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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Polnische Politik

zum besten ausschlagen werden. Mit diesem Vertrauen stellt sich auch die Er¬
kenntnis ein, daß und warum die Leiden unvermeidlich und gerade zu unserm
Glück notwendig sind, sodaß wir sie zuletzt als Bestandteile unsers Glücks und
jedes Unglück als ein Glück ansehen lernen. Jedes Unglück allerdings nur
für uns, sofern wir der Beglückung durch den Glauben teilhaftig geworden
sind, denn daß unzählige gerade durch ein Übermaß von Leiden den Glauben
verloren haben, und so in jedem Sinne unglücklich geworden sind, kann nicht
geleugnet werden. Wer sich das Wesentliche, das Gottvertrauen, erkämpft hat
und dabei an den ersten beiden Bedingungen des Glücks: Arbeit und Liebe,
festhält, der ist nun wohl im ganzen geborgen, im einzelnen aber freilich noch
nicht über alle Schwierigkeiten hinweg. Zu deren Überwindung giebt uns Hilty
eine Menge nützliche Lebensregeln an die Hand, von denen nnr eine erwähnt
werden mag: man müsse das ganze irdische Wesen nicht allzu wichtig nehmen.
Am Wichtignehinen von Kleinigkeiten, namentlich von Menschen und Urteilen,
meint er, laborierten sehr viele der allerbesten Leute und machten dadurch ihr
Tagewerk weit mühseliger, als es zu sein brauchte. Namentlich gehöre auch
dazu, daß man seine sogenannten Feinde uicht wichtig nehmen solle, die später
oft unsre beste,? Freunde würden. Das Gute sei überhaupt nicht in erster
Linie dazu da, das Böse zu bekämpfen; das besorgten die Bösen unter sich
sehr gut. Das Gute solle nur leben, wirken und sich zeigen. Was der heu¬
tigen Welt fehle, sei nicht die Empfänglichkeit dafür, sondern nur der Glaube
an seine Durchführbarkeit. "Tausende würden sofort dein Kampf ums Dasein
und dem ganzen Darwinismus entsagen, wenn sie nur sähen, wie man es auch
anders machen kann. Das muß eben zuerst geglaubt werden, sonst giebt es
keine reelle Sittlichkeit." Soll heißen: kein reelles Glück; daß der Atheist sitt¬
lich sein könne, gesteht Hilty an andern Stellen selbst zu.

(Schluß folgt)




polnische Politik
^. Deutsche und Polen (Schluß)

le bisher gebrachten Mitteilungen mögen im einzelnen nicht
immer neu, auch nicht immer genan sein; sie haben jedenfalls in
der allgemeinen politischen Beleuchtung, in der sie uns gegeben
werden, alles Recht auf unsre aufmerksame Beachtung. Man kann
z. B. fragen, wie sich der Verfasser eine völlige Verdrängung
der Landbevölkerung einiger Grenzdistrittc durch die Deutsche" möglich denkt,
solange seiner eignen Angabe nach der polnische Bauer in seinein Landbesitz


Polnische Politik

zum besten ausschlagen werden. Mit diesem Vertrauen stellt sich auch die Er¬
kenntnis ein, daß und warum die Leiden unvermeidlich und gerade zu unserm
Glück notwendig sind, sodaß wir sie zuletzt als Bestandteile unsers Glücks und
jedes Unglück als ein Glück ansehen lernen. Jedes Unglück allerdings nur
für uns, sofern wir der Beglückung durch den Glauben teilhaftig geworden
sind, denn daß unzählige gerade durch ein Übermaß von Leiden den Glauben
verloren haben, und so in jedem Sinne unglücklich geworden sind, kann nicht
geleugnet werden. Wer sich das Wesentliche, das Gottvertrauen, erkämpft hat
und dabei an den ersten beiden Bedingungen des Glücks: Arbeit und Liebe,
festhält, der ist nun wohl im ganzen geborgen, im einzelnen aber freilich noch
nicht über alle Schwierigkeiten hinweg. Zu deren Überwindung giebt uns Hilty
eine Menge nützliche Lebensregeln an die Hand, von denen nnr eine erwähnt
werden mag: man müsse das ganze irdische Wesen nicht allzu wichtig nehmen.
Am Wichtignehinen von Kleinigkeiten, namentlich von Menschen und Urteilen,
meint er, laborierten sehr viele der allerbesten Leute und machten dadurch ihr
Tagewerk weit mühseliger, als es zu sein brauchte. Namentlich gehöre auch
dazu, daß man seine sogenannten Feinde uicht wichtig nehmen solle, die später
oft unsre beste,? Freunde würden. Das Gute sei überhaupt nicht in erster
Linie dazu da, das Böse zu bekämpfen; das besorgten die Bösen unter sich
sehr gut. Das Gute solle nur leben, wirken und sich zeigen. Was der heu¬
tigen Welt fehle, sei nicht die Empfänglichkeit dafür, sondern nur der Glaube
an seine Durchführbarkeit. „Tausende würden sofort dein Kampf ums Dasein
und dem ganzen Darwinismus entsagen, wenn sie nur sähen, wie man es auch
anders machen kann. Das muß eben zuerst geglaubt werden, sonst giebt es
keine reelle Sittlichkeit." Soll heißen: kein reelles Glück; daß der Atheist sitt¬
lich sein könne, gesteht Hilty an andern Stellen selbst zu.

(Schluß folgt)




polnische Politik
^. Deutsche und Polen (Schluß)

le bisher gebrachten Mitteilungen mögen im einzelnen nicht
immer neu, auch nicht immer genan sein; sie haben jedenfalls in
der allgemeinen politischen Beleuchtung, in der sie uns gegeben
werden, alles Recht auf unsre aufmerksame Beachtung. Man kann
z. B. fragen, wie sich der Verfasser eine völlige Verdrängung
der Landbevölkerung einiger Grenzdistrittc durch die Deutsche» möglich denkt,
solange seiner eignen Angabe nach der polnische Bauer in seinein Landbesitz


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[0074] Polnische Politik zum besten ausschlagen werden. Mit diesem Vertrauen stellt sich auch die Er¬ kenntnis ein, daß und warum die Leiden unvermeidlich und gerade zu unserm Glück notwendig sind, sodaß wir sie zuletzt als Bestandteile unsers Glücks und jedes Unglück als ein Glück ansehen lernen. Jedes Unglück allerdings nur für uns, sofern wir der Beglückung durch den Glauben teilhaftig geworden sind, denn daß unzählige gerade durch ein Übermaß von Leiden den Glauben verloren haben, und so in jedem Sinne unglücklich geworden sind, kann nicht geleugnet werden. Wer sich das Wesentliche, das Gottvertrauen, erkämpft hat und dabei an den ersten beiden Bedingungen des Glücks: Arbeit und Liebe, festhält, der ist nun wohl im ganzen geborgen, im einzelnen aber freilich noch nicht über alle Schwierigkeiten hinweg. Zu deren Überwindung giebt uns Hilty eine Menge nützliche Lebensregeln an die Hand, von denen nnr eine erwähnt werden mag: man müsse das ganze irdische Wesen nicht allzu wichtig nehmen. Am Wichtignehinen von Kleinigkeiten, namentlich von Menschen und Urteilen, meint er, laborierten sehr viele der allerbesten Leute und machten dadurch ihr Tagewerk weit mühseliger, als es zu sein brauchte. Namentlich gehöre auch dazu, daß man seine sogenannten Feinde uicht wichtig nehmen solle, die später oft unsre beste,? Freunde würden. Das Gute sei überhaupt nicht in erster Linie dazu da, das Böse zu bekämpfen; das besorgten die Bösen unter sich sehr gut. Das Gute solle nur leben, wirken und sich zeigen. Was der heu¬ tigen Welt fehle, sei nicht die Empfänglichkeit dafür, sondern nur der Glaube an seine Durchführbarkeit. „Tausende würden sofort dein Kampf ums Dasein und dem ganzen Darwinismus entsagen, wenn sie nur sähen, wie man es auch anders machen kann. Das muß eben zuerst geglaubt werden, sonst giebt es keine reelle Sittlichkeit." Soll heißen: kein reelles Glück; daß der Atheist sitt¬ lich sein könne, gesteht Hilty an andern Stellen selbst zu. (Schluß folgt) polnische Politik ^. Deutsche und Polen (Schluß) le bisher gebrachten Mitteilungen mögen im einzelnen nicht immer neu, auch nicht immer genan sein; sie haben jedenfalls in der allgemeinen politischen Beleuchtung, in der sie uns gegeben werden, alles Recht auf unsre aufmerksame Beachtung. Man kann z. B. fragen, wie sich der Verfasser eine völlige Verdrängung der Landbevölkerung einiger Grenzdistrittc durch die Deutsche» möglich denkt, solange seiner eignen Angabe nach der polnische Bauer in seinein Landbesitz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/74>, abgerufen am 02.07.2024.