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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Zur Frauenfrage

Weibes, sagt Heinrich von Treitschke mit Recht, wird zu allen Zeiten das
Haus und die Ehe sein. Das Weib soll Kinder gebären und erziehn. Ihrer
Familie soll die Frau den lautern Quell ihrer fühlenden, liebevollen Seele
spenden, Zucht und Sitte, Gottesfurcht und heitre Lebensfreude nähren und
Pflegen. Nur so wird das Weib segensreich wirken. Freilich kann sie das
nicht in der Ehe des sozialdemokratischen Normalstaats der Zukunft, der Mann
und Weib dieselbe Thätigkeit geben will, wie sie in heutigen Fabriken manch¬
mal dieselbe Beschäftigung haben. Dadurch hat das Weib eine scheinbare
Gleichberechtigung mit dem Manne. Es ergiebt sich aber damit auch von selbst
die Auflösung aller häuslichen Liebe und Zucht, und die Ehe verwandelt sich
in ein Konkubinen. Es entstünde auf diese Weise nur eine gewaltsame und
künstliche Gleichberechtigung; denn darauf, daß der Mann die Ernährung, die
Frau die Erziehung und Ordnung im Hause leitet und bei der Produktion
nur nebenbei hilft, darauf beruht die Festigkeit des häuslichen Bandes bei den
meisten Menschen. Wer wirklich ein Herz hat für die untern Stände, der
wird umgekehrt zu dem Schluß kommen, daß es Aufgabe der Sozialpolitik ist,
soviel wie möglich dafür zu sorgen, daß gar keine Frauen mehr in den Fa¬
briken thätig sind. Es muß dahin kommen, daß der Fabrikarbeiter durch seine
Arbeit allein genug erwirbt, um seine Familie ernähren zu könne::. Daß aber
die Frau in die Fabrik geht, und daß damit die Mahlzeit und alle Bequem¬
lichkeiten des häuslichen Lebens fortfallen, führt zur völligen Zerstörung
der Ehe."

Welcher nüchterne, gesittete Freund des Volkes möchte dieser gesunden
Auffassung nicht beipflichten? Wenn aber Millionen Mädchen unter den heu¬
tigen Verhältnissen überhaupt nicht heiraten können, so bleibt nichts andres
übrig, als nach einem annähernd befriedigenden Ersatz ihres natürlichen Berufs
und nach einem aufkündigen und schicklichen Erwerbe für sie zu suchen, der
ihnen den nötigen Lebensunterhalt zu gewähren vermag.

Die Verhältnisse, aus denen sich dieses Drängen nach Erweiterung der
anständigen Erwerbsthätigkeit für Frauen ergiebt, datieren nicht von gestern
und heute. Sie haben sich -- anfänglich kaum bemerkt und schwer erkenn¬
bar -- parallel mit dem Umschwunge unsers ganzen wirtschaftlichen und so¬
zialen Lebens innerhalb der letzten zwei Drittel des neunzehnten Jahrhunderts
ganz allmählich entwickelt. Damit ist denn auch ganz natürlich ebenso all¬
mählich schon eine Erweiterung der Frauenarbeit eingetreten. Frauen leisten
heutzutage eine ungeheure Menge produktiver Arbeit, auch solcher, woran die
Frau des achtzehnten Jahrhunderts noch nicht gedacht hat und zum Teil auch
nicht denken konnte. Freilich thun -- und das ist die Rückseite der Medaille --
Frauen heutzutage viele Arbeit nicht mehr, die sie nach ihrer natürlichen Anlage
und Bestimmung in früherer Zeit in weit größeren Umfange gethan haben.
Ein großer Teil der heute unter der Flagge der Frauenfrnge geführten Kämpfe



Treitschke, Politik, erster Band, Seite 258.
Zur Frauenfrage

Weibes, sagt Heinrich von Treitschke mit Recht, wird zu allen Zeiten das
Haus und die Ehe sein. Das Weib soll Kinder gebären und erziehn. Ihrer
Familie soll die Frau den lautern Quell ihrer fühlenden, liebevollen Seele
spenden, Zucht und Sitte, Gottesfurcht und heitre Lebensfreude nähren und
Pflegen. Nur so wird das Weib segensreich wirken. Freilich kann sie das
nicht in der Ehe des sozialdemokratischen Normalstaats der Zukunft, der Mann
und Weib dieselbe Thätigkeit geben will, wie sie in heutigen Fabriken manch¬
mal dieselbe Beschäftigung haben. Dadurch hat das Weib eine scheinbare
Gleichberechtigung mit dem Manne. Es ergiebt sich aber damit auch von selbst
die Auflösung aller häuslichen Liebe und Zucht, und die Ehe verwandelt sich
in ein Konkubinen. Es entstünde auf diese Weise nur eine gewaltsame und
künstliche Gleichberechtigung; denn darauf, daß der Mann die Ernährung, die
Frau die Erziehung und Ordnung im Hause leitet und bei der Produktion
nur nebenbei hilft, darauf beruht die Festigkeit des häuslichen Bandes bei den
meisten Menschen. Wer wirklich ein Herz hat für die untern Stände, der
wird umgekehrt zu dem Schluß kommen, daß es Aufgabe der Sozialpolitik ist,
soviel wie möglich dafür zu sorgen, daß gar keine Frauen mehr in den Fa¬
briken thätig sind. Es muß dahin kommen, daß der Fabrikarbeiter durch seine
Arbeit allein genug erwirbt, um seine Familie ernähren zu könne::. Daß aber
die Frau in die Fabrik geht, und daß damit die Mahlzeit und alle Bequem¬
lichkeiten des häuslichen Lebens fortfallen, führt zur völligen Zerstörung
der Ehe."

