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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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aber hatte das Christentum in unsrer Zeit zwar die nltkirchliche und alt¬
protestantische Formulierung seiner Glaubensartikel preiszugeben, sofern dieselbe
aus eiuer veralteten Philosophie und Theologie erwachsen war und das Ge¬
meinverständnis des Evangeliums vielmehr erschwerte als forderte; aber an der
biblischen Substanz des Bekenntnisses war unbedingt festzuhalten, und die Ver¬
mittlung derselben mit dem modernen Bildungsstande, unter Mithilfe einer
verständigenden Apologetik durch Einfassung in unsre modernen Denk- und
Darstellungsformcn zu vollbringen. "Im wesentlichen war mir diese Vermittlung
in den Gedankengängen, der von Schleiermacher begründeten jungen Glaubens-
theologic sachlich gegeben, und es handelte sich nur darum, dieselben in die
nichttheologische Sprache allgemeiner Bildung zu übertragen und so von ihnen
der Gemeinde gegenüber herzhaften Gebrauch zu machen." Diese große und
dringende Aufgabe wurde Beyschlag zur Lebensarbeit. Er sah diese gelegentlich
gehemmt und erschwert durch die Wirkungen der Hengstenbergischen Angriffe
und das Mißtrauen befangner Naturen. "Als ich vierzehn Jahre später, er¬
zählt er, an einem schönen Morgen durch die auf der Pertisau am Achensee
weilende Fremdenschar ging, saß dort der katholische Theologe Hergcnröther,
der nachmalige Kardinal, mit einem norddeutschen lutherischen Pastor zusammen,
und da er meinen Namen hörte, kam er auf mich zu, stellte sich vor und
knüpfte ein freundliches Gespräch mit mir an. Als er darauf seinen lutherischen
Partner fragte, ob er mich nicht auch begrüßen wolle, erhielt er -- er selber
hat die Geschichte später veröffentlicht -- die Antwort: "Nein, denn er hat
den Herrn Jesus verraten." Es giebt noch heute Leute, die auf Grund der
Evangelischen Kirchenzeitung so von mir denken."

Aber diese Schatten seiner gegebnen, tapfer behaupteten Stellung wurden
vom Licht einer großen vielseitigen und segensreichen Wirksamkeit überwunden.
Wir folgen ihm durch die Jahre seiner akademischen, seiner litterarischen, seiner
Pastoralen Thätigkeit mit immer wachsendem Anteil. Für das Jahr 1866
bis 1867 erwählte ihn die Universität Halle zum erstenmale zu ihrem Rektor,
da man 1867 die fünfzigjährige Vereinigung von Halle und Wittenberg feierte.
In den darauffolgenden Jahren galt es, für den Bestand der evangelischen
Union zu kämpfen, die nach den Vorschlügen der streng lutherischem Orthodoxie
durch Kabinettsorder als landeskirchliches Band aufgehoben werden sollte,
und mit ihr die gesetzliche Abendmahlgemeinschast der Lutheraner und Refor¬
mierten und die durch die Union gewährleistete Gewissensfreiheit in den alten
Streitfragen. Graf Bismarck hatte sich durch den Kreuzzeitungsredakteur
Wagener überreden lassen, "das lutherische Bekenntnis werde ein gutes poli¬
tisches Band zwischen den alten und neuen Provinzen sein, und die Union
dürfe einem solchen politischen Vorteil wohl zum Opfer gebracht werden." Da
sich König Wilhelm der Aufhebung des von seinem Vater geschaffnen Einigungs¬
werks zuzustimmen weigerte, man andrerseits Bedenken trug, die neu zu
Preußen gekommnen Provinzen in die Union zu ziehn, so bekam Preußen, nach
Beyschlags Worten, "statt einer Landeskirche deren sechs, eine immer kleiner


aber hatte das Christentum in unsrer Zeit zwar die nltkirchliche und alt¬
protestantische Formulierung seiner Glaubensartikel preiszugeben, sofern dieselbe
aus eiuer veralteten Philosophie und Theologie erwachsen war und das Ge¬
meinverständnis des Evangeliums vielmehr erschwerte als forderte; aber an der
biblischen Substanz des Bekenntnisses war unbedingt festzuhalten, und die Ver¬
mittlung derselben mit dem modernen Bildungsstande, unter Mithilfe einer
verständigenden Apologetik durch Einfassung in unsre modernen Denk- und
Darstellungsformcn zu vollbringen. „Im wesentlichen war mir diese Vermittlung
in den Gedankengängen, der von Schleiermacher begründeten jungen Glaubens-
theologic sachlich gegeben, und es handelte sich nur darum, dieselben in die
nichttheologische Sprache allgemeiner Bildung zu übertragen und so von ihnen
der Gemeinde gegenüber herzhaften Gebrauch zu machen." Diese große und
dringende Aufgabe wurde Beyschlag zur Lebensarbeit. Er sah diese gelegentlich
gehemmt und erschwert durch die Wirkungen der Hengstenbergischen Angriffe
und das Mißtrauen befangner Naturen. „Als ich vierzehn Jahre später, er¬
zählt er, an einem schönen Morgen durch die auf der Pertisau am Achensee
weilende Fremdenschar ging, saß dort der katholische Theologe Hergcnröther,
der nachmalige Kardinal, mit einem norddeutschen lutherischen Pastor zusammen,
und da er meinen Namen hörte, kam er auf mich zu, stellte sich vor und
knüpfte ein freundliches Gespräch mit mir an. Als er darauf seinen lutherischen
Partner fragte, ob er mich nicht auch begrüßen wolle, erhielt er — er selber
hat die Geschichte später veröffentlicht — die Antwort: »Nein, denn er hat
den Herrn Jesus verraten.« Es giebt noch heute Leute, die auf Grund der
Evangelischen Kirchenzeitung so von mir denken."

Aber diese Schatten seiner gegebnen, tapfer behaupteten Stellung wurden
vom Licht einer großen vielseitigen und segensreichen Wirksamkeit überwunden.
Wir folgen ihm durch die Jahre seiner akademischen, seiner litterarischen, seiner
Pastoralen Thätigkeit mit immer wachsendem Anteil. Für das Jahr 1866
bis 1867 erwählte ihn die Universität Halle zum erstenmale zu ihrem Rektor,
da man 1867 die fünfzigjährige Vereinigung von Halle und Wittenberg feierte.
In den darauffolgenden Jahren galt es, für den Bestand der evangelischen
Union zu kämpfen, die nach den Vorschlügen der streng lutherischem Orthodoxie
durch Kabinettsorder als landeskirchliches Band aufgehoben werden sollte,
und mit ihr die gesetzliche Abendmahlgemeinschast der Lutheraner und Refor¬
mierten und die durch die Union gewährleistete Gewissensfreiheit in den alten
Streitfragen. Graf Bismarck hatte sich durch den Kreuzzeitungsredakteur
Wagener überreden lassen, „das lutherische Bekenntnis werde ein gutes poli¬
tisches Band zwischen den alten und neuen Provinzen sein, und die Union
dürfe einem solchen politischen Vorteil wohl zum Opfer gebracht werden." Da
sich König Wilhelm der Aufhebung des von seinem Vater geschaffnen Einigungs¬
werks zuzustimmen weigerte, man andrerseits Bedenken trug, die neu zu
Preußen gekommnen Provinzen in die Union zu ziehn, so bekam Preußen, nach
Beyschlags Worten, „statt einer Landeskirche deren sechs, eine immer kleiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/88>, abgerufen am 02.07.2024.