Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus dein Llsaß

zu zeigen. Und man braucht nicht eben Forscher von Fach oder Sänger von
Gottes Gnaden zu sein, um seine Mahnung zu beherzigen. Wer mit em¬
pfänglichen Sinnen das Land durchwandert, wird auch die Spuren entdecken,
die die Geschichte zweier Jahrtausende ihm unvergänglich eingedrückt hat, und
wer offnen Auges ins Leben schaut, mag leicht die kräftigen Züge gewahr
werden, in denen sich elsässische Volksart ausgeprägt hat. Gemütvolle Teilnahme
aber auch im kleinen und kleinsten muß hier wie überall fördernd wirken.
Und wie viel leichter fällt es doch uns Deutschen, diesen Weg zu wandeln,
als vormals den Franzosen! Ihnen ist die eigenste Natur des Alemannen
immer fremdartig geblieben; Geschichte und Sage seines Lündchens vermochten
höchstens dem Archäologen der großen Nation ein nebensächliches Interesse
abzugewinnen; seine heimatliche Dichtung und Sprache blieb unbeachtet. So¬
weit der Elsässer nicht in Frankreich aufging, fand er dort wenig Geltung,
und auch sein schwerfällig erworbnes Romanentum bot den Pariser Witzblättern
noch eine willkommne Zielscheibe. Dem Deutschen dagegen, der heute unbe¬
fangen in Land und Leute hineinschaut, begegnet überall Vertrautes und eine
Fülle von Anregungen. Er findet im elsüssischen Volkstum sein eignes Wesen
wieder; Burgen und Klöster der Vogesen erzählen ihm von deutscher Ver¬
gangenheit; in den Dichtern des Landes begrüßt er die treuen Hüter germa¬
nischer Geistesschätze; das "Dieses" des Volkes ist dem Badenser wie dem
Württemberger leicht geläufig, und auch der norddeutsche bringt der ihm an¬
fangs so schwer verstündlichen Mundart häufig ein ähnliches Interesse ent¬
gegen, wie es das Plattdeutsche Reuters in Oberdeutschland gefunden hat.

In der That begann denn auch gleich nach der Einwandrung ein Teil
der Altdeutschen unter dem thatkräftigen Vorgang der jungen Kaiser Wilhelms-
Universitüt frohmütig nach den Schützen des nencrworbnen Bodens zu graben;
den früher fast auf sich allein angewiesenen elsüssischen Lokalforschcrn trat eine
immer wachsende Schar rüstiger Kräfte von der andern Seite des Rheins zur
Seite, und aus dem Nebeneinanderarbeiten entwickelte sich ein gedeihliches Zu¬
sammenwirken. So lenkten gleich anfangs die reichen Archive des Landes das
historische Interesse auf den bedeutsamen Zeitraum hin, der das Elsaß und voran
das alte Straßburg auf dem Höhepunkte seiner geistigen und politischen Ent¬
wicklung zeigt und von jeher der einheimischen Geschichtsforschung, namentlich
auch protestantischer Theologen, ein einladendes Feld geboten hat, das Zeitalter
des Humanismus und der Reformation; hauptsächlich unter Hermann Baum¬
gartens Einfluß regte sich hier bald ein Schaffen, das die Geister zusammen¬
führte und ein dauerndes Verhältnis gegenseitiger Schätzung und wachsenden
Vertrauens begründet hat. Bei der Ostern 1895 zu Straßbnrg abgehaltnen
Generalversammlung des Vereins für Reformationsgeschichte hat dieses Ver¬
hältnis seinen ungesuchten Ausdruck gefunden; auch darf man es mit Genug¬
thuung begrüßen, daß schon seit einem Jahrzehnt die Schütze des Straßburger
Stadtarchivs der Hut eines altdeutschen Gelehrten anvertraut siud.

