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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Will die höchste sittliche Vollkommenheit in jedem schaffen durch wahre Er¬
kenntnis eines höchsten Wesens, die mir durch Intelligenz möglich ist und
durch das Jm-Herzen-Bewahren dieses Gottes, was allein durch Herzens¬
reinheit, Geistesruhe und Herrschaft über die Begierden erreichbar wird. Die
Ansichten des Confucius und des Laotsc miteinander verglichen sind himmel¬
weit voneinander verschieden, Confucius will ein strenges Festhalten an den
Satzungen der Väter, an der Meinung der alten Weisen, Lavtse das Gegenteil,
die Fortbildung, den Fortschritt, die Fortentwicklung des Menschengeistes.
Confucius will das Gluck der Menschen auf dieser Welt begründen, nicht vom
Individuum, sondern vom Staate ans, deshalb der unbedingte, aber kindliche
Gehorsam der Untergebnen, die unbedingte Gewalt und Autorität der Eltern
und Höhern, von Menschlichkeit und Gerechtigkeit geleitet, während Laotse die
sittliche Vollkommenheit im Individuum durch wahre Erkenntnis erreichen will.
Die Vollkommenheit des Staatsorganismus wird von Laotse nicht in der
äußern Macht und in dem Ansehn des Regenten gefunden, sondern vielmehr
dadurch geschaffen, daß dieser geistig und sittlich vollkommen und gottbegabt
ist und demnächst durch sein Beispiel und seine Lehre die Meuschen, die ihm
untergeben sind, sittlich zu vervollkommnen strebt.

Als Confucius ihn aufsuchte und im Gespräch mit ihm die Maximen der
alten Weisen immer und immer wieder hersagte und nur, was sie gesagt
hatten, gelten lasse" wollte, erwiderte Laotse: "Wie kannst du nur fort und
fort von den Männern sprechen, die längst tot und deren Gebeine selbst längst
in Staub zerfallen find. Ihre Sprüche mögen für ihre Zeit recht schön und
passend gewesen sein, aber das Rad der Zeit bleibt nicht stehn, und wir rollen,
wie sie, weiter im flüchtigen Wagen und müssen ihr folgen und uns in sie
schicken mit unsern Ansichten. Sind nun unsre Ansichten zeitgemäß, so sprechen
wir sie aus und nützen der Welt, und sind stürmische Zeiten, in denen wir
mit unser" Meinungen nicht durchdringen, dann warten wir auf eine schicklichere
Zeit und bewahren den köstlichen Edelstein, den wir gefunden haben, im Herzen.
Dieses kostbare Kleinod findet aber nur in reinen Herzen Aufnahme, und so
lege auch du erst deine Eitelkeit, deinen Hochmut ab und gieb deine An-
forderungen auf, mit denen du doch nichts ausrichtest." Confucius gab jedoch
seine Ansichten nicht auf, er drang sogar mit seinen realen Ansichten dnrch,
während die reine Tavlehre Laotses, weil sie ein reines Herz voraussetzt, nur
wenig Anhänger fand, denn die Verirrungen und Abgeschmacktheiten der sich
heute nach ihm nennenden Sekte der Taossc sind gerade das Gegenteil von
den Ansichten des Meisters.

Das dritte der in China vertretne" Religionssysteme ist der Buddhismus,
der 65 n. Chr. von Indien aus seinen Einzug hielt. Es ist aber ein Bud¬
dhismus ganz absonderlicher Art und von solcher Elastizität, daß er alle übrigen
Systeme in sich aufnimmt, und daß Jndianisten das Kind am Namen schwerlich
erkennen würden. Er hat in China eine totale Wandlung erfahren. Dem Gebet
wird eine magische Kraft über die Gottheiten zugeschrieben, währeud es ur-


Will die höchste sittliche Vollkommenheit in jedem schaffen durch wahre Er¬
kenntnis eines höchsten Wesens, die mir durch Intelligenz möglich ist und
durch das Jm-Herzen-Bewahren dieses Gottes, was allein durch Herzens¬
reinheit, Geistesruhe und Herrschaft über die Begierden erreichbar wird. Die
Ansichten des Confucius und des Laotsc miteinander verglichen sind himmel¬
weit voneinander verschieden, Confucius will ein strenges Festhalten an den
Satzungen der Väter, an der Meinung der alten Weisen, Lavtse das Gegenteil,
die Fortbildung, den Fortschritt, die Fortentwicklung des Menschengeistes.
Confucius will das Gluck der Menschen auf dieser Welt begründen, nicht vom
Individuum, sondern vom Staate ans, deshalb der unbedingte, aber kindliche
Gehorsam der Untergebnen, die unbedingte Gewalt und Autorität der Eltern
und Höhern, von Menschlichkeit und Gerechtigkeit geleitet, während Laotse die
sittliche Vollkommenheit im Individuum durch wahre Erkenntnis erreichen will.
Die Vollkommenheit des Staatsorganismus wird von Laotse nicht in der
äußern Macht und in dem Ansehn des Regenten gefunden, sondern vielmehr
dadurch geschaffen, daß dieser geistig und sittlich vollkommen und gottbegabt
ist und demnächst durch sein Beispiel und seine Lehre die Meuschen, die ihm
untergeben sind, sittlich zu vervollkommnen strebt.

