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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen

Von Dänen vertreibt, weil sie eben dänisch sind, oder polnische Frauen bestraft,
weil sie polnische Kinder unterrichten in ihrer Muttersprache? Gewalt gegen
die Nationalität halte ich für inhumaner als Prügel für Negcrweiber und für
weit schlimmer, als wenn man den Polen die Freiheit ließe, sich mit ihrer
polnischen Kultur gegen die deutsche zu verteidigen. Heute rufen viele Stimmen
wieder nach neuen deutschen Lehranstalten für Posein Mau wird sie errichten
und glauben, für die deutsche Sache Opfer gebracht zu haben. Ich meine, die
Gelder könnten besser angewandt werden, z. B, indem man dort die Beamten,
Geistlichen, Lehrer so hoch besoldete, daß nicht nur unwillige und mittelmäßige,
sondern die besten Kräfte und für die Dauer dorthin gezogen würden. Denn
die besten Kräfte sind nur gerade gut genug für Provinzen, die man national
erobern will. Das haben wir in Posen, das haben wir in Elsaß-Lothringen
zu unserm Schaden erfahren, als man Leute dorthin schickte, die in Deutschland
sollst schwer Unterkommen fanden. Das Deutschtum wird man fördern, indem
man den Deutschen fördert, den dort schon ansässigen sowohl als den Ein¬
wandrer, nicht indem man den Polen gegen seinen Willen fördert. Wer mir
entgegnet, das erlaube die Gerechtigkeit des Staats nicht, dem antworte ich,
daß sich der Pole selbst nicht für einen vollen Preußen, sondern für einen
Preußen auf Zeit hält, und daß der preußische Staat das Recht hat, ihm zu
glauben und ihn als Preußen auf Zeit zu behandeln, indem er von ihn: die
Erfüllung seiner Pflichten als preußischer Unterthan und als Angehöriger des
Deutschen Reichs fordert, ohne ihn in die deutsche Kultur, die er nicht anzu¬
Lrnst von der Brügger nehmen wünscht, gewaltsam hineinzuzwiugeu.




Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen

ch
on einmal, vor nunmehr drei Jahren, hat die Selbstbiographie
des Hallischen Theologen Willibald Beyschlag, Aus meinem
Leben, die lebhafteste Teilnahme ernster Leser, die zum großen
Teil andern Lebensgebieten angehörten als der Verfasser, stark
in Anspruch genommen. Damals mochte man wohl einen Vers
des Goethischen "Fünft" leicht umbiegend sagen: "Einem Werdenden wird man
immer dankbar sein." Gerade die Lehr- lind Wanderjahre eines zu hervor¬
ragender Bedeutung gelangten Mannes haben besondern Reiz und für den
nächsten Zweck jeder Selbstbiographie besondern Wert, "sie zeigen -- wie damals
die Grenzboten schrieben -- die Wurzeln, aus denen eine selbständige, eigen¬
tümliche Persönlichkeit erwächst, sie lassen erkennen, wo sich diese Wurzeln mit
andern berühren und verschränken, sie machen am deutlichsten, was der einzelne


Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen

Von Dänen vertreibt, weil sie eben dänisch sind, oder polnische Frauen bestraft,
weil sie polnische Kinder unterrichten in ihrer Muttersprache? Gewalt gegen
die Nationalität halte ich für inhumaner als Prügel für Negcrweiber und für
weit schlimmer, als wenn man den Polen die Freiheit ließe, sich mit ihrer
polnischen Kultur gegen die deutsche zu verteidigen. Heute rufen viele Stimmen
wieder nach neuen deutschen Lehranstalten für Posein Mau wird sie errichten
und glauben, für die deutsche Sache Opfer gebracht zu haben. Ich meine, die
Gelder könnten besser angewandt werden, z. B, indem man dort die Beamten,
Geistlichen, Lehrer so hoch besoldete, daß nicht nur unwillige und mittelmäßige,
sondern die besten Kräfte und für die Dauer dorthin gezogen würden. Denn
die besten Kräfte sind nur gerade gut genug für Provinzen, die man national
erobern will. Das haben wir in Posen, das haben wir in Elsaß-Lothringen
zu unserm Schaden erfahren, als man Leute dorthin schickte, die in Deutschland
sollst schwer Unterkommen fanden. Das Deutschtum wird man fördern, indem
man den Deutschen fördert, den dort schon ansässigen sowohl als den Ein¬
wandrer, nicht indem man den Polen gegen seinen Willen fördert. Wer mir
entgegnet, das erlaube die Gerechtigkeit des Staats nicht, dem antworte ich,
daß sich der Pole selbst nicht für einen vollen Preußen, sondern für einen
Preußen auf Zeit hält, und daß der preußische Staat das Recht hat, ihm zu
glauben und ihn als Preußen auf Zeit zu behandeln, indem er von ihn: die
Erfüllung seiner Pflichten als preußischer Unterthan und als Angehöriger des
Deutschen Reichs fordert, ohne ihn in die deutsche Kultur, die er nicht anzu¬
Lrnst von der Brügger nehmen wünscht, gewaltsam hineinzuzwiugeu.




Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen

ch
on einmal, vor nunmehr drei Jahren, hat die Selbstbiographie
des Hallischen Theologen Willibald Beyschlag, Aus meinem
Leben, die lebhafteste Teilnahme ernster Leser, die zum großen
Teil andern Lebensgebieten angehörten als der Verfasser, stark
in Anspruch genommen. Damals mochte man wohl einen Vers
des Goethischen „Fünft" leicht umbiegend sagen: „Einem Werdenden wird man
immer dankbar sein." Gerade die Lehr- lind Wanderjahre eines zu hervor¬
ragender Bedeutung gelangten Mannes haben besondern Reiz und für den
nächsten Zweck jeder Selbstbiographie besondern Wert, „sie zeigen — wie damals
die Grenzboten schrieben — die Wurzeln, aus denen eine selbständige, eigen¬
tümliche Persönlichkeit erwächst, sie lassen erkennen, wo sich diese Wurzeln mit
andern berühren und verschränken, sie machen am deutlichsten, was der einzelne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/82>, abgerufen am 02.07.2024.