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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Zur Frauenfrage

bewegt sich um die Entscheidung, wie der Kreis der den Frauen zugänglichen,
für sie schicklichen und von ihnen gesuchten Arbeit abzugrenzen sei. Im Zu¬
sammenhange damit stehn dann die Fragen der Frauen erziehung, der Frauen¬
bildung und der Berufsvorbildung der Frauen, um die der Kampf am wil¬
desten getobt hat und noch tobt.

Hier muß man, um ein Urteil zu gewinnen, auf Einzelheiten eingehn.
Man muß die verschiednen Arten und Zweige der Frauenarbeit auf ihre
Schicklichkeit, ihren Umfang, ihre geschichtliche Entwicklung, ihren Kultur¬
zusammenhang und Kulturwert näher ansehen. Selbstverständlich kann das
hier nicht erschöpfend geschehn. Wir müssen uns auf einzelne typische und im
Vordergrunde des allgemeinen staatlichen und gesellschaftlichen Interesses stehende
Gruppen beschränken.

Zwar nicht nach ihrer Bedeutung für die Frauenfrage im Sinne der über
diese zur Zeit schwebenden öffentlichen Erörterungen, wohl aber nach ihrer Zahl
stehn hier im Vordergrunde die Mädchen und Frauen des sogenannten vierten
Standes, oder wie man sich -- nicht ganz zutreffend -- auch wohl auszu¬
drücken pflegt, der arbeitenden Klassen. In Bezug auf sie ist für das platte
Laud, für die Frauen und Töchter der landwirtschaftlichen Arbeiterbevölkerung
von einer Frauenfrage glücklicherweise kaum die Rede. Auf dem Laude bestehn
vielfach noch naturalwirtschaftliche Verhältnisse. Wenn auch nicht mehr in dem
frühern Umfange spielt hier die unmittelbare Selbstversorgung der Familie noch
immer eine große Rolle. Dabei haben sich die Frauen von jeher sowohl an
der Rohproduktion wie an der Stoffverarbeitung in sehr erheblichem Maße be¬
teiligt. Und diese Beteiligung läuft in: großen und ganzen auch heute uoch
in altgewohnten Bahnen. Frauen und Mädchen helfen hier in allerhand
körperlicher, auch schwerer Arbeit nach wie vor. Sie freien und werden ge¬
freit in wesentlich gleicher Zahl wie früher, und man wird hier von einem
merklich größern Prozentsätze ehelos bleibender Mädchen im Vergleich zu der
Zeit vor fünfzig Jahren kaum reden können. Für die landwirtschaftlichen
Arbeiterinnen giebt es eine Frauenfrage im modernen Sinne nicht, weder für
die weiblichen Dienstboten, noch auch für die Lohnarbeiterinnen auf dem Lande.
Allerdings machen sich auch hier moderne Züge einer allmählich hereinflutenden
Dissolution bemerklich. Mehr als früher gehn auch Mädchen und Frauen mit
den Männern auf die Wanderschaft, um lohnendere Arbeit zu suchen. Unter
den sogenannten Sachsengüngern finden sich neben den Männern viele Tausende
von Frauen und Mädchen. Die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, liegen
nahe genug. Aber zum großen Teil kehren sie gleich den Männern nach der
Ernte-, Rüben- und Kartoffelkampagne in die Heimat zurück. Für sie kommt
es wesentlich darauf an, daß sie durch eine gute Volksschule kruse der allge¬
meinen Schulpflicht geistig und leiblich, religiös und sittlich in verständiger
Weise erzogen werden. Wenn sie heranwachsen, so übernimmt neben der
Schule die Mutter und der elterliche Haushalt die Ausbildung in den weib¬
lichen Tugenden und Fertigkeiten, deren sie als künftige Frauen und Mütter
bedürfen. Es bedarf nicht der Bevorwortung, daß auch in diesen Verhält-


Zur Frauenfrage

bewegt sich um die Entscheidung, wie der Kreis der den Frauen zugänglichen,
für sie schicklichen und von ihnen gesuchten Arbeit abzugrenzen sei. Im Zu¬
sammenhange damit stehn dann die Fragen der Frauen erziehung, der Frauen¬
bildung und der Berufsvorbildung der Frauen, um die der Kampf am wil¬
desten getobt hat und noch tobt.

Hier muß man, um ein Urteil zu gewinnen, auf Einzelheiten eingehn.
Man muß die verschiednen Arten und Zweige der Frauenarbeit auf ihre
Schicklichkeit, ihren Umfang, ihre geschichtliche Entwicklung, ihren Kultur¬
zusammenhang und Kulturwert näher ansehen. Selbstverständlich kann das
hier nicht erschöpfend geschehn. Wir müssen uns auf einzelne typische und im
Vordergrunde des allgemeinen staatlichen und gesellschaftlichen Interesses stehende
Gruppen beschränken.

