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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Gin zeitgenössischer Bericht über den Rastadter Gesandtenmord

Debrys Rettung brachte, aufs neue dem tiefen Schmerz über den erlittnen
Verlust. Sie brach abermals in Thränen und Schluchzen aus und rief, sie wolle
sterben. "Wie glücklich sind sie, während ich das unglücklichste Geschöpf von
der Welt bin -- ich will ihn wiedersehen und bei ihm sterben." Als man die
Glocken läuten hörte, rief sie aus: "Es ist sein Begräbnis -- wo ist er?" Als
Graf Solms eintrat, fragte sie, wo ihr Mann sei. Er antwortete, daß er es
nicht wisse, und daß wir nur mit ihr gemeinsam klagen könnten. . . .

Später teilte ich ihr mit, daß ihr Wagen in Sicherheit, und daß ein
großer Teil ihres Gepäcks gerettet worden sei, und daß ihr alles wiedergegeben
werden würde. "Was geht mich das an, gab sie zur Antwort, ich brauche
nichts mehr." Gegen zehn Uhr fuhr man den Wagen in den Hof des Hauses
von Baron Jacobi, dessen Kammerdiener einige Effekten wiederbrachte, darunter
einen Sack mit 2400 (Franks) und 97 Louis in Thalern, die man ihm
übergeben hatte. Man sandte einen andern Sack mit ungefähr 900 Franks,
der Rest bestand ans vier Säcken zu 2400 Franks, die alle geplündert worden
waren. Auch das Necessaire wurde wiedergebracht, das man weggenommen
hatte, um zu sehen, ob es nicht Papiere enthalte. Unberührt war die Vnche
(der Behälter auf der obern Decke der Kutsche) geblieben, in die sie (die Frau
Roberjot) 800 Louisdor in Gold und zahlreiches Silberzeug gethan hatte;
dieser Behälter war abgenommen, aber nicht geöffnet worden. Danach betrug
der Schaden (einschließlich der Uhr und des Geldes, die ihr während der Mord¬
that von den Husaren abgenommen worden waren) zwischen fünf- und sechs¬
hundert Louis;" an Gepäck hatte sie weniger (als die übrigen) eingebüßt. . . .
Morgens erschienen auch noch ihr Koch und der Hausmeister, die sich zu retten
gewußt hatten. Sie brach in neue Klagen aus, die sich wiederholten, als Debry
und Bim sie besuchten.

Als endlich erreicht worden war, daß die geretteten Franzosen von einer
doppelten Eskorte, den markgräflichen Truppen und dem Major Harrant be¬
gleitet werden sollten, machte ich ihr (Frau Roberjot) und den beiden
Boccardi. die sie nicht verlassen hatten, darüber Mitteilung. In meiner
Gegenwart und der der übrigen Minister verlas Graf Görtz die Antwort, die
von dem Obristen Barbaczy auf das von den Ministern während der Nacht
abgelassene Schreiben eingegangen war. Der Obrist sprach darin seine Abscheu
über das Vorgcfallne aus. ' Mit von Thränen erstickter Stimme beschwor Graf
Görtz Herrn Debry namens der deutschen Nation das entsetzliche Verbrechen
nicht dieser zuzuschreiben und der französischen Nation die Wahrheit zu sagen
und Ausbrüche der Leidenschaft zurückzuhalten, die durch dieses Ereignis hervor¬
gerufen werdet! könnten, und die sie, die deutsche Nation, nicht verdient habe.

