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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Polnische Politik

gesetzlich geschützt bleibt. Man kann ferner die Sorge des Verfassers um die
nationale und die strategische Eroberung dieser Grenzzone durch die Deutschen
für den Ausfluß eines etwas ängstlichen Gemüts halten: immerhin bleibt die
Thatsache bestehn, das; die deutsche Eiuwandrung nach Russisch-Polen trotz
der Bemühungen der russischen Staatsregierung, sie zu hemmen, wenn auch in
schwächen" Strome, fortdauert, und ferner, daß das Deutschtum drüben eine
geachtete, geschlossene und dein Lande sehr nützliche Stellung einnimmt. Diese
Thatsachen werden noch merkwürdiger, wenn man sie mit den Anstrengungen
vergleicht, die wir in Posen machen zur Stärkung der deutschen Stellung.
Dort arbeitet man mit allen Mitteln des Staats vergebens daran, sich die
Deutschen vom Leibe zu halten; hier arbeitet man mit allen zulässigen Mitteln
und zweifelhaftem Erfolge daran, Deutsche herbeizulocken. Dort hat der Deutsche
alles zum Gegner, die polnische Bevölkerung und die russische Regierung, und
niemand zum Schutz als seine eigne Kraft, die aber genügt, sich Polen, Russen
und Juden gegenüber zu behaupten; hier kann alle Macht des Staats und
alles Geld ihn kaum vor dem polnischen Andrang auf den Beinen erhalten.
Preußen unterstützt die deutsche Ansiedlung in Polen mit ein paar hundert
Millionen, die sich mit etwa 2 Prozent verwerten, was doch soviel heißt, als
daß, fiskalisch genommen, der deutsche Ansiedler Staatsdarlchn zu 2 Prozent
erhält. Drüben in Rußland ist der private Zinsfuß, auf den der Ansiedler
im Notfall angewiesen ist, 10, 12 und mehr Prozent, und dennoch werden
dort Gutsländereien zerstückelt und an Deutsche verkauft, dennoch kann sich
der Staat gegen den Andrang nur durch immer schärfere Abwehr schützen, und
das Banerland würde auch in deutsche Hände übergehn, wem? nicht das ab¬
solute Verbot der Veräußerung wäre. In Posen ist es schwer, für polnische
Güter deutsche Käufer zu finden, und mau muß sie erst zerschlagen, zerteile",
die Teile mit Gebäuden ausstatten, kurz, dem Bauer ein fertiges Nest anbieten.
In Russisch-Polen läßt der deutsche Großbesitzer den Boden nicht leicht aus
der Hand und umgeht das Gesetz durch Aktiengrüudung, um im Besitz zu
bleiben. Dort kann man nur durch strengen Zwang das Emporwachsen der
deutschen Schicken und Kirchen niederhalten und jammert mau darüber, daß
trotz aller Verfolgung des deutschen Unterrichts die Deutschen sich dnrch häus¬
lichen Unterricht helfen; hier muß der Staat alles thun. Dort klagt man
über das starre Festhalten wenigsteus des gemeine" Mannes an seiner deutschen
Nationalität; hier bedarf es des Aufgebots "icht "ur staatlicher, sondern großer
privater Mittel, um den Deutschen vor dem Polnischwerden zu bewahren.

Das sind sonderbare Erscheinungen. Man ist fast geneigt, sich zu frage",
ob Posen nicht schneller verdeutschen würde unter einer russischem als unter
der heutigen preußischen Negierung. Denn daß es mit der vollständigen Ver¬
deutschung Posens, um die uns der Verfasser zu beneiden vorgiebt, nicht so
ganz richtig ist, wissen wir denn doch besser. Ohne die Gesetze von 1887
und 1892, die Landbesitz und Industrie von deutscher Eiuwnudruug säubern,
ohne die überall feindselige, hinderliche Behandlung des deutschen Elements in


Polnische Politik

gesetzlich geschützt bleibt. Man kann ferner die Sorge des Verfassers um die
nationale und die strategische Eroberung dieser Grenzzone durch die Deutschen
für den Ausfluß eines etwas ängstlichen Gemüts halten: immerhin bleibt die
Thatsache bestehn, das; die deutsche Eiuwandrung nach Russisch-Polen trotz
der Bemühungen der russischen Staatsregierung, sie zu hemmen, wenn auch in
schwächen» Strome, fortdauert, und ferner, daß das Deutschtum drüben eine
geachtete, geschlossene und dein Lande sehr nützliche Stellung einnimmt. Diese
Thatsachen werden noch merkwürdiger, wenn man sie mit den Anstrengungen
vergleicht, die wir in Posen machen zur Stärkung der deutschen Stellung.
Dort arbeitet man mit allen Mitteln des Staats vergebens daran, sich die
Deutschen vom Leibe zu halten; hier arbeitet man mit allen zulässigen Mitteln
und zweifelhaftem Erfolge daran, Deutsche herbeizulocken. Dort hat der Deutsche
alles zum Gegner, die polnische Bevölkerung und die russische Regierung, und
niemand zum Schutz als seine eigne Kraft, die aber genügt, sich Polen, Russen
und Juden gegenüber zu behaupten; hier kann alle Macht des Staats und
alles Geld ihn kaum vor dem polnischen Andrang auf den Beinen erhalten.
Preußen unterstützt die deutsche Ansiedlung in Polen mit ein paar hundert
Millionen, die sich mit etwa 2 Prozent verwerten, was doch soviel heißt, als
daß, fiskalisch genommen, der deutsche Ansiedler Staatsdarlchn zu 2 Prozent
erhält. Drüben in Rußland ist der private Zinsfuß, auf den der Ansiedler
im Notfall angewiesen ist, 10, 12 und mehr Prozent, und dennoch werden
dort Gutsländereien zerstückelt und an Deutsche verkauft, dennoch kann sich
der Staat gegen den Andrang nur durch immer schärfere Abwehr schützen, und
das Banerland würde auch in deutsche Hände übergehn, wem? nicht das ab¬
solute Verbot der Veräußerung wäre. In Posen ist es schwer, für polnische
Güter deutsche Käufer zu finden, und mau muß sie erst zerschlagen, zerteile»,
die Teile mit Gebäuden ausstatten, kurz, dem Bauer ein fertiges Nest anbieten.
In Russisch-Polen läßt der deutsche Großbesitzer den Boden nicht leicht aus
der Hand und umgeht das Gesetz durch Aktiengrüudung, um im Besitz zu
bleiben. Dort kann man nur durch strengen Zwang das Emporwachsen der
deutschen Schicken und Kirchen niederhalten und jammert mau darüber, daß
trotz aller Verfolgung des deutschen Unterrichts die Deutschen sich dnrch häus¬
lichen Unterricht helfen; hier muß der Staat alles thun. Dort klagt man
über das starre Festhalten wenigsteus des gemeine» Mannes an seiner deutschen
Nationalität; hier bedarf es des Aufgebots „icht »ur staatlicher, sondern großer
privater Mittel, um den Deutschen vor dem Polnischwerden zu bewahren.

