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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Religion und Volk in "Lhino.

die Not des Nächste", Was bei uns Mitleid erregt, wird ihm nicht selten
Urias; zu Scherz und Schadenfreude.

Von den vielen Moralvorschriften des Confucius wird, so scheint es uns,
nnr eine von allen genau befolgt: das ist die Pflicht der Pietät und des
Gehorsams, Indem aber der Chinese dieses Grundgesetz des Landes einseitig
befolgt, hat er den Blick für andre wichtige Dinge verloren. Wir gewahren
bei dem chinesischen Volke einen erstaunlicher Mangel von Eigenschaften, die
für den Bestand eines gedeihlichen Gemeinschaftslebens unerläßlich sind. Der
Chinese ist ein krasser Egoist, was ihn nicht ganz persönlich berührt, darum
kümmert er sich nicht. Das; er sich dadurch selbst am meisten schadet, zu dieser
Einsicht läßt ihn sein in dieser Hinsicht beschränktes Urteil nicht durchdringen.
Daß Interessengemeinschaft und gegenseitige Verpflichtungen die verschiednen
Klassen einer wohlgeordneten Gesellschaft verbinden müssen, ist dem Chinesen
unfaßlich; ist doch seine Sprache unfähig, den Begriff des die res publiog, ver¬
tretenden Staats auszudrücken. Als z. B. Frankreich eine Republik wurde,
konnten die chinesischen Litternten das Wort nicht sinngemäß übersetzen und
mußten sich mit einer rein phonetischen Übertragung helfen.

Wie in China von den Eltern die Pflicht der Pietät den Kindern ein¬
geprägt wird, ohne die geringste Anerkennung der elterlichen Pflichten, so wird
in sozialen Verhältnissen ans die Pflicht des Gehorsams der untern Klassen
großer Wert gelegt, ohne einen Gedanken an die Rechte, die diesen Untergebnen
ebenfalls zustehu. Die Mißwirtschaft im Staatswesen sieht der Chinese als
etwas ganz natürliches an. Die Volksmassen kennen keine andern Verhältnisse,
lind anch nnter denen, die mehr Erfahrung haben, begegnet man der Ansicht,
daß die schlechte Wirtschaft in ihrem Lande eine unglückliche, aber unabänderliche
Bestinnnnng der Vorsehung sei. Daß der Unterthan ein Recht Hütte, von den
Regierenden eine ordentliche Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten zu
verlangen, weil das auch seine Angelegenheiten sind, dies einzusehen ist eine
Zumutung, die man an den Chinesen vergebens stellen würde. Sein hoch-
konservatives Wesen und sein traditioneller Hochmut dulden nicht den Gedanken
einer Änderung, wäre es auch eine Verbesserung,

Aus diesem Grunde ist ihm auch alles Fremde und Ausländische ans das
äußerste zuwider, und besonders sind es die obern Klassen, die diese Abneigung
unablässig zu nähren bemüht sind, Ihnen ist die europäische Kultur, in welcher
Weise sie sich auch äußert, ein Greuel, denn instinktiv fühlen sie, daß ihre Tage
gezählt U'arm, sollte abendländischer Einfluß je die Massen durchdringen. Inso¬
fern ist ihnen auch die christliche Missionsthätigkeit verhaßt, denn jedes Missions¬
haus ist ein Mittelpunkt, von dem uns die Kultur das ganze Gebiet beeinflußt.
Nicht das Christentum ist ihnen der Verfolgung wert; ihr Haß gegen die
Missionare ist eben weiter nichts, als eine akute Form des allgemeinen Fremden-
Hasses. Man kann auch wicht sagen, daß dieses Gebaren der Chinesen Heuchelei
sei, sie halten sich in der That für gebildeter als die Europäer. Geben sie
auch die geistige Superiorität der Europäer ans manchen Gebieten zu, so halten


Religion und Volk in «Lhino.

die Not des Nächste», Was bei uns Mitleid erregt, wird ihm nicht selten
Urias; zu Scherz und Schadenfreude.

Von den vielen Moralvorschriften des Confucius wird, so scheint es uns,
nnr eine von allen genau befolgt: das ist die Pflicht der Pietät und des
Gehorsams, Indem aber der Chinese dieses Grundgesetz des Landes einseitig
befolgt, hat er den Blick für andre wichtige Dinge verloren. Wir gewahren
bei dem chinesischen Volke einen erstaunlicher Mangel von Eigenschaften, die
für den Bestand eines gedeihlichen Gemeinschaftslebens unerläßlich sind. Der
Chinese ist ein krasser Egoist, was ihn nicht ganz persönlich berührt, darum
kümmert er sich nicht. Das; er sich dadurch selbst am meisten schadet, zu dieser
Einsicht läßt ihn sein in dieser Hinsicht beschränktes Urteil nicht durchdringen.
Daß Interessengemeinschaft und gegenseitige Verpflichtungen die verschiednen
Klassen einer wohlgeordneten Gesellschaft verbinden müssen, ist dem Chinesen
unfaßlich; ist doch seine Sprache unfähig, den Begriff des die res publiog, ver¬
tretenden Staats auszudrücken. Als z. B. Frankreich eine Republik wurde,
konnten die chinesischen Litternten das Wort nicht sinngemäß übersetzen und
mußten sich mit einer rein phonetischen Übertragung helfen.

Wie in China von den Eltern die Pflicht der Pietät den Kindern ein¬
geprägt wird, ohne die geringste Anerkennung der elterlichen Pflichten, so wird
in sozialen Verhältnissen ans die Pflicht des Gehorsams der untern Klassen
großer Wert gelegt, ohne einen Gedanken an die Rechte, die diesen Untergebnen
ebenfalls zustehu. Die Mißwirtschaft im Staatswesen sieht der Chinese als
etwas ganz natürliches an. Die Volksmassen kennen keine andern Verhältnisse,
lind anch nnter denen, die mehr Erfahrung haben, begegnet man der Ansicht,
daß die schlechte Wirtschaft in ihrem Lande eine unglückliche, aber unabänderliche
Bestinnnnng der Vorsehung sei. Daß der Unterthan ein Recht Hütte, von den
Regierenden eine ordentliche Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten zu
verlangen, weil das auch seine Angelegenheiten sind, dies einzusehen ist eine
Zumutung, die man an den Chinesen vergebens stellen würde. Sein hoch-
konservatives Wesen und sein traditioneller Hochmut dulden nicht den Gedanken
einer Änderung, wäre es auch eine Verbesserung,

Aus diesem Grunde ist ihm auch alles Fremde und Ausländische ans das
äußerste zuwider, und besonders sind es die obern Klassen, die diese Abneigung
unablässig zu nähren bemüht sind, Ihnen ist die europäische Kultur, in welcher
Weise sie sich auch äußert, ein Greuel, denn instinktiv fühlen sie, daß ihre Tage
gezählt U'arm, sollte abendländischer Einfluß je die Massen durchdringen. Inso¬
fern ist ihnen auch die christliche Missionsthätigkeit verhaßt, denn jedes Missions¬
haus ist ein Mittelpunkt, von dem uns die Kultur das ganze Gebiet beeinflußt.
Nicht das Christentum ist ihnen der Verfolgung wert; ihr Haß gegen die
Missionare ist eben weiter nichts, als eine akute Form des allgemeinen Fremden-
Hasses. Man kann auch wicht sagen, daß dieses Gebaren der Chinesen Heuchelei
sei, sie halten sich in der That für gebildeter als die Europäer. Geben sie
auch die geistige Superiorität der Europäer ans manchen Gebieten zu, so halten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/98>, abgerufen am 02.07.2024.