Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Religion und Volk in China

mit dem Namen des Betreffenden die Person vor. Ebensowenig kennt der
alte chinesische Kultus glänzende Tempel, nur der Reiche hat einen Ahnensaal
in seinem Hause. Es giebt keinen Religionsunterricht oder etwas, was unsrer
Predigt ähnlich sieht, Wohl aber ist das Ceremoniell bis ins kleinste aus¬
gebildet. Man ist peinlich genau in der Ausübung heiliger Gebrauche, um
sich der Gunst oder des Rats der Geister zu versichern. Um das Wesen und
die Natur der Götter kümmert mau sich nicht und läßt deren Eigenschaften
lieber im unklaren, als daß man in deren Bestimmung, also in der Indivi¬
dualisierung zu weit geht.

In diesen hergebrachte" Ideen lebte und webte auch Confucius (geb. 551
v. Chr.). Seine Haupttendenz war, die alten von ihm verehrten, aber in
Verfall gcratneu Gebräuche, Sitten und Grundsätze zunächst genan kennen zu
lernen, durch seine Lehre wieder herzustellen und für ihre Verbreitung zu
wirken. Fremde Lehren und Prinzipien schienen ihm gefährlich; er konnte sich
gar nicht denken, daß in China je andre Ideen herrschen könnten, und ebenso
seine Schüler und Nachfolger. Er wurde als der Hauptsammler und Auf¬
bewahrer der alten Traditionen verehrt und gelangte nach seinem Tode zu
einem Ansehn, das er bei Lebzeiten nicht genossen hatte. Die persönliche Auf-
fassung Gottes tritt bei ihm gänzlich zurück, Himmel und Erde sind ihm, wie
dem Chinesen überhaupt, die Grundwesen. Thatsächlich hat er sich über reli¬
giöse Verhältnisse nur wenig und ungern ausgesprochen, und wo er es den¬
noch thut, bleibt er so orakelhaft dunkel, daß man um nichts klarer wird. Er
war ein praktischer Staatsmann und giebt als solcher nur eine Anzahl prak¬
tischer Sitten- und Lebensregeln, die jedoch des religiösen Prinzips durchaus
entbehre". Seine Lehren sind rein weltlich, durch Nüchternheit, scharfen Verstand
und weltmännische Klugheit ausgezeichnet und enthalten nur die eine Ver¬
heißung, daß, wenn jeder die Sittenlehren befolgt, das Dasein der Menschen
gebessert, ja bis zu den Grenzen der erreichbaren Vollkommenheit erhoben
werden könnte. Sein oberster Grundsatz ist Pietät und Gehorsam; wenn die
Familie wohl geordnet ist, so blüht der Staat. Nach ihm ist wahre Weisheit,
das Wohl des Volkes zu erstreben, den Manen zu opfern und die Geister zu
ehren. Indes ist er auch andrerseits sichtlich bestrebt, den Geisterglauben auf
das geringste Maß zu beschränken; man soll sich von ihnen fern halten, "denn
sie sind dunkel und schwer zu ergründen, und darum fürchtet der Mensch sie."
Pflichterfüllung geht ihm schließlich doch über Geisterkultns. Durch bloße
Gebete und Opfer etwas zu erreichen paßt nicht zu seinem System; deshalb
war ihm, als er einst krank lag, das Gebet seines Schülers sehr gleichgiltig.
Über eine Fortdauer nach dem Tode weiß Confucius nichts zu sagen, eine
Unsterblichkeit der Seele nahm er nicht an. Er fand den Glauben an eine
Fortdauer vor und wußte den günstigen sittlichen Einfluß des Nnsterblichkeits-
glanbeus zu schätzen.

