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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Gott zu erblicken, vielmehr nur das All; er vermag nicht separate Seelensubstanzen
zu erblicken, vielmehr nur das Psychische im All. Er sieht nirgends Freiheit,
sondern die Allnotwendigkeit. Er glaubt nicht an Hoffnungen, sondern will
nur das eine einsehen, daß sich unser Glück ausschließlich auf Lebensfreude und
wissensfrohe Ergebung in das Unabänderliche gründen laßt." (S. 9.) "Kurz, alle
Anthropologismen, alles, was Theologie oder was eine von Gemütswerten trunkne
pantheistische Mystik dem Gott beilegen möchte, hält er von seinem Absoluten fern.
Nichts bleibt als Konstellationswechsel der Elemente des All, ohne jeden Wert,
außer dem der einfachen Realität." is. 39.) "Das einzige und letzte Ziel des
menschlichen Handelns ist der aufrechte Bestand unsrer Natur in ungebrochner Kraft.
Dieses Ideal ist in zwei Formen, in zwei Graden der Güte zu erreichen." (S. 125.)
"Das Leben in vernünftig geregelten Affekten wird sich so gestalten, daß jeder den¬
jenigen seiner Neigungen, die ihm Freude zu bringen geeignet sind, nachgehn wird,
weil sie ihm Freude bereiten. Wenn seine Neigung also z. B. darauf gerichtet ist,
fremde Leiden zu lindern, oder Talente zu wecken und auszubilden, oder in der
Welt herumzuwandern, oder Wissenschaft, Kunst oder Handwerk zu betreiben, so
wird er darin nichts Schädliches erleben. Aber wenn die Dinge nun schief gehn
und er sein Ziel nicht erreicht, wird er noch in Trauer gestürzt werden, falls er
nicht die höhere ethische Stufe erklimmt, auf der erwünschte und unerwünschte Er¬
eignisse gleich ruhig hingenommen werden." (S. 135.) Spinoza hat also den
Epikuräismus mit dem Stoizismus kombiniert und die Gottheit beseitigt, die diese
beiden alten Lehren noch hatten stehn lassen. -- I)r. M. Kronenberg bietet
uns unter dem Titel: Moderne Philosophen München, C. H. Beck, 1899) fünf
schöne "Porträts und Charakteristiken" dar. Er hat die Männer ausgewählt, von
denen er meint, daß sie die Zeit zwischen Hegel und dem Positivismus (1825 bis
1865) charakterisieren, nämlich Lotze, Fr. Alb. Lange, Cousin, Feuerbach, Stirner.
Diese Auffassung setzt voraus, daß der Pessimismus für eine nicht sehr bedeutende
Episode angesehen wird, was sich ja rechtfertigen läßt. Lotze und Lange sind hin¬
länglich bekannt, weniger Cousin und Feuerbach, und der Verfasser hat sich ein
Verdienst damit erworben, daß er sie dem gebildeten Publikum näher rückt. Cousin
verdient wegen seiner innigen Beziehung zu Deutschland Beachtung. Er hat unsre
Philosophen in ihrem Vaterlande aufgesucht, die Franzosen über den Mißerfolg
ihrer Revolution und den Zusnmmenbrnch ihrer kurzlebigen Weltherrschaft mit der
idealistischen Philosophie Schellings und Hegels getröstet und ihnen mit dem Satze,
daß das Wirkliche vernünftig sei, und alles, was geschehe, notwendig geschehe, den
zahmen Konstitutionalismus schmackhaft zu machen gesucht. Feuerbnchs Atheismus
aber ist aus der liebenswürdigsten Humanität entsprungen und nur als Notwehr
gegen zelotische Orthodoxie und kalte idealistische Abstraktionen anzusehen, und wenn
die Erinnerung an den Mann aus keinem andern Grunde dem heutigen Geschlecht
nützlich wäre, so ist sie es doch schon darum, weil er, der Sohn des berühmten
Juristen und der Gatte einer Fabrikbesitzerin, seine Mannesjahre in der Einsamkeit
eines Dorfes zugebracht hat, wo er beinahe verhungert wäre. Den Stiruerschen
Unsinn mit aufzunehmen wäre wohl nicht nötig gewesen. -- Dr. Heinrich Rv-
mund, erschreckt durch den "Wirklichkeitsfanatismus" und den Haß des Schönen in
unsrer Kunst und durch die Einschleppung skandinavischer Scheußlichkeiten, erörtert
die Grundgesetze der Ästhetik und geht dabei auf Goethe, Kant und Plato zurück.
Er hofft, daß der Dogmenzwang, der das Volk der Kirche entfremdet, der Zwang
zur Unwahrhaftigkeit, bald aufhören und die Kunst zur wiedergebornen Religion
in ein inniges Verhältnis treten werde. Er hat seine Betrachtungen in den
Rahmen eines Briefwechsels eingefügt, der über die Verhandlungen eines ästhetischen
Kränzchens berichtet, daher der Titel: Eine Gesellschaft auf dem Lande.
