Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein zeitgenössischer Bericht über den Rastadter Gesandtenmord

sein Gesicht war mit Blut und Rissen bedeckt, das vom Regen durchnäßte
Haar fiel aufs Gesicht herab, der Hemdkragen war mit Blut gefärbt, seiue
Kleidungsstücke zerrissen und zerschnitten. Er war indessen völlig bei Sinnen,
erkannte mich sogleich und reichte mir die rechte Hand, indem er sagte, daß
diese noch brauchbar sei: "Ja, es ist gekommen, wie Sie es erwartet haben."
Obgleich Thränen meine Stimme erstickten, vermochte ich ihn doch zu fragen, durch
welches Wunder er gerettet worden sei. "Ja, erwiderte er, durch ein Wunder.
Wenn ich nicht immer an eine Vorsehung geglaubt Hütte, so Hütte dieses letzte
Erlebnis mir solchen Glauben mit unverlöschlichem Buchstaben ins Herz ge¬
graben. Ja! wie hat man uns behandelt, und was haben wir denn eigentlich
gethan?"

Dann erzählte er, daß man ihn aus den Armen seiner Frau und seiner
Tochter gerissen und sodann mit Hieben überdeckt habe, bis er sich tot gestellt.
Er habe sich in einen Graben auf der Seite des der Murg und der Rheinau-
brücke gegenüberliegenden Wäldchens gerollt, als seine Mörder von ihm ab¬
ließen, um sich zu den übrigen Wagen zu begeben. Denn war er im Schutz
der Nacht in das Wäldchen geflüchtet, mit Hilfe der einen unverletzt gebliebner
Hand auf einen Baum gestiegen, auf dem er etwa eine Viertelstunde ver¬
blieben, sodann heruutergeklettert und nachdem er einige Zeit gegangen, ein¬
geschlafen. Bei seinem Erwachen sei der Tag schon angebrochen, und habe er
die Richtung nach Rastatt eingeschlagen. Seinen Hut, seine Ohrgehänge, seine
Schuhe und das Halstuch habe er weggeworfen und halbtot einen ihm be¬
gegnenden Bauern um Kleider gebeten. Auf dem Wege habe er die Leichen
seiner unglücklichen Kollegen gesehen, ein Bild, das ihn bestündig verfolge.
"Im Namen Gottes, rief er aus, man nehme diese Leichen fort! Sind sie
denn noch immer nicht zufrieden, haben sie ihre Wut noch immer nicht gestillt?
Welche Opfer verlangt man denn noch?" Alle Anwesenden wurden zu Thränen
gerührt, der würdige Graf Görtz wußte sich kaum vor Bewegung zu lassen.
Debrys Wunden, die übrigens nicht gefährlich waren, wurden in Behandlung
genommen: eine leichte und eine schwere Wunde auf dem linken Arm und
mehrere Kontusionen ans dem Rücken.

Ich begab mich zu den Debryschen Damen, um ihnen die Nachrichten
über ihn mitzuteilen. Sie waren von der Rührung und Freude erfüllt, die
man empfindet, wenn man einem großen Unglück entronnen ist. Eine von ihnen
behauptete, einer der Husaren habe Debry französisch ausgefragt, sich
erkundigt, ob er Debry sei, und auf die bejahende Antwort mit dem Säbel auf
ihn losgeschlagen, ihr, der Dame, aber gesagt, sie könne ruhig sein, man werde
ihr nichts thun. Als ich zurückgekehrt war, fand ich Debry, der sich die Wunden
verbinden ließ; zahlreiche Minister hatten sich zu ihm begeben, um ihn zu
sehen und ihrem Entsetzen sowie ihrem Unwillen Ausdruck zu geben, was
Debry sichtlich wohlthat. Frau Noberjvt verfiel, als ich ihr die Nachricht von