Das zweite China eigentümliche Religionssystem ist das des Laotse, der
ein Zeitgenosse des Confucius war und der Stifter der Tnvssesckte wurde. Er


Religion und Volk in China

mit dem Namen des Betreffenden die Person vor. Ebensowenig kennt der
alte chinesische Kultus glänzende Tempel, nur der Reiche hat einen Ahnensaal
in seinem Hause. Es giebt keinen Religionsunterricht oder etwas, was unsrer
Predigt ähnlich sieht, Wohl aber ist das Ceremoniell bis ins kleinste aus¬
gebildet. Man ist peinlich genau in der Ausübung heiliger Gebrauche, um
sich der Gunst oder des Rats der Geister zu versichern. Um das Wesen und
die Natur der Götter kümmert mau sich nicht und läßt deren Eigenschaften
lieber im unklaren, als daß man in deren Bestimmung, also in der Indivi¬
dualisierung zu weit geht.

In diesen hergebrachte» Ideen lebte und webte auch Confucius (geb. 551
v. Chr.). Seine Haupttendenz war, die alten von ihm verehrten, aber in
Verfall gcratneu Gebräuche, Sitten und Grundsätze zunächst genan kennen zu
lernen, durch seine Lehre wieder herzustellen und für ihre Verbreitung zu
wirken. Fremde Lehren und Prinzipien schienen ihm gefährlich; er konnte sich
gar nicht denken, daß in China je andre Ideen herrschen könnten, und ebenso
seine Schüler und Nachfolger. Er wurde als der Hauptsammler und Auf¬
bewahrer der alten Traditionen verehrt und gelangte nach seinem Tode zu
einem Ansehn, das er bei Lebzeiten nicht genossen hatte. Die persönliche Auf-
fassung Gottes tritt bei ihm gänzlich zurück, Himmel und Erde sind ihm, wie
dem Chinesen überhaupt, die Grundwesen. Thatsächlich hat er sich über reli¬
giöse Verhältnisse nur wenig und ungern ausgesprochen, und wo er es den¬
noch thut, bleibt er so orakelhaft dunkel, daß man um nichts klarer wird. Er
war ein praktischer Staatsmann und giebt als solcher nur eine Anzahl prak¬
tischer Sitten- und Lebensregeln, die jedoch des religiösen Prinzips durchaus
entbehre». Seine Lehren sind rein weltlich, durch Nüchternheit, scharfen Verstand
und weltmännische Klugheit ausgezeichnet und enthalten nur die eine Ver¬
heißung, daß, wenn jeder die Sittenlehren befolgt, das Dasein der Menschen
gebessert, ja bis zu den Grenzen der erreichbaren Vollkommenheit erhoben
werden könnte. Sein oberster Grundsatz ist Pietät und Gehorsam; wenn die
Familie wohl geordnet ist, so blüht der Staat. Nach ihm ist wahre Weisheit,
das Wohl des Volkes zu erstreben, den Manen zu opfern und die Geister zu
ehren. Indes ist er auch andrerseits sichtlich bestrebt, den Geisterglauben auf
das geringste Maß zu beschränken; man soll sich von ihnen fern halten, „denn
sie sind dunkel und schwer zu ergründen, und darum fürchtet der Mensch sie."
Pflichterfüllung geht ihm schließlich doch über Geisterkultns. Durch bloße
Gebete und Opfer etwas zu erreichen paßt nicht zu seinem System; deshalb
war ihm, als er einst krank lag, das Gebet seines Schülers sehr gleichgiltig.
Über eine Fortdauer nach dem Tode weiß Confucius nichts zu sagen, eine
Unsterblichkeit der Seele nahm er nicht an. Er fand den Glauben an eine
Fortdauer vor und wußte den günstigen sittlichen Einfluß des Nnsterblichkeits-
glanbeus zu schätzen.