Unterhaltungen über Schönheit und Kunst mit besondrer Beziehung auf Kant


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Gott zu erblicken, vielmehr nur das All; er vermag nicht separate Seelensubstanzen
zu erblicken, vielmehr nur das Psychische im All. Er sieht nirgends Freiheit,
sondern die Allnotwendigkeit. Er glaubt nicht an Hoffnungen, sondern will
nur das eine einsehen, daß sich unser Glück ausschließlich auf Lebensfreude und
wissensfrohe Ergebung in das Unabänderliche gründen laßt." (S. 9.) „Kurz, alle
Anthropologismen, alles, was Theologie oder was eine von Gemütswerten trunkne
pantheistische Mystik dem Gott beilegen möchte, hält er von seinem Absoluten fern.
Nichts bleibt als Konstellationswechsel der Elemente des All, ohne jeden Wert,
außer dem der einfachen Realität." is. 39.) „Das einzige und letzte Ziel des
menschlichen Handelns ist der aufrechte Bestand unsrer Natur in ungebrochner Kraft.
Dieses Ideal ist in zwei Formen, in zwei Graden der Güte zu erreichen." (S. 125.)
„Das Leben in vernünftig geregelten Affekten wird sich so gestalten, daß jeder den¬
jenigen seiner Neigungen, die ihm Freude zu bringen geeignet sind, nachgehn wird,
weil sie ihm Freude bereiten. Wenn seine Neigung also z. B. darauf gerichtet ist,
fremde Leiden zu lindern, oder Talente zu wecken und auszubilden, oder in der
Welt herumzuwandern, oder Wissenschaft, Kunst oder Handwerk zu betreiben, so
wird er darin nichts Schädliches erleben. Aber wenn die Dinge nun schief gehn
und er sein Ziel nicht erreicht, wird er noch in Trauer gestürzt werden, falls er
nicht die höhere ethische Stufe erklimmt, auf der erwünschte und unerwünschte Er¬
eignisse gleich ruhig hingenommen werden." (S. 135.) Spinoza hat also den
Epikuräismus mit dem Stoizismus kombiniert und die Gottheit beseitigt, die diese
beiden alten Lehren noch hatten stehn lassen. — I)r. M. Kronenberg bietet
uns unter dem Titel: Moderne Philosophen München, C. H. Beck, 1899) fünf
schöne „Porträts und Charakteristiken" dar. Er hat die Männer ausgewählt, von
denen er meint, daß sie die Zeit zwischen Hegel und dem Positivismus (1825 bis
1865) charakterisieren, nämlich Lotze, Fr. Alb. Lange, Cousin, Feuerbach, Stirner.
Diese Auffassung setzt voraus, daß der Pessimismus für eine nicht sehr bedeutende
Episode angesehen wird, was sich ja rechtfertigen läßt. Lotze und Lange sind hin¬
länglich bekannt, weniger Cousin und Feuerbach, und der Verfasser hat sich ein
Verdienst damit erworben, daß er sie dem gebildeten Publikum näher rückt. Cousin
verdient wegen seiner innigen Beziehung zu Deutschland Beachtung. Er hat unsre
Philosophen in ihrem Vaterlande aufgesucht, die Franzosen über den Mißerfolg
ihrer Revolution und den Zusnmmenbrnch ihrer kurzlebigen Weltherrschaft mit der
idealistischen Philosophie Schellings und Hegels getröstet und ihnen mit dem Satze,
daß das Wirkliche vernünftig sei, und alles, was geschehe, notwendig geschehe, den
zahmen Konstitutionalismus schmackhaft zu machen gesucht. Feuerbnchs Atheismus
aber ist aus der liebenswürdigsten Humanität entsprungen und nur als Notwehr
gegen zelotische Orthodoxie und kalte idealistische Abstraktionen anzusehen, und wenn
die Erinnerung an den Mann aus keinem andern Grunde dem heutigen Geschlecht
nützlich wäre, so ist sie es doch schon darum, weil er, der Sohn des berühmten
Juristen und der Gatte einer Fabrikbesitzerin, seine Mannesjahre in der Einsamkeit
eines Dorfes zugebracht hat, wo er beinahe verhungert wäre. Den Stiruerschen
Unsinn mit aufzunehmen wäre wohl nicht nötig gewesen. — Dr. Heinrich Rv-
mund, erschreckt durch den „Wirklichkeitsfanatismus" und den Haß des Schönen in
unsrer Kunst und durch die Einschleppung skandinavischer Scheußlichkeiten, erörtert
die Grundgesetze der Ästhetik und geht dabei auf Goethe, Kant und Plato zurück.
Er hofft, daß der Dogmenzwang, der das Volk der Kirche entfremdet, der Zwang
zur Unwahrhaftigkeit, bald aufhören und die Kunst zur wiedergebornen Religion
in ein inniges Verhältnis treten werde. Er hat seine Betrachtungen in den
Rahmen eines Briefwechsels eingefügt, der über die Verhandlungen eines ästhetischen
Kränzchens berichtet, daher der Titel: Eine Gesellschaft auf dem Lande.
