der Kulturmensch
beugt sich vor ihm leichter als vor irgend einer andern, einer sittlichen Macht.
Ganz besonders der Engländer, wenn wir die Völker miteinander vergleichen.
Beobachten wir aber die einzelnen Gruppen innerhalb der Völker, die Arten
des Berufs, und fragen, in welchem Beruf der Erfolg am reinsten verehrt
wird, so werden wir in erster Reihe an den Kaufmann denken, ob er nun mit
Geld an der Börse oder mit Waren handelt. Man sieht es dem einzelnen
Engländer an, daß er in einer Handelsgesellschaft aufgewachsen ist, und man
spürt den kommerziellen Geist ebenso in dem öffentlichen Leben, wie in der
Politik Englands.

Alles beim Engländer zeigt überlegte Zweckmäßigkeit, geschlossene, einseitige
Kraft, nüchternen Willen. Das sind Eigenschaften, die einen tüchtigen Geschäfts¬
mann machen. Es sind vielleicht auch die Eigenschaften, die in der angel¬
sächsischen Rasse selbst liegen, und die von der Natur des Landes besonders
begünstigt werden. Steffen") zeigt in seiner unübertrefflichen Zeichnung des
englischen Charakters, daß dieser wesentlich von dem Klima des Landes geformt
worden ist, das zu angestrengter Arbeit treibt. Aber der Angelsachse hat in
Amerika einen andern Himmel gefunden, seit Generationen lebt er unter ganz
kontinentalem Klima und ist in seinem Grundcharakter doch derselbe geblieben
wie in England. Wenn es erlaubt wäre, einem Meisterwerke wie dem von
Steffen einen geringen Pinselstrich hinzuzufügen, so würde ich darauf hinweisen,
einmal daß die Masse der Nordamerikaner schon mit dem englischen Charakter
und zu dem hauptsächlich industriell-kommerziellen Beruf hinüberkam, dem sie
schon in England oblag, und ferner, daß die geographische Lage beider Länder
eine parallele Entwicklung im Charakter beider Völker beförderte. Der in¬
sularen Lage Großbritanniens und der in nationalem Verstände ebenso abge¬
schlossenen, von keinem gleichwertigen fremden Stamm als Nachbarn beein¬
flußten Lage Nordamerikas dürfte ein Anteil an der Charakterbildung der
Angelsachsen beider Länder beizumessen sein, die sich unter ähnlichen Ver¬
hältnissen in Australien ohne Zweifel ähnlich erweisen wird. Nicht nur die
Vereinigten Staaten und England, sondern ebenso Australien duldet, soweit
irgend thunlich, keine fremde Nachbarschaft: die insulare Lage Englands wieder¬
holt sich in Amerika wie in Australien; sie äußert sich in dem gewaltsamen
Streben, Herr der Küste nach allen Seiten hin, oder doch wenigstens, wie jetzt
in Afrika, die xarÄinouiit xover zu sein. Das „athletische Temperament" der
Engländer, wie Steffen es bezeichnet, hätte sich schwerlich entwickelt, wenn
diese Angelsachsen in ihrer alten deutschen Heimat zwischen andern Völkern



Steffen, England als Weltmacht und Kulturstaat, deutsch von Reyher, Stuttgart, Hobbing
und Büchle, 1899.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/171>, abgerufen am 03.07.2024.