Unter der fördernden Teilnahme eingewanderter Forscher und Kenner ist


Aus dein Llsaß

zu zeigen. Und man braucht nicht eben Forscher von Fach oder Sänger von
Gottes Gnaden zu sein, um seine Mahnung zu beherzigen. Wer mit em¬
pfänglichen Sinnen das Land durchwandert, wird auch die Spuren entdecken,
die die Geschichte zweier Jahrtausende ihm unvergänglich eingedrückt hat, und
wer offnen Auges ins Leben schaut, mag leicht die kräftigen Züge gewahr
werden, in denen sich elsässische Volksart ausgeprägt hat. Gemütvolle Teilnahme
aber auch im kleinen und kleinsten muß hier wie überall fördernd wirken.
Und wie viel leichter fällt es doch uns Deutschen, diesen Weg zu wandeln,
als vormals den Franzosen! Ihnen ist die eigenste Natur des Alemannen
immer fremdartig geblieben; Geschichte und Sage seines Lündchens vermochten
höchstens dem Archäologen der großen Nation ein nebensächliches Interesse
abzugewinnen; seine heimatliche Dichtung und Sprache blieb unbeachtet. So¬
weit der Elsässer nicht in Frankreich aufging, fand er dort wenig Geltung,
und auch sein schwerfällig erworbnes Romanentum bot den Pariser Witzblättern
noch eine willkommne Zielscheibe. Dem Deutschen dagegen, der heute unbe¬
fangen in Land und Leute hineinschaut, begegnet überall Vertrautes und eine
Fülle von Anregungen. Er findet im elsüssischen Volkstum sein eignes Wesen
wieder; Burgen und Klöster der Vogesen erzählen ihm von deutscher Ver¬
gangenheit; in den Dichtern des Landes begrüßt er die treuen Hüter germa¬
nischer Geistesschätze; das „Dieses" des Volkes ist dem Badenser wie dem
Württemberger leicht geläufig, und auch der norddeutsche bringt der ihm an¬
fangs so schwer verstündlichen Mundart häufig ein ähnliches Interesse ent¬
gegen, wie es das Plattdeutsche Reuters in Oberdeutschland gefunden hat.

In der That begann denn auch gleich nach der Einwandrung ein Teil
der Altdeutschen unter dem thatkräftigen Vorgang der jungen Kaiser Wilhelms-
Universitüt frohmütig nach den Schützen des nencrworbnen Bodens zu graben;
den früher fast auf sich allein angewiesenen elsüssischen Lokalforschcrn trat eine
immer wachsende Schar rüstiger Kräfte von der andern Seite des Rheins zur
Seite, und aus dem Nebeneinanderarbeiten entwickelte sich ein gedeihliches Zu¬
sammenwirken. So lenkten gleich anfangs die reichen Archive des Landes das
historische Interesse auf den bedeutsamen Zeitraum hin, der das Elsaß und voran
das alte Straßburg auf dem Höhepunkte seiner geistigen und politischen Ent¬
wicklung zeigt und von jeher der einheimischen Geschichtsforschung, namentlich
auch protestantischer Theologen, ein einladendes Feld geboten hat, das Zeitalter
des Humanismus und der Reformation; hauptsächlich unter Hermann Baum¬
gartens Einfluß regte sich hier bald ein Schaffen, das die Geister zusammen¬
führte und ein dauerndes Verhältnis gegenseitiger Schätzung und wachsenden
Vertrauens begründet hat. Bei der Ostern 1895 zu Straßbnrg abgehaltnen
Generalversammlung des Vereins für Reformationsgeschichte hat dieses Ver¬
hältnis seinen ungesuchten Ausdruck gefunden; auch darf man es mit Genug¬
thuung begrüßen, daß schon seit einem Jahrzehnt die Schütze des Straßburger
Stadtarchivs der Hut eines altdeutschen Gelehrten anvertraut siud.