Als Confucius ihn aufsuchte und im Gespräch mit ihm die Maximen der
alten Weisen immer und immer wieder hersagte und nur, was sie gesagt
hatten, gelten lasse» wollte, erwiderte Laotse: „Wie kannst du nur fort und
fort von den Männern sprechen, die längst tot und deren Gebeine selbst längst
in Staub zerfallen find. Ihre Sprüche mögen für ihre Zeit recht schön und
passend gewesen sein, aber das Rad der Zeit bleibt nicht stehn, und wir rollen,
wie sie, weiter im flüchtigen Wagen und müssen ihr folgen und uns in sie
schicken mit unsern Ansichten. Sind nun unsre Ansichten zeitgemäß, so sprechen
wir sie aus und nützen der Welt, und sind stürmische Zeiten, in denen wir
mit unser» Meinungen nicht durchdringen, dann warten wir auf eine schicklichere
Zeit und bewahren den köstlichen Edelstein, den wir gefunden haben, im Herzen.
Dieses kostbare Kleinod findet aber nur in reinen Herzen Aufnahme, und so
lege auch du erst deine Eitelkeit, deinen Hochmut ab und gieb deine An-
forderungen auf, mit denen du doch nichts ausrichtest." Confucius gab jedoch
seine Ansichten nicht auf, er drang sogar mit seinen realen Ansichten dnrch,
während die reine Tavlehre Laotses, weil sie ein reines Herz voraussetzt, nur
wenig Anhänger fand, denn die Verirrungen und Abgeschmacktheiten der sich
heute nach ihm nennenden Sekte der Taossc sind gerade das Gegenteil von
den Ansichten des Meisters.

Das dritte der in China vertretne» Religionssysteme ist der Buddhismus,
der 65 n. Chr. von Indien aus seinen Einzug hielt. Es ist aber ein Bud¬
dhismus ganz absonderlicher Art und von solcher Elastizität, daß er alle übrigen
Systeme in sich aufnimmt, und daß Jndianisten das Kind am Namen schwerlich
erkennen würden. Er hat in China eine totale Wandlung erfahren. Dem Gebet
wird eine magische Kraft über die Gottheiten zugeschrieben, währeud es ur-


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[0094] Will die höchste sittliche Vollkommenheit in jedem schaffen durch wahre Er¬ kenntnis eines höchsten Wesens, die mir durch Intelligenz möglich ist und durch das Jm-Herzen-Bewahren dieses Gottes, was allein durch Herzens¬ reinheit, Geistesruhe und Herrschaft über die Begierden erreichbar wird. Die Ansichten des Confucius und des Laotsc miteinander verglichen sind himmel¬ weit voneinander verschieden, Confucius will ein strenges Festhalten an den Satzungen der Väter, an der Meinung der alten Weisen, Lavtse das Gegenteil, die Fortbildung, den Fortschritt, die Fortentwicklung des Menschengeistes. Confucius will das Gluck der Menschen auf dieser Welt begründen, nicht vom Individuum, sondern vom Staate ans, deshalb der unbedingte, aber kindliche Gehorsam der Untergebnen, die unbedingte Gewalt und Autorität der Eltern und Höhern, von Menschlichkeit und Gerechtigkeit geleitet, während Laotse die sittliche Vollkommenheit im Individuum durch wahre Erkenntnis erreichen will. Die Vollkommenheit des Staatsorganismus wird von Laotse nicht in der äußern Macht und in dem Ansehn des Regenten gefunden, sondern vielmehr dadurch geschaffen, daß dieser geistig und sittlich vollkommen und gottbegabt ist und demnächst durch sein Beispiel und seine Lehre die Meuschen, die ihm untergeben sind, sittlich zu vervollkommnen strebt. Als Confucius ihn aufsuchte und im Gespräch mit ihm die Maximen der alten Weisen immer und immer wieder hersagte und nur, was sie gesagt hatten, gelten lasse» wollte, erwiderte Laotse: „Wie kannst du nur fort und fort von den Männern sprechen, die längst tot und deren Gebeine selbst längst in Staub zerfallen find. Ihre Sprüche mögen für ihre Zeit recht schön und passend gewesen sein, aber das Rad der Zeit bleibt nicht stehn, und wir rollen, wie sie, weiter im flüchtigen Wagen und müssen ihr folgen und uns in sie schicken mit unsern Ansichten. Sind nun unsre Ansichten zeitgemäß, so sprechen wir sie aus und nützen der Welt, und sind stürmische Zeiten, in denen wir mit unser» Meinungen nicht durchdringen, dann warten wir auf eine schicklichere Zeit und bewahren den köstlichen Edelstein, den wir gefunden haben, im Herzen. Dieses kostbare Kleinod findet aber nur in reinen Herzen Aufnahme, und so lege auch du erst deine Eitelkeit, deinen Hochmut ab und gieb deine An- forderungen auf, mit denen du doch nichts ausrichtest." Confucius gab jedoch seine Ansichten nicht auf, er drang sogar mit seinen realen Ansichten dnrch, während die reine Tavlehre Laotses, weil sie ein reines Herz voraussetzt, nur wenig Anhänger fand, denn die Verirrungen und Abgeschmacktheiten der sich heute nach ihm nennenden Sekte der Taossc sind gerade das Gegenteil von den Ansichten des Meisters. Das dritte der in China vertretne» Religionssysteme ist der Buddhismus, der 65 n. Chr. von Indien aus seinen Einzug hielt. Es ist aber ein Bud¬ dhismus ganz absonderlicher Art und von solcher Elastizität, daß er alle übrigen Systeme in sich aufnimmt, und daß Jndianisten das Kind am Namen schwerlich erkennen würden. Er hat in China eine totale Wandlung erfahren. Dem Gebet wird eine magische Kraft über die Gottheiten zugeschrieben, währeud es ur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/94>, abgerufen am 02.07.2024.