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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Aus dein Elsaß

man es doch nach einiger Zeit gewachsen, und wer nur Geduld hat und auf¬
merksam nachschaut, sieht auch im Elsaß gewachsen, was sich anfangs unem¬
pfänglich zu verschließen schien. Die vielseitige, verständnisvolle Pflege, die
elsnssisches Leben von deutscher Seite her erfahren hat und fortdauernd weiter
erfährt, weckt allmählich eine Fülle von Keimen zu freudiger Entfaltung, und
unwillkürlich neigen sich die frischen Triebe der Richtung zu, aus der ihnen
so erwärmendes Licht entgegenströmt. Elsüssischc Dichter bedienen sich herzhaft
des Gastrechts, das ihnen altdeutsche Zeitungen des Landes, die sonst nur
ungern den Ballast lyrischer Verse durch ihre Spalten schleppen, mit freund¬
licher Nachsicht gewähren, und in richtigem Vertrauen auf die wirkungsvolle
Unterstützung der Eingewanderten hat Christian Schmitt den Versuch gewagt,
zur Gründung und Erhaltung eines eignen Organs für deutsche Poesie im
Elsaß Jünger und Freunde Apolls zum Alsabnnde zu vereinigen. Wirklich verheißt
die Gunst der heutigen Verhältnisse der nunmehr seit sechs Jahren regelmäßig
erscheinenden Monatsschrift Erwinia ein glücklicheres Gedeihen, als es den
kurzlebigen Blättern der Gebrüder Stöber und andrer alsatischen Sänger unter
französischer Herrschaft beschicken war. Allmählich drängen sich auch die Künste
wieder lebensfroher ans Licht und streben selbstbewußt und erfolgreich nach
Anerkennung. So traten vor zwei Jahren in der Straßburger Novembcr-
ausstellung die elsässischen Maler und Bildhauer zum erstenmale als geschlossener
Künstlerkreis hervor und vereinigten, was sich bisher in einzelnen Sonder¬
ansstellungen nur engern Zirkeln vorgestellt oder im Pariser Salon, zum Teil
auch in München, zerstreute Beobachtung gefunden hatte, zu einem jedermann
einladenden Gesamtbilde. Dabei wurde freilich der einheimische Charakter des
Unternehmens den ansässigen altdeutschen Künstlern gegenüber noch zu eng¬
herzigbetont: mit Ausnahme Lothars von Seebach und Joseph Sattlers blieben
sie von der Beteiligung ausgeschlossen. Allmählich schwindet aber auch diese
Schranke, und die jüngst zu Straßburg eröffnete stündige Ausstellung elsässischer
Künstler der Gegenwart erschließt sich auch den Schöpfungen Eingewanderter.
Aus diesem engern Kreise ist auch die von Spindler herausgegebne Vierteljahrs¬
schrift Illustrierte elsüssische Rundschau hervorgegangen, die soeben ihren zweiten
Jahrgang begonnen hat und als eine Fortsetzung der von Spindler und Sattler
1893 begründeten Elsässischen Bilderbogen zu betrachten ist. Ermuntert durch
den wachsenden Beifall, den diese weit über die Landesgrenzen hinaus, in
München und Berlin wie in Paris gefunden hatten, strebt sie auf er¬
weiterter Grundlage, in vornehmer und künstlerischer Ausstattung "ein Bild
von dem mächtig aufblühenden Leben elsässischer Geisteskultur zu geben." Die
Mehrzahl der Beiträge fließt ihr von elsässischer Seite zu, wie denn auch neben
der deutschen Schriftsprache der Dialekt und selbst das Französische ihr Recht
behaupten; aber sie heißt auch altdeutsche Mitarbeiter willkommen, wenn sie
sich durch verständnisvolles Eingehn auf die heimische Art auch in den Augen
der Eingebornen ein Heimatsrecht erworben haben. Möge sich ihre Zahl immer
mehren!