Unter der fördernden Teilnahme eingewanderter Forscher und Kenner ist


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0602" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/233154"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus dein Llsaß</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1948" prev="#ID_1947"> zu zeigen. Und man braucht nicht eben Forscher von Fach oder Sänger von<lb/>
Gottes Gnaden zu sein, um seine Mahnung zu beherzigen. Wer mit em¬<lb/>
pfänglichen Sinnen das Land durchwandert, wird auch die Spuren entdecken,<lb/>
die die Geschichte zweier Jahrtausende ihm unvergänglich eingedrückt hat, und<lb/>
wer offnen Auges ins Leben schaut, mag leicht die kräftigen Züge gewahr<lb/>
werden, in denen sich elsässische Volksart ausgeprägt hat. Gemütvolle Teilnahme<lb/>
aber auch im kleinen und kleinsten muß hier wie überall fördernd wirken.<lb/>
Und wie viel leichter fällt es doch uns Deutschen, diesen Weg zu wandeln,<lb/>
als vormals den Franzosen! Ihnen ist die eigenste Natur des Alemannen<lb/>
immer fremdartig geblieben; Geschichte und Sage seines Lündchens vermochten<lb/>
höchstens dem Archäologen der großen Nation ein nebensächliches Interesse<lb/>
abzugewinnen; seine heimatliche Dichtung und Sprache blieb unbeachtet. So¬<lb/>
weit der Elsässer nicht in Frankreich aufging, fand er dort wenig Geltung,<lb/>
und auch sein schwerfällig erworbnes Romanentum bot den Pariser Witzblättern<lb/>
noch eine willkommne Zielscheibe. Dem Deutschen dagegen, der heute unbe¬<lb/>
fangen in Land und Leute hineinschaut, begegnet überall Vertrautes und eine<lb/>
Fülle von Anregungen. Er findet im elsüssischen Volkstum sein eignes Wesen<lb/>
wieder; Burgen und Klöster der Vogesen erzählen ihm von deutscher Ver¬<lb/>
gangenheit; in den Dichtern des Landes begrüßt er die treuen Hüter germa¬<lb/>
nischer Geistesschätze; das &#x201E;Dieses" des Volkes ist dem Badenser wie dem<lb/>
Württemberger leicht geläufig, und auch der norddeutsche bringt der ihm an¬<lb/>
fangs so schwer verstündlichen Mundart häufig ein ähnliches Interesse ent¬<lb/>
gegen, wie es das Plattdeutsche Reuters in Oberdeutschland gefunden hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1949"> In der That begann denn auch gleich nach der Einwandrung ein Teil<lb/>
der Altdeutschen unter dem thatkräftigen Vorgang der jungen Kaiser Wilhelms-<lb/>
Universitüt frohmütig nach den Schützen des nencrworbnen Bodens zu graben;<lb/>
den früher fast auf sich allein angewiesenen elsüssischen Lokalforschcrn trat eine<lb/>
immer wachsende Schar rüstiger Kräfte von der andern Seite des Rheins zur<lb/>
Seite, und aus dem Nebeneinanderarbeiten entwickelte sich ein gedeihliches Zu¬<lb/>
sammenwirken. So lenkten gleich anfangs die reichen Archive des Landes das<lb/>
historische Interesse auf den bedeutsamen Zeitraum hin, der das Elsaß und voran<lb/>
das alte Straßburg auf dem Höhepunkte seiner geistigen und politischen Ent¬<lb/>
wicklung zeigt und von jeher der einheimischen Geschichtsforschung, namentlich<lb/>
auch protestantischer Theologen, ein einladendes Feld geboten hat, das Zeitalter<lb/>
des Humanismus und der Reformation; hauptsächlich unter Hermann Baum¬<lb/>
gartens Einfluß regte sich hier bald ein Schaffen, das die Geister zusammen¬<lb/>
führte und ein dauerndes Verhältnis gegenseitiger Schätzung und wachsenden<lb/>
Vertrauens begründet hat. Bei der Ostern 1895 zu Straßbnrg abgehaltnen<lb/>
Generalversammlung des Vereins für Reformationsgeschichte hat dieses Ver¬<lb/>
hältnis seinen ungesuchten Ausdruck gefunden; auch darf man es mit Genug¬<lb/>
thuung begrüßen, daß schon seit einem Jahrzehnt die Schütze des Straßburger<lb/>
Stadtarchivs der Hut eines altdeutschen Gelehrten anvertraut siud.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1950" next="#ID_1951"> Unter der fördernden Teilnahme eingewanderter Forscher und Kenner ist</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0602] Aus dein Llsaß zu zeigen. Und man braucht nicht eben Forscher von Fach oder Sänger von Gottes Gnaden zu sein, um seine Mahnung zu beherzigen. Wer mit em¬ pfänglichen Sinnen das Land durchwandert, wird auch die Spuren entdecken, die die Geschichte zweier Jahrtausende ihm unvergänglich eingedrückt hat, und wer offnen Auges ins Leben schaut, mag leicht die kräftigen Züge gewahr werden, in denen sich elsässische Volksart ausgeprägt hat. Gemütvolle Teilnahme aber auch im kleinen und kleinsten muß hier wie überall fördernd wirken. Und wie viel leichter fällt es doch uns Deutschen, diesen Weg zu wandeln, als vormals den Franzosen! Ihnen ist die eigenste Natur des Alemannen immer fremdartig geblieben; Geschichte und Sage seines Lündchens vermochten höchstens dem Archäologen der großen Nation ein nebensächliches Interesse abzugewinnen; seine heimatliche Dichtung und Sprache blieb unbeachtet. So¬ weit der Elsässer nicht in Frankreich aufging, fand er dort wenig Geltung, und auch sein schwerfällig erworbnes Romanentum bot den Pariser Witzblättern noch eine willkommne Zielscheibe. Dem Deutschen dagegen, der heute unbe¬ fangen in Land und Leute hineinschaut, begegnet überall Vertrautes und eine Fülle von Anregungen. Er findet im elsüssischen Volkstum sein eignes Wesen wieder; Burgen und Klöster der Vogesen erzählen ihm von deutscher Ver¬ gangenheit; in den Dichtern des Landes begrüßt er die treuen Hüter germa¬ nischer Geistesschätze; das „Dieses" des Volkes ist dem Badenser wie dem Württemberger leicht geläufig, und auch der norddeutsche bringt der ihm an¬ fangs so schwer verstündlichen Mundart häufig ein ähnliches Interesse ent¬ gegen, wie es das Plattdeutsche Reuters in Oberdeutschland gefunden hat. In der That begann denn auch gleich nach der Einwandrung ein Teil der Altdeutschen unter dem thatkräftigen Vorgang der jungen Kaiser Wilhelms- Universitüt frohmütig nach den Schützen des nencrworbnen Bodens zu graben; den früher fast auf sich allein angewiesenen elsüssischen Lokalforschcrn trat eine immer wachsende Schar rüstiger Kräfte von der andern Seite des Rheins zur Seite, und aus dem Nebeneinanderarbeiten entwickelte sich ein gedeihliches Zu¬ sammenwirken. So lenkten gleich anfangs die reichen Archive des Landes das historische Interesse auf den bedeutsamen Zeitraum hin, der das Elsaß und voran das alte Straßburg auf dem Höhepunkte seiner geistigen und politischen Ent¬ wicklung zeigt und von jeher der einheimischen Geschichtsforschung, namentlich auch protestantischer Theologen, ein einladendes Feld geboten hat, das Zeitalter des Humanismus und der Reformation; hauptsächlich unter Hermann Baum¬ gartens Einfluß regte sich hier bald ein Schaffen, das die Geister zusammen¬ führte und ein dauerndes Verhältnis gegenseitiger Schätzung und wachsenden Vertrauens begründet hat. Bei der Ostern 1895 zu Straßbnrg abgehaltnen Generalversammlung des Vereins für Reformationsgeschichte hat dieses Ver¬ hältnis seinen ungesuchten Ausdruck gefunden; auch darf man es mit Genug¬ thuung begrüßen, daß schon seit einem Jahrzehnt die Schütze des Straßburger Stadtarchivs der Hut eines altdeutschen Gelehrten anvertraut siud. Unter der fördernden Teilnahme eingewanderter Forscher und Kenner ist

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/602
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/602>, abgerufen am 04.07.2024.