Das sind sonderbare Erscheinungen. Man ist fast geneigt, sich zu frage»,
ob Posen nicht schneller verdeutschen würde unter einer russischem als unter
der heutigen preußischen Negierung. Denn daß es mit der vollständigen Ver¬
deutschung Posens, um die uns der Verfasser zu beneiden vorgiebt, nicht so
ganz richtig ist, wissen wir denn doch besser. Ohne die Gesetze von 1887
und 1892, die Landbesitz und Industrie von deutscher Eiuwnudruug säubern,
ohne die überall feindselige, hinderliche Behandlung des deutschen Elements in


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[0075] Polnische Politik gesetzlich geschützt bleibt. Man kann ferner die Sorge des Verfassers um die nationale und die strategische Eroberung dieser Grenzzone durch die Deutschen für den Ausfluß eines etwas ängstlichen Gemüts halten: immerhin bleibt die Thatsache bestehn, das; die deutsche Eiuwandrung nach Russisch-Polen trotz der Bemühungen der russischen Staatsregierung, sie zu hemmen, wenn auch in schwächen» Strome, fortdauert, und ferner, daß das Deutschtum drüben eine geachtete, geschlossene und dein Lande sehr nützliche Stellung einnimmt. Diese Thatsachen werden noch merkwürdiger, wenn man sie mit den Anstrengungen vergleicht, die wir in Posen machen zur Stärkung der deutschen Stellung. Dort arbeitet man mit allen Mitteln des Staats vergebens daran, sich die Deutschen vom Leibe zu halten; hier arbeitet man mit allen zulässigen Mitteln und zweifelhaftem Erfolge daran, Deutsche herbeizulocken. Dort hat der Deutsche alles zum Gegner, die polnische Bevölkerung und die russische Regierung, und niemand zum Schutz als seine eigne Kraft, die aber genügt, sich Polen, Russen und Juden gegenüber zu behaupten; hier kann alle Macht des Staats und alles Geld ihn kaum vor dem polnischen Andrang auf den Beinen erhalten. Preußen unterstützt die deutsche Ansiedlung in Polen mit ein paar hundert Millionen, die sich mit etwa 2 Prozent verwerten, was doch soviel heißt, als daß, fiskalisch genommen, der deutsche Ansiedler Staatsdarlchn zu 2 Prozent erhält. Drüben in Rußland ist der private Zinsfuß, auf den der Ansiedler im Notfall angewiesen ist, 10, 12 und mehr Prozent, und dennoch werden dort Gutsländereien zerstückelt und an Deutsche verkauft, dennoch kann sich der Staat gegen den Andrang nur durch immer schärfere Abwehr schützen, und das Banerland würde auch in deutsche Hände übergehn, wem? nicht das ab¬ solute Verbot der Veräußerung wäre. In Posen ist es schwer, für polnische Güter deutsche Käufer zu finden, und mau muß sie erst zerschlagen, zerteile», die Teile mit Gebäuden ausstatten, kurz, dem Bauer ein fertiges Nest anbieten. In Russisch-Polen läßt der deutsche Großbesitzer den Boden nicht leicht aus der Hand und umgeht das Gesetz durch Aktiengrüudung, um im Besitz zu bleiben. Dort kann man nur durch strengen Zwang das Emporwachsen der deutschen Schicken und Kirchen niederhalten und jammert mau darüber, daß trotz aller Verfolgung des deutschen Unterrichts die Deutschen sich dnrch häus¬ lichen Unterricht helfen; hier muß der Staat alles thun. Dort klagt man über das starre Festhalten wenigsteus des gemeine» Mannes an seiner deutschen Nationalität; hier bedarf es des Aufgebots „icht »ur staatlicher, sondern großer privater Mittel, um den Deutschen vor dem Polnischwerden zu bewahren. Das sind sonderbare Erscheinungen. Man ist fast geneigt, sich zu frage», ob Posen nicht schneller verdeutschen würde unter einer russischem als unter der heutigen preußischen Negierung. Denn daß es mit der vollständigen Ver¬ deutschung Posens, um die uns der Verfasser zu beneiden vorgiebt, nicht so ganz richtig ist, wissen wir denn doch besser. Ohne die Gesetze von 1887 und 1892, die Landbesitz und Industrie von deutscher Eiuwnudruug säubern, ohne die überall feindselige, hinderliche Behandlung des deutschen Elements in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/75>, abgerufen am 02.07.2024.