Aus dein Elsaß

man es doch nach einiger Zeit gewachsen, und wer nur Geduld hat und auf¬
merksam nachschaut, sieht auch im Elsaß gewachsen, was sich anfangs unem¬
pfänglich zu verschließen schien. Die vielseitige, verständnisvolle Pflege, die
elsnssisches Leben von deutscher Seite her erfahren hat und fortdauernd weiter
erfährt, weckt allmählich eine Fülle von Keimen zu freudiger Entfaltung, und
unwillkürlich neigen sich die frischen Triebe der Richtung zu, aus der ihnen
so erwärmendes Licht entgegenströmt. Elsüssischc Dichter bedienen sich herzhaft
des Gastrechts, das ihnen altdeutsche Zeitungen des Landes, die sonst nur
ungern den Ballast lyrischer Verse durch ihre Spalten schleppen, mit freund¬
licher Nachsicht gewähren, und in richtigem Vertrauen auf die wirkungsvolle
Unterstützung der Eingewanderten hat Christian Schmitt den Versuch gewagt,
zur Gründung und Erhaltung eines eignen Organs für deutsche Poesie im
Elsaß Jünger und Freunde Apolls zum Alsabnnde zu vereinigen. Wirklich verheißt
die Gunst der heutigen Verhältnisse der nunmehr seit sechs Jahren regelmäßig
erscheinenden Monatsschrift Erwinia ein glücklicheres Gedeihen, als es den
kurzlebigen Blättern der Gebrüder Stöber und andrer alsatischen Sänger unter
französischer Herrschaft beschicken war. Allmählich drängen sich auch die Künste
wieder lebensfroher ans Licht und streben selbstbewußt und erfolgreich nach
Anerkennung. So traten vor zwei Jahren in der Straßburger Novembcr-
ausstellung die elsässischen Maler und Bildhauer zum erstenmale als geschlossener
Künstlerkreis hervor und vereinigten, was sich bisher in einzelnen Sonder¬
ansstellungen nur engern Zirkeln vorgestellt oder im Pariser Salon, zum Teil
auch in München, zerstreute Beobachtung gefunden hatte, zu einem jedermann
einladenden Gesamtbilde. Dabei wurde freilich der einheimische Charakter des
Unternehmens den ansässigen altdeutschen Künstlern gegenüber noch zu eng¬
herzigbetont: mit Ausnahme Lothars von Seebach und Joseph Sattlers blieben
sie von der Beteiligung ausgeschlossen. Allmählich schwindet aber auch diese
Schranke, und die jüngst zu Straßburg eröffnete stündige Ausstellung elsässischer
Künstler der Gegenwart erschließt sich auch den Schöpfungen Eingewanderter.
Aus diesem engern Kreise ist auch die von Spindler herausgegebne Vierteljahrs¬
schrift Illustrierte elsüssische Rundschau hervorgegangen, die soeben ihren zweiten
Jahrgang begonnen hat und als eine Fortsetzung der von Spindler und Sattler
1893 begründeten Elsässischen Bilderbogen zu betrachten ist. Ermuntert durch
den wachsenden Beifall, den diese weit über die Landesgrenzen hinaus, in
München und Berlin wie in Paris gefunden hatten, strebt sie auf er¬
weiterter Grundlage, in vornehmer und künstlerischer Ausstattung „ein Bild
von dem mächtig aufblühenden Leben elsässischer Geisteskultur zu geben." Die
Mehrzahl der Beiträge fließt ihr von elsässischer Seite zu, wie denn auch neben
der deutschen Schriftsprache der Dialekt und selbst das Französische ihr Recht
behaupten; aber sie heißt auch altdeutsche Mitarbeiter willkommen, wenn sie
sich durch verständnisvolles Eingehn auf die heimische Art auch in den Augen
der Eingebornen ein Heimatsrecht erworben haben. Möge sich ihre Zahl immer
mehren!