Debry, der von diesen Teilnahmebczeuguugeu mit gutem Grunde ergriffen
war, versprach das in feierlichster Weise, seine Unruhe dauerte indessen fort.
..Wollen sie, die Mörder, ihr Werk wieder beginnen, so mögen sie gleich
kommen. Es wäre zu entsetzlich, durch ein Wunder entronnen zu sein, um
nochmals zum Richtplatz geschleift zu werden." Major Harrant beruhigte ihn,


Gin zeitgenössischer Bericht über den Rastadter Gesandtenmord

Debrys Rettung brachte, aufs neue dem tiefen Schmerz über den erlittnen
Verlust. Sie brach abermals in Thränen und Schluchzen aus und rief, sie wolle
sterben. „Wie glücklich sind sie, während ich das unglücklichste Geschöpf von
der Welt bin — ich will ihn wiedersehen und bei ihm sterben." Als man die
Glocken läuten hörte, rief sie aus: „Es ist sein Begräbnis — wo ist er?" Als
Graf Solms eintrat, fragte sie, wo ihr Mann sei. Er antwortete, daß er es
nicht wisse, und daß wir nur mit ihr gemeinsam klagen könnten. . . .

Später teilte ich ihr mit, daß ihr Wagen in Sicherheit, und daß ein
großer Teil ihres Gepäcks gerettet worden sei, und daß ihr alles wiedergegeben
werden würde. „Was geht mich das an, gab sie zur Antwort, ich brauche
nichts mehr." Gegen zehn Uhr fuhr man den Wagen in den Hof des Hauses
von Baron Jacobi, dessen Kammerdiener einige Effekten wiederbrachte, darunter
einen Sack mit 2400 (Franks) und 97 Louis in Thalern, die man ihm
übergeben hatte. Man sandte einen andern Sack mit ungefähr 900 Franks,
der Rest bestand ans vier Säcken zu 2400 Franks, die alle geplündert worden
waren. Auch das Necessaire wurde wiedergebracht, das man weggenommen
hatte, um zu sehen, ob es nicht Papiere enthalte. Unberührt war die Vnche
(der Behälter auf der obern Decke der Kutsche) geblieben, in die sie (die Frau
Roberjot) 800 Louisdor in Gold und zahlreiches Silberzeug gethan hatte;
dieser Behälter war abgenommen, aber nicht geöffnet worden. Danach betrug
der Schaden (einschließlich der Uhr und des Geldes, die ihr während der Mord¬
that von den Husaren abgenommen worden waren) zwischen fünf- und sechs¬
hundert Louis;" an Gepäck hatte sie weniger (als die übrigen) eingebüßt. . . .
Morgens erschienen auch noch ihr Koch und der Hausmeister, die sich zu retten
gewußt hatten. Sie brach in neue Klagen aus, die sich wiederholten, als Debry
und Bim sie besuchten.

Als endlich erreicht worden war, daß die geretteten Franzosen von einer
doppelten Eskorte, den markgräflichen Truppen und dem Major Harrant be¬
gleitet werden sollten, machte ich ihr (Frau Roberjot) und den beiden
Boccardi. die sie nicht verlassen hatten, darüber Mitteilung. In meiner
Gegenwart und der der übrigen Minister verlas Graf Görtz die Antwort, die
von dem Obristen Barbaczy auf das von den Ministern während der Nacht
abgelassene Schreiben eingegangen war. Der Obrist sprach darin seine Abscheu
über das Vorgcfallne aus. ' Mit von Thränen erstickter Stimme beschwor Graf
Görtz Herrn Debry namens der deutschen Nation das entsetzliche Verbrechen
nicht dieser zuzuschreiben und der französischen Nation die Wahrheit zu sagen
und Ausbrüche der Leidenschaft zurückzuhalten, die durch dieses Ereignis hervor¬
gerufen werdet! könnten, und die sie, die deutsche Nation, nicht verdient habe.

Debry, der von diesen Teilnahmebczeuguugeu mit gutem Grunde ergriffen
war, versprach das in feierlichster Weise, seine Unruhe dauerte indessen fort.
..Wollen sie, die Mörder, ihr Werk wieder beginnen, so mögen sie gleich
kommen. Es wäre zu entsetzlich, durch ein Wunder entronnen zu sein, um
nochmals zum Richtplatz geschleift zu werden." Major Harrant beruhigte ihn,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/587>, abgerufen am 27.06.2024.