Zwar nicht nach ihrer Bedeutung für die Frauenfrage im Sinne der über
diese zur Zeit schwebenden öffentlichen Erörterungen, wohl aber nach ihrer Zahl
stehn hier im Vordergrunde die Mädchen und Frauen des sogenannten vierten
Standes, oder wie man sich — nicht ganz zutreffend — auch wohl auszu¬
drücken pflegt, der arbeitenden Klassen. In Bezug auf sie ist für das platte
Laud, für die Frauen und Töchter der landwirtschaftlichen Arbeiterbevölkerung
von einer Frauenfrage glücklicherweise kaum die Rede. Auf dem Laude bestehn
vielfach noch naturalwirtschaftliche Verhältnisse. Wenn auch nicht mehr in dem
frühern Umfange spielt hier die unmittelbare Selbstversorgung der Familie noch
immer eine große Rolle. Dabei haben sich die Frauen von jeher sowohl an
der Rohproduktion wie an der Stoffverarbeitung in sehr erheblichem Maße be¬
teiligt. Und diese Beteiligung läuft in: großen und ganzen auch heute uoch
in altgewohnten Bahnen. Frauen und Mädchen helfen hier in allerhand
körperlicher, auch schwerer Arbeit nach wie vor. Sie freien und werden ge¬
freit in wesentlich gleicher Zahl wie früher, und man wird hier von einem
merklich größern Prozentsätze ehelos bleibender Mädchen im Vergleich zu der
Zeit vor fünfzig Jahren kaum reden können. Für die landwirtschaftlichen
Arbeiterinnen giebt es eine Frauenfrage im modernen Sinne nicht, weder für
die weiblichen Dienstboten, noch auch für die Lohnarbeiterinnen auf dem Lande.
Allerdings machen sich auch hier moderne Züge einer allmählich hereinflutenden
Dissolution bemerklich. Mehr als früher gehn auch Mädchen und Frauen mit
den Männern auf die Wanderschaft, um lohnendere Arbeit zu suchen. Unter
den sogenannten Sachsengüngern finden sich neben den Männern viele Tausende
von Frauen und Mädchen. Die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, liegen
nahe genug. Aber zum großen Teil kehren sie gleich den Männern nach der
Ernte-, Rüben- und Kartoffelkampagne in die Heimat zurück. Für sie kommt
es wesentlich darauf an, daß sie durch eine gute Volksschule kruse der allge¬
meinen Schulpflicht geistig und leiblich, religiös und sittlich in verständiger
Weise erzogen werden. Wenn sie heranwachsen, so übernimmt neben der
Schule die Mutter und der elterliche Haushalt die Ausbildung in den weib¬
lichen Tugenden und Fertigkeiten, deren sie als künftige Frauen und Mütter
bedürfen. Es bedarf nicht der Bevorwortung, daß auch in diesen Verhält-


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[0014] Zur Frauenfrage bewegt sich um die Entscheidung, wie der Kreis der den Frauen zugänglichen, für sie schicklichen und von ihnen gesuchten Arbeit abzugrenzen sei. Im Zu¬ sammenhange damit stehn dann die Fragen der Frauen erziehung, der Frauen¬ bildung und der Berufsvorbildung der Frauen, um die der Kampf am wil¬ desten getobt hat und noch tobt. Hier muß man, um ein Urteil zu gewinnen, auf Einzelheiten eingehn. Man muß die verschiednen Arten und Zweige der Frauenarbeit auf ihre Schicklichkeit, ihren Umfang, ihre geschichtliche Entwicklung, ihren Kultur¬ zusammenhang und Kulturwert näher ansehen. Selbstverständlich kann das hier nicht erschöpfend geschehn. Wir müssen uns auf einzelne typische und im Vordergrunde des allgemeinen staatlichen und gesellschaftlichen Interesses stehende Gruppen beschränken. Zwar nicht nach ihrer Bedeutung für die Frauenfrage im Sinne der über diese zur Zeit schwebenden öffentlichen Erörterungen, wohl aber nach ihrer Zahl stehn hier im Vordergrunde die Mädchen und Frauen des sogenannten vierten Standes, oder wie man sich — nicht ganz zutreffend — auch wohl auszu¬ drücken pflegt, der arbeitenden Klassen. In Bezug auf sie ist für das platte Laud, für die Frauen und Töchter der landwirtschaftlichen Arbeiterbevölkerung von einer Frauenfrage glücklicherweise kaum die Rede. Auf dem Laude bestehn vielfach noch naturalwirtschaftliche Verhältnisse. Wenn auch nicht mehr in dem frühern Umfange spielt hier die unmittelbare Selbstversorgung der Familie noch immer eine große Rolle. Dabei haben sich die Frauen von jeher sowohl an der Rohproduktion wie an der Stoffverarbeitung in sehr erheblichem Maße be¬ teiligt. Und diese Beteiligung läuft in: großen und ganzen auch heute uoch in altgewohnten Bahnen. Frauen und Mädchen helfen hier in allerhand körperlicher, auch schwerer Arbeit nach wie vor. Sie freien und werden ge¬ freit in wesentlich gleicher Zahl wie früher, und man wird hier von einem merklich größern Prozentsätze ehelos bleibender Mädchen im Vergleich zu der Zeit vor fünfzig Jahren kaum reden können. Für die landwirtschaftlichen Arbeiterinnen giebt es eine Frauenfrage im modernen Sinne nicht, weder für die weiblichen Dienstboten, noch auch für die Lohnarbeiterinnen auf dem Lande. Allerdings machen sich auch hier moderne Züge einer allmählich hereinflutenden Dissolution bemerklich. Mehr als früher gehn auch Mädchen und Frauen mit den Männern auf die Wanderschaft, um lohnendere Arbeit zu suchen. Unter den sogenannten Sachsengüngern finden sich neben den Männern viele Tausende von Frauen und Mädchen. Die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, liegen nahe genug. Aber zum großen Teil kehren sie gleich den Männern nach der Ernte-, Rüben- und Kartoffelkampagne in die Heimat zurück. Für sie kommt es wesentlich darauf an, daß sie durch eine gute Volksschule kruse der allge¬ meinen Schulpflicht geistig und leiblich, religiös und sittlich in verständiger Weise erzogen werden. Wenn sie heranwachsen, so übernimmt neben der Schule die Mutter und der elterliche Haushalt die Ausbildung in den weib¬ lichen Tugenden und Fertigkeiten, deren sie als künftige Frauen und Mütter bedürfen. Es bedarf nicht der Bevorwortung, daß auch in diesen Verhält-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/14>, abgerufen am 01.07.2024.