Unterhaltungen über Schönheit und Kunst mit besondrer Beziehung auf Kant


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[0166] Maßgebliches und Unmaßgebliches Gott zu erblicken, vielmehr nur das All; er vermag nicht separate Seelensubstanzen zu erblicken, vielmehr nur das Psychische im All. Er sieht nirgends Freiheit, sondern die Allnotwendigkeit. Er glaubt nicht an Hoffnungen, sondern will nur das eine einsehen, daß sich unser Glück ausschließlich auf Lebensfreude und wissensfrohe Ergebung in das Unabänderliche gründen laßt." (S. 9.) „Kurz, alle Anthropologismen, alles, was Theologie oder was eine von Gemütswerten trunkne pantheistische Mystik dem Gott beilegen möchte, hält er von seinem Absoluten fern. Nichts bleibt als Konstellationswechsel der Elemente des All, ohne jeden Wert, außer dem der einfachen Realität." is. 39.) „Das einzige und letzte Ziel des menschlichen Handelns ist der aufrechte Bestand unsrer Natur in ungebrochner Kraft. Dieses Ideal ist in zwei Formen, in zwei Graden der Güte zu erreichen." (S. 125.) „Das Leben in vernünftig geregelten Affekten wird sich so gestalten, daß jeder den¬ jenigen seiner Neigungen, die ihm Freude zu bringen geeignet sind, nachgehn wird, weil sie ihm Freude bereiten. Wenn seine Neigung also z. B. darauf gerichtet ist, fremde Leiden zu lindern, oder Talente zu wecken und auszubilden, oder in der Welt herumzuwandern, oder Wissenschaft, Kunst oder Handwerk zu betreiben, so wird er darin nichts Schädliches erleben. Aber wenn die Dinge nun schief gehn und er sein Ziel nicht erreicht, wird er noch in Trauer gestürzt werden, falls er nicht die höhere ethische Stufe erklimmt, auf der erwünschte und unerwünschte Er¬ eignisse gleich ruhig hingenommen werden." (S. 135.) Spinoza hat also den Epikuräismus mit dem Stoizismus kombiniert und die Gottheit beseitigt, die diese beiden alten Lehren noch hatten stehn lassen. — I)r. M. Kronenberg bietet uns unter dem Titel: Moderne Philosophen München, C. H. Beck, 1899) fünf schöne „Porträts und Charakteristiken" dar. Er hat die Männer ausgewählt, von denen er meint, daß sie die Zeit zwischen Hegel und dem Positivismus (1825 bis 1865) charakterisieren, nämlich Lotze, Fr. Alb. Lange, Cousin, Feuerbach, Stirner. Diese Auffassung setzt voraus, daß der Pessimismus für eine nicht sehr bedeutende Episode angesehen wird, was sich ja rechtfertigen läßt. Lotze und Lange sind hin¬ länglich bekannt, weniger Cousin und Feuerbach, und der Verfasser hat sich ein Verdienst damit erworben, daß er sie dem gebildeten Publikum näher rückt. Cousin verdient wegen seiner innigen Beziehung zu Deutschland Beachtung. Er hat unsre Philosophen in ihrem Vaterlande aufgesucht, die Franzosen über den Mißerfolg ihrer Revolution und den Zusnmmenbrnch ihrer kurzlebigen Weltherrschaft mit der idealistischen Philosophie Schellings und Hegels getröstet und ihnen mit dem Satze, daß das Wirkliche vernünftig sei, und alles, was geschehe, notwendig geschehe, den zahmen Konstitutionalismus schmackhaft zu machen gesucht. Feuerbnchs Atheismus aber ist aus der liebenswürdigsten Humanität entsprungen und nur als Notwehr gegen zelotische Orthodoxie und kalte idealistische Abstraktionen anzusehen, und wenn die Erinnerung an den Mann aus keinem andern Grunde dem heutigen Geschlecht nützlich wäre, so ist sie es doch schon darum, weil er, der Sohn des berühmten Juristen und der Gatte einer Fabrikbesitzerin, seine Mannesjahre in der Einsamkeit eines Dorfes zugebracht hat, wo er beinahe verhungert wäre. Den Stiruerschen Unsinn mit aufzunehmen wäre wohl nicht nötig gewesen. — Dr. Heinrich Rv- mund, erschreckt durch den „Wirklichkeitsfanatismus" und den Haß des Schönen in unsrer Kunst und durch die Einschleppung skandinavischer Scheußlichkeiten, erörtert die Grundgesetze der Ästhetik und geht dabei auf Goethe, Kant und Plato zurück. Er hofft, daß der Dogmenzwang, der das Volk der Kirche entfremdet, der Zwang zur Unwahrhaftigkeit, bald aufhören und die Kunst zur wiedergebornen Religion in ein inniges Verhältnis treten werde. Er hat seine Betrachtungen in den Rahmen eines Briefwechsels eingefügt, der über die Verhandlungen eines ästhetischen Kränzchens berichtet, daher der Titel: Eine Gesellschaft auf dem Lande. Unterhaltungen über Schönheit und Kunst mit besondrer Beziehung auf Kant

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/166>, abgerufen am 03.07.2024.