Welcher nüchterne, gesittete Freund des Volkes möchte dieser gesunden
Auffassung nicht beipflichten? Wenn aber Millionen Mädchen unter den heu¬
tigen Verhältnissen überhaupt nicht heiraten können, so bleibt nichts andres
übrig, als nach einem annähernd befriedigenden Ersatz ihres natürlichen Berufs
und nach einem aufkündigen und schicklichen Erwerbe für sie zu suchen, der
ihnen den nötigen Lebensunterhalt zu gewähren vermag.

Die Verhältnisse, aus denen sich dieses Drängen nach Erweiterung der
anständigen Erwerbsthätigkeit für Frauen ergiebt, datieren nicht von gestern
und heute. Sie haben sich — anfänglich kaum bemerkt und schwer erkenn¬
bar — parallel mit dem Umschwunge unsers ganzen wirtschaftlichen und so¬
zialen Lebens innerhalb der letzten zwei Drittel des neunzehnten Jahrhunderts
ganz allmählich entwickelt. Damit ist denn auch ganz natürlich ebenso all¬
mählich schon eine Erweiterung der Frauenarbeit eingetreten. Frauen leisten
heutzutage eine ungeheure Menge produktiver Arbeit, auch solcher, woran die
Frau des achtzehnten Jahrhunderts noch nicht gedacht hat und zum Teil auch
nicht denken konnte. Freilich thun — und das ist die Rückseite der Medaille —
Frauen heutzutage viele Arbeit nicht mehr, die sie nach ihrer natürlichen Anlage
und Bestimmung in früherer Zeit in weit größeren Umfange gethan haben.
Ein großer Teil der heute unter der Flagge der Frauenfrnge geführten Kämpfe



Treitschke, Politik, erster Band, Seite 258.
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[0013] Zur Frauenfrage Weibes, sagt Heinrich von Treitschke mit Recht, wird zu allen Zeiten das Haus und die Ehe sein. Das Weib soll Kinder gebären und erziehn. Ihrer Familie soll die Frau den lautern Quell ihrer fühlenden, liebevollen Seele spenden, Zucht und Sitte, Gottesfurcht und heitre Lebensfreude nähren und Pflegen. Nur so wird das Weib segensreich wirken. Freilich kann sie das nicht in der Ehe des sozialdemokratischen Normalstaats der Zukunft, der Mann und Weib dieselbe Thätigkeit geben will, wie sie in heutigen Fabriken manch¬ mal dieselbe Beschäftigung haben. Dadurch hat das Weib eine scheinbare Gleichberechtigung mit dem Manne. Es ergiebt sich aber damit auch von selbst die Auflösung aller häuslichen Liebe und Zucht, und die Ehe verwandelt sich in ein Konkubinen. Es entstünde auf diese Weise nur eine gewaltsame und künstliche Gleichberechtigung; denn darauf, daß der Mann die Ernährung, die Frau die Erziehung und Ordnung im Hause leitet und bei der Produktion nur nebenbei hilft, darauf beruht die Festigkeit des häuslichen Bandes bei den meisten Menschen. Wer wirklich ein Herz hat für die untern Stände, der wird umgekehrt zu dem Schluß kommen, daß es Aufgabe der Sozialpolitik ist, soviel wie möglich dafür zu sorgen, daß gar keine Frauen mehr in den Fa¬ briken thätig sind. Es muß dahin kommen, daß der Fabrikarbeiter durch seine Arbeit allein genug erwirbt, um seine Familie ernähren zu könne::. Daß aber die Frau in die Fabrik geht, und daß damit die Mahlzeit und alle Bequem¬ lichkeiten des häuslichen Lebens fortfallen, führt zur völligen Zerstörung der Ehe." Welcher nüchterne, gesittete Freund des Volkes möchte dieser gesunden Auffassung nicht beipflichten? Wenn aber Millionen Mädchen unter den heu¬ tigen Verhältnissen überhaupt nicht heiraten können, so bleibt nichts andres übrig, als nach einem annähernd befriedigenden Ersatz ihres natürlichen Berufs und nach einem aufkündigen und schicklichen Erwerbe für sie zu suchen, der ihnen den nötigen Lebensunterhalt zu gewähren vermag. Die Verhältnisse, aus denen sich dieses Drängen nach Erweiterung der anständigen Erwerbsthätigkeit für Frauen ergiebt, datieren nicht von gestern und heute. Sie haben sich — anfänglich kaum bemerkt und schwer erkenn¬ bar — parallel mit dem Umschwunge unsers ganzen wirtschaftlichen und so¬ zialen Lebens innerhalb der letzten zwei Drittel des neunzehnten Jahrhunderts ganz allmählich entwickelt. Damit ist denn auch ganz natürlich ebenso all¬ mählich schon eine Erweiterung der Frauenarbeit eingetreten. Frauen leisten heutzutage eine ungeheure Menge produktiver Arbeit, auch solcher, woran die Frau des achtzehnten Jahrhunderts noch nicht gedacht hat und zum Teil auch nicht denken konnte. Freilich thun — und das ist die Rückseite der Medaille — Frauen heutzutage viele Arbeit nicht mehr, die sie nach ihrer natürlichen Anlage und Bestimmung in früherer Zeit in weit größeren Umfange gethan haben. Ein großer Teil der heute unter der Flagge der Frauenfrnge geführten Kämpfe Treitschke, Politik, erster Band, Seite 258.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/13>, abgerufen am 01.07.2024.