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[0606] Aus dein Elsaß man es doch nach einiger Zeit gewachsen, und wer nur Geduld hat und auf¬ merksam nachschaut, sieht auch im Elsaß gewachsen, was sich anfangs unem¬ pfänglich zu verschließen schien. Die vielseitige, verständnisvolle Pflege, die elsnssisches Leben von deutscher Seite her erfahren hat und fortdauernd weiter erfährt, weckt allmählich eine Fülle von Keimen zu freudiger Entfaltung, und unwillkürlich neigen sich die frischen Triebe der Richtung zu, aus der ihnen so erwärmendes Licht entgegenströmt. Elsüssischc Dichter bedienen sich herzhaft des Gastrechts, das ihnen altdeutsche Zeitungen des Landes, die sonst nur ungern den Ballast lyrischer Verse durch ihre Spalten schleppen, mit freund¬ licher Nachsicht gewähren, und in richtigem Vertrauen auf die wirkungsvolle Unterstützung der Eingewanderten hat Christian Schmitt den Versuch gewagt, zur Gründung und Erhaltung eines eignen Organs für deutsche Poesie im Elsaß Jünger und Freunde Apolls zum Alsabnnde zu vereinigen. Wirklich verheißt die Gunst der heutigen Verhältnisse der nunmehr seit sechs Jahren regelmäßig erscheinenden Monatsschrift Erwinia ein glücklicheres Gedeihen, als es den kurzlebigen Blättern der Gebrüder Stöber und andrer alsatischen Sänger unter französischer Herrschaft beschicken war. Allmählich drängen sich auch die Künste wieder lebensfroher ans Licht und streben selbstbewußt und erfolgreich nach Anerkennung. So traten vor zwei Jahren in der Straßburger Novembcr- ausstellung die elsässischen Maler und Bildhauer zum erstenmale als geschlossener Künstlerkreis hervor und vereinigten, was sich bisher in einzelnen Sonder¬ ansstellungen nur engern Zirkeln vorgestellt oder im Pariser Salon, zum Teil auch in München, zerstreute Beobachtung gefunden hatte, zu einem jedermann einladenden Gesamtbilde. Dabei wurde freilich der einheimische Charakter des Unternehmens den ansässigen altdeutschen Künstlern gegenüber noch zu eng¬ herzigbetont: mit Ausnahme Lothars von Seebach und Joseph Sattlers blieben sie von der Beteiligung ausgeschlossen. Allmählich schwindet aber auch diese Schranke, und die jüngst zu Straßburg eröffnete stündige Ausstellung elsässischer Künstler der Gegenwart erschließt sich auch den Schöpfungen Eingewanderter. Aus diesem engern Kreise ist auch die von Spindler herausgegebne Vierteljahrs¬ schrift Illustrierte elsüssische Rundschau hervorgegangen, die soeben ihren zweiten Jahrgang begonnen hat und als eine Fortsetzung der von Spindler und Sattler 1893 begründeten Elsässischen Bilderbogen zu betrachten ist. Ermuntert durch den wachsenden Beifall, den diese weit über die Landesgrenzen hinaus, in München und Berlin wie in Paris gefunden hatten, strebt sie auf er¬ weiterter Grundlage, in vornehmer und künstlerischer Ausstattung „ein Bild von dem mächtig aufblühenden Leben elsässischer Geisteskultur zu geben." Die Mehrzahl der Beiträge fließt ihr von elsässischer Seite zu, wie denn auch neben der deutschen Schriftsprache der Dialekt und selbst das Französische ihr Recht behaupten; aber sie heißt auch altdeutsche Mitarbeiter willkommen, wenn sie sich durch verständnisvolles Eingehn auf die heimische Art auch in den Augen der Eingebornen ein Heimatsrecht erworben haben. Möge sich ihre Zahl immer mehren!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/606>, abgerufen am 04.07.2024.