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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Religion und Volk in China

sie sie doch für Barbaren. Die Gewohnheiten des Chinesen, seine Litteratur,
seine Gedankenverbindung sind von der unsrigen so verschieden, daß es nur
schwer gelingt, sich ihm verständlich zu macheu, "Es ist entsetzlich, ruft ein
Chinese ans, daß sich Barbaren anmaßen, die Bewohner des himmlischen Reichs
zu unterrichten, während sie so elendig nnter diesen steh"; durch Verwerfung
der weisen Lehren der alten Könige zeigen sie sehr wenig Weisheit; sie haben
keine Pietät und vergessen die Eltern, sobald sie tot sind; sie bringen ihren
Manen nicht das geringste Opfer und würde" nicht daS winzigste Stück Gold-
Papier verbrennen, um zur Wohlfahrt ihrer Väter in der andern Welt beizu¬
tragen; solche Menschen, die Männern und Frauen erlauben, Arm in Arm und
am hellen Tage spazieren zu gehn, haben nicht das mindeste Gefühl für Wohl-
anständigkeit; Wahrheitsliebe ist die einzige Tugend, auf die sie Anspruch machen
können,"

Mit Recht kann man sagen: Die chinesische Rasse spricht, denkt und fühlt
noch hente wie vor dreitausend Jahren, Die Sprache, das Schreibsystem, die
Gesetze und religiösen Gebräuche wirken vereint dazu, jede Selöstentwicklnng zu
vernichten, und haben dieses Volk, das von jeher greisenhaft gewesen ist, von
Anbeginn schon gelähmt. Mehr aber als irgend etwas andres hat die Lehre
des Confucius, daß alles Alte heilig sei, dazu beigetragen, die Chinesen zu ver
steinern und in ihrem fossile" Zustande zu erhalten. Die Regierung, die die
Bewahrung des Volks in seinem frühern Zustande, weil es so leichter zu re¬
gieren ist, für die vornehmste Aufgabe hält, findet in der litterarischen Büreau-
kratie, die voll tiefster Verehrung für das Alte ist, ein ausgezeichnetes Mittel
für ihre Zwecke. Die gelehrten Prüfungen aber, die in China eine große Rolle
spielen, weil ohne sie, dem Namen "ach wenigstens, niemand zu Ehre und Amt
gelangt, sind nichts als eitel Täuschung, ihr wissenschaftlicher Wert ist gleich
Null. Die unendliche Masse der chinesischen Litteratur ist nicht unpassend mit
der "Großen Mauer" verglichen worden, denn jene gewährt keine wirkliche
Belehrung und diese keine" Schutz. In Wahrheit steht die Klasse der Gelehrten
und Beamten allem, was Wissenschaft in unserm Sinne heißt, völlig interesselos
gegenüber, und dazu hat sie eine Selbstüberhebung, die ihres gleichen nicht
kennt. Dies ist aber die Folge der unerschütterlichen Tradition, die darauf
hinzielt, jede unabhängige Forschung zur Bereicherung der Kenntnisse zu ruder-
t rücken.

Und weil selbst die zweifelhaften litterarischen Kenntnisse im Vergleich zu
der Menge nur wenigen zugänglich siud, so darf es nicht wundern, daß die
Tiefe der Unbildung und der Unwissenheit der großen Masse des Volks uner¬
gründlich ist; gefesselt in dem Netz herkömmlicher und abergläubischer Unwissen¬
heit, giebt es für sie keinen Ausweg, sich frei zu machen.


August Spannth


Religion und Volk in China

sie sie doch für Barbaren. Die Gewohnheiten des Chinesen, seine Litteratur,
seine Gedankenverbindung sind von der unsrigen so verschieden, daß es nur
schwer gelingt, sich ihm verständlich zu macheu, „Es ist entsetzlich, ruft ein
Chinese ans, daß sich Barbaren anmaßen, die Bewohner des himmlischen Reichs
zu unterrichten, während sie so elendig nnter diesen steh»; durch Verwerfung
der weisen Lehren der alten Könige zeigen sie sehr wenig Weisheit; sie haben
keine Pietät und vergessen die Eltern, sobald sie tot sind; sie bringen ihren
Manen nicht das geringste Opfer und würde» nicht daS winzigste Stück Gold-
Papier verbrennen, um zur Wohlfahrt ihrer Väter in der andern Welt beizu¬
tragen; solche Menschen, die Männern und Frauen erlauben, Arm in Arm und
am hellen Tage spazieren zu gehn, haben nicht das mindeste Gefühl für Wohl-
anständigkeit; Wahrheitsliebe ist die einzige Tugend, auf die sie Anspruch machen
können,"