Das zweite China eigentümliche Religionssystem ist das des Laotse, der
ein Zeitgenosse des Confucius war und der Stifter der Tnvssesckte wurde. Er


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232645"/>
          <fw type="header" place="top"> Religion und Volk in China</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_264" prev="#ID_263"> mit dem Namen des Betreffenden die Person vor. Ebensowenig kennt der<lb/>
alte chinesische Kultus glänzende Tempel, nur der Reiche hat einen Ahnensaal<lb/>
in seinem Hause. Es giebt keinen Religionsunterricht oder etwas, was unsrer<lb/>
Predigt ähnlich sieht, Wohl aber ist das Ceremoniell bis ins kleinste aus¬<lb/>
gebildet. Man ist peinlich genau in der Ausübung heiliger Gebrauche, um<lb/>
sich der Gunst oder des Rats der Geister zu versichern. Um das Wesen und<lb/>
die Natur der Götter kümmert mau sich nicht und läßt deren Eigenschaften<lb/>
lieber im unklaren, als daß man in deren Bestimmung, also in der Indivi¬<lb/>
dualisierung zu weit geht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_265"> In diesen hergebrachte» Ideen lebte und webte auch Confucius (geb. 551<lb/>
v. Chr.). Seine Haupttendenz war, die alten von ihm verehrten, aber in<lb/>
Verfall gcratneu Gebräuche, Sitten und Grundsätze zunächst genan kennen zu<lb/>
lernen, durch seine Lehre wieder herzustellen und für ihre Verbreitung zu<lb/>
wirken. Fremde Lehren und Prinzipien schienen ihm gefährlich; er konnte sich<lb/>
gar nicht denken, daß in China je andre Ideen herrschen könnten, und ebenso<lb/>
seine Schüler und Nachfolger. Er wurde als der Hauptsammler und Auf¬<lb/>
bewahrer der alten Traditionen verehrt und gelangte nach seinem Tode zu<lb/>
einem Ansehn, das er bei Lebzeiten nicht genossen hatte. Die persönliche Auf-<lb/>
fassung Gottes tritt bei ihm gänzlich zurück, Himmel und Erde sind ihm, wie<lb/>
dem Chinesen überhaupt, die Grundwesen. Thatsächlich hat er sich über reli¬<lb/>
giöse Verhältnisse nur wenig und ungern ausgesprochen, und wo er es den¬<lb/>
noch thut, bleibt er so orakelhaft dunkel, daß man um nichts klarer wird. Er<lb/>
war ein praktischer Staatsmann und giebt als solcher nur eine Anzahl prak¬<lb/>
tischer Sitten- und Lebensregeln, die jedoch des religiösen Prinzips durchaus<lb/>
entbehre». Seine Lehren sind rein weltlich, durch Nüchternheit, scharfen Verstand<lb/>
und weltmännische Klugheit ausgezeichnet und enthalten nur die eine Ver¬<lb/>
heißung, daß, wenn jeder die Sittenlehren befolgt, das Dasein der Menschen<lb/>
gebessert, ja bis zu den Grenzen der erreichbaren Vollkommenheit erhoben<lb/>
werden könnte. Sein oberster Grundsatz ist Pietät und Gehorsam; wenn die<lb/>
Familie wohl geordnet ist, so blüht der Staat. Nach ihm ist wahre Weisheit,<lb/>
das Wohl des Volkes zu erstreben, den Manen zu opfern und die Geister zu<lb/>
ehren. Indes ist er auch andrerseits sichtlich bestrebt, den Geisterglauben auf<lb/>
das geringste Maß zu beschränken; man soll sich von ihnen fern halten, &#x201E;denn<lb/>
sie sind dunkel und schwer zu ergründen, und darum fürchtet der Mensch sie."<lb/>
Pflichterfüllung geht ihm schließlich doch über Geisterkultns. Durch bloße<lb/>
Gebete und Opfer etwas zu erreichen paßt nicht zu seinem System; deshalb<lb/>
war ihm, als er einst krank lag, das Gebet seines Schülers sehr gleichgiltig.<lb/>
Über eine Fortdauer nach dem Tode weiß Confucius nichts zu sagen, eine<lb/>
Unsterblichkeit der Seele nahm er nicht an. Er fand den Glauben an eine<lb/>
Fortdauer vor und wußte den günstigen sittlichen Einfluß des Nnsterblichkeits-<lb/>
glanbeus zu schätzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_266" next="#ID_267"> Das zweite China eigentümliche Religionssystem ist das des Laotse, der<lb/>
ein Zeitgenosse des Confucius war und der Stifter der Tnvssesckte wurde. Er</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0093] Religion und Volk in China mit dem Namen des Betreffenden die Person vor. Ebensowenig kennt der alte chinesische Kultus glänzende Tempel, nur der Reiche hat einen Ahnensaal in seinem Hause. Es giebt keinen Religionsunterricht oder etwas, was unsrer Predigt ähnlich sieht, Wohl aber ist das Ceremoniell bis ins kleinste aus¬ gebildet. Man ist peinlich genau in der Ausübung heiliger Gebrauche, um sich der Gunst oder des Rats der Geister zu versichern. Um das Wesen und die Natur der Götter kümmert mau sich nicht und läßt deren Eigenschaften lieber im unklaren, als daß man in deren Bestimmung, also in der Indivi¬ dualisierung zu weit geht. In diesen hergebrachte» Ideen lebte und webte auch Confucius (geb. 551 v. Chr.). Seine Haupttendenz war, die alten von ihm verehrten, aber in Verfall gcratneu Gebräuche, Sitten und Grundsätze zunächst genan kennen zu lernen, durch seine Lehre wieder herzustellen und für ihre Verbreitung zu wirken. Fremde Lehren und Prinzipien schienen ihm gefährlich; er konnte sich gar nicht denken, daß in China je andre Ideen herrschen könnten, und ebenso seine Schüler und Nachfolger. Er wurde als der Hauptsammler und Auf¬ bewahrer der alten Traditionen verehrt und gelangte nach seinem Tode zu einem Ansehn, das er bei Lebzeiten nicht genossen hatte. Die persönliche Auf- fassung Gottes tritt bei ihm gänzlich zurück, Himmel und Erde sind ihm, wie dem Chinesen überhaupt, die Grundwesen. Thatsächlich hat er sich über reli¬ giöse Verhältnisse nur wenig und ungern ausgesprochen, und wo er es den¬ noch thut, bleibt er so orakelhaft dunkel, daß man um nichts klarer wird. Er war ein praktischer Staatsmann und giebt als solcher nur eine Anzahl prak¬ tischer Sitten- und Lebensregeln, die jedoch des religiösen Prinzips durchaus entbehre». Seine Lehren sind rein weltlich, durch Nüchternheit, scharfen Verstand und weltmännische Klugheit ausgezeichnet und enthalten nur die eine Ver¬ heißung, daß, wenn jeder die Sittenlehren befolgt, das Dasein der Menschen gebessert, ja bis zu den Grenzen der erreichbaren Vollkommenheit erhoben werden könnte. Sein oberster Grundsatz ist Pietät und Gehorsam; wenn die Familie wohl geordnet ist, so blüht der Staat. Nach ihm ist wahre Weisheit, das Wohl des Volkes zu erstreben, den Manen zu opfern und die Geister zu ehren. Indes ist er auch andrerseits sichtlich bestrebt, den Geisterglauben auf das geringste Maß zu beschränken; man soll sich von ihnen fern halten, „denn sie sind dunkel und schwer zu ergründen, und darum fürchtet der Mensch sie." Pflichterfüllung geht ihm schließlich doch über Geisterkultns. Durch bloße Gebete und Opfer etwas zu erreichen paßt nicht zu seinem System; deshalb war ihm, als er einst krank lag, das Gebet seines Schülers sehr gleichgiltig. Über eine Fortdauer nach dem Tode weiß Confucius nichts zu sagen, eine Unsterblichkeit der Seele nahm er nicht an. Er fand den Glauben an eine Fortdauer vor und wußte den günstigen sittlichen Einfluß des Nnsterblichkeits- glanbeus zu schätzen. Das zweite China eigentümliche Religionssystem ist das des Laotse, der ein Zeitgenosse des Confucius war und der Stifter der Tnvssesckte wurde. Er

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/93
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/93>, abgerufen am 02.07.2024.