') In Wahrheit war es ein Schuhmacher Otto.
Ein zeitgenössischer Bericht über den Rastadter Gesandtenmord

sein Gesicht war mit Blut und Rissen bedeckt, das vom Regen durchnäßte
Haar fiel aufs Gesicht herab, der Hemdkragen war mit Blut gefärbt, seiue
Kleidungsstücke zerrissen und zerschnitten. Er war indessen völlig bei Sinnen,
erkannte mich sogleich und reichte mir die rechte Hand, indem er sagte, daß
diese noch brauchbar sei: „Ja, es ist gekommen, wie Sie es erwartet haben."
Obgleich Thränen meine Stimme erstickten, vermochte ich ihn doch zu fragen, durch
welches Wunder er gerettet worden sei. „Ja, erwiderte er, durch ein Wunder.
Wenn ich nicht immer an eine Vorsehung geglaubt Hütte, so Hütte dieses letzte
Erlebnis mir solchen Glauben mit unverlöschlichem Buchstaben ins Herz ge¬
graben. Ja! wie hat man uns behandelt, und was haben wir denn eigentlich
gethan?"

Dann erzählte er, daß man ihn aus den Armen seiner Frau und seiner
Tochter gerissen und sodann mit Hieben überdeckt habe, bis er sich tot gestellt.
Er habe sich in einen Graben auf der Seite des der Murg und der Rheinau-
brücke gegenüberliegenden Wäldchens gerollt, als seine Mörder von ihm ab¬
ließen, um sich zu den übrigen Wagen zu begeben. Denn war er im Schutz
der Nacht in das Wäldchen geflüchtet, mit Hilfe der einen unverletzt gebliebner
Hand auf einen Baum gestiegen, auf dem er etwa eine Viertelstunde ver¬
blieben, sodann heruutergeklettert und nachdem er einige Zeit gegangen, ein¬
geschlafen. Bei seinem Erwachen sei der Tag schon angebrochen, und habe er
die Richtung nach Rastatt eingeschlagen. Seinen Hut, seine Ohrgehänge, seine
Schuhe und das Halstuch habe er weggeworfen und halbtot einen ihm be¬
gegnenden Bauern um Kleider gebeten. Auf dem Wege habe er die Leichen
seiner unglücklichen Kollegen gesehen, ein Bild, das ihn bestündig verfolge.
„Im Namen Gottes, rief er aus, man nehme diese Leichen fort! Sind sie
denn noch immer nicht zufrieden, haben sie ihre Wut noch immer nicht gestillt?
Welche Opfer verlangt man denn noch?" Alle Anwesenden wurden zu Thränen
gerührt, der würdige Graf Görtz wußte sich kaum vor Bewegung zu lassen.
Debrys Wunden, die übrigens nicht gefährlich waren, wurden in Behandlung
genommen: eine leichte und eine schwere Wunde auf dem linken Arm und
mehrere Kontusionen ans dem Rücken.

Ich begab mich zu den Debryschen Damen, um ihnen die Nachrichten
über ihn mitzuteilen. Sie waren von der Rührung und Freude erfüllt, die
man empfindet, wenn man einem großen Unglück entronnen ist. Eine von ihnen
behauptete, einer der Husaren habe Debry französisch ausgefragt, sich
erkundigt, ob er Debry sei, und auf die bejahende Antwort mit dem Säbel auf
ihn losgeschlagen, ihr, der Dame, aber gesagt, sie könne ruhig sein, man werde
ihr nichts thun. Als ich zurückgekehrt war, fand ich Debry, der sich die Wunden
verbinden ließ; zahlreiche Minister hatten sich zu ihm begeben, um ihn zu
sehen und ihrem Entsetzen sowie ihrem Unwillen Ausdruck zu geben, was
Debry sichtlich wohlthat. Frau Noberjvt verfiel, als ich ihr die Nachricht von



') In Wahrheit war es ein Schuhmacher Otto.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0586" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/233138"/>
          <fw type="header" place="top"> Ein zeitgenössischer Bericht über den Rastadter Gesandtenmord</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1903" prev="#ID_1902"> sein Gesicht war mit Blut und Rissen bedeckt, das vom Regen durchnäßte<lb/>
Haar fiel aufs Gesicht herab, der Hemdkragen war mit Blut gefärbt, seiue<lb/>
Kleidungsstücke zerrissen und zerschnitten. Er war indessen völlig bei Sinnen,<lb/>
erkannte mich sogleich und reichte mir die rechte Hand, indem er sagte, daß<lb/>
diese noch brauchbar sei: &#x201E;