Mit Recht kann man sagen: Die chinesische Rasse spricht, denkt und fühlt
noch hente wie vor dreitausend Jahren, Die Sprache, das Schreibsystem, die
Gesetze und religiösen Gebräuche wirken vereint dazu, jede Selöstentwicklnng zu
vernichten, und haben dieses Volk, das von jeher greisenhaft gewesen ist, von
Anbeginn schon gelähmt. Mehr aber als irgend etwas andres hat die Lehre
des Confucius, daß alles Alte heilig sei, dazu beigetragen, die Chinesen zu ver
steinern und in ihrem fossile» Zustande zu erhalten. Die Regierung, die die
Bewahrung des Volks in seinem frühern Zustande, weil es so leichter zu re¬
gieren ist, für die vornehmste Aufgabe hält, findet in der litterarischen Büreau-
kratie, die voll tiefster Verehrung für das Alte ist, ein ausgezeichnetes Mittel
für ihre Zwecke. Die gelehrten Prüfungen aber, die in China eine große Rolle
spielen, weil ohne sie, dem Namen »ach wenigstens, niemand zu Ehre und Amt
gelangt, sind nichts als eitel Täuschung, ihr wissenschaftlicher Wert ist gleich
Null. Die unendliche Masse der chinesischen Litteratur ist nicht unpassend mit
der „Großen Mauer" verglichen worden, denn jene gewährt keine wirkliche
Belehrung und diese keine» Schutz. In Wahrheit steht die Klasse der Gelehrten
und Beamten allem, was Wissenschaft in unserm Sinne heißt, völlig interesselos
gegenüber, und dazu hat sie eine Selbstüberhebung, die ihres gleichen nicht
kennt. Dies ist aber die Folge der unerschütterlichen Tradition, die darauf
hinzielt, jede unabhängige Forschung zur Bereicherung der Kenntnisse zu ruder-
t rücken.

Und weil selbst die zweifelhaften litterarischen Kenntnisse im Vergleich zu
der Menge nur wenigen zugänglich siud, so darf es nicht wundern, daß die
Tiefe der Unbildung und der Unwissenheit der großen Masse des Volks uner¬
gründlich ist; gefesselt in dem Netz herkömmlicher und abergläubischer Unwissen¬
heit, giebt es für sie keinen Ausweg, sich frei zu machen.


August Spannth


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[0099] Religion und Volk in China sie sie doch für Barbaren. Die Gewohnheiten des Chinesen, seine Litteratur, seine Gedankenverbindung sind von der unsrigen so verschieden, daß es nur schwer gelingt, sich ihm verständlich zu macheu, „Es ist entsetzlich, ruft ein Chinese ans, daß sich Barbaren anmaßen, die Bewohner des himmlischen Reichs zu unterrichten, während sie so elendig nnter diesen steh»; durch Verwerfung der weisen Lehren der alten Könige zeigen sie sehr wenig Weisheit; sie haben keine Pietät und vergessen die Eltern, sobald sie tot sind; sie bringen ihren Manen nicht das geringste Opfer und würde» nicht daS winzigste Stück Gold- Papier verbrennen, um zur Wohlfahrt ihrer Väter in der andern Welt beizu¬ tragen; solche Menschen, die Männern und Frauen erlauben, Arm in Arm und am hellen Tage spazieren zu gehn, haben nicht das mindeste Gefühl für Wohl- anständigkeit; Wahrheitsliebe ist die einzige Tugend, auf die sie Anspruch machen können," Mit Recht kann man sagen: Die chinesische Rasse spricht, denkt und fühlt noch hente wie vor dreitausend Jahren, Die Sprache, das Schreibsystem, die Gesetze und religiösen Gebräuche wirken vereint dazu, jede Selöstentwicklnng zu vernichten, und haben dieses Volk, das von jeher greisenhaft gewesen ist, von Anbeginn schon gelähmt. Mehr aber als irgend etwas andres hat die Lehre des Confucius, daß alles Alte heilig sei, dazu beigetragen, die Chinesen zu ver steinern und in ihrem fossile» Zustande zu erhalten. Die Regierung, die die Bewahrung des Volks in seinem frühern Zustande, weil es so leichter zu re¬ gieren ist, für die vornehmste Aufgabe hält, findet in der litterarischen Büreau- kratie, die voll tiefster Verehrung für das Alte ist, ein ausgezeichnetes Mittel für ihre Zwecke. Die gelehrten Prüfungen aber, die in China eine große Rolle spielen, weil ohne sie, dem Namen »ach wenigstens, niemand zu Ehre und Amt gelangt, sind nichts als eitel Täuschung, ihr wissenschaftlicher Wert ist gleich Null. Die unendliche Masse der chinesischen Litteratur ist nicht unpassend mit der „Großen Mauer" verglichen worden, denn jene gewährt keine wirkliche Belehrung und diese keine» Schutz. In Wahrheit steht die Klasse der Gelehrten und Beamten allem, was Wissenschaft in unserm Sinne heißt, völlig interesselos gegenüber, und dazu hat sie eine Selbstüberhebung, die ihres gleichen nicht kennt. Dies ist aber die Folge der unerschütterlichen Tradition, die darauf hinzielt, jede unabhängige Forschung zur Bereicherung der Kenntnisse zu ruder- t rücken. Und weil selbst die zweifelhaften litterarischen Kenntnisse im Vergleich zu der Menge nur wenigen zugänglich siud, so darf es nicht wundern, daß die Tiefe der Unbildung und der Unwissenheit der großen Masse des Volks uner¬ gründlich ist; gefesselt in dem Netz herkömmlicher und abergläubischer Unwissen¬ heit, giebt es für sie keinen Ausweg, sich frei zu machen. August Spannth

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/99>, abgerufen am 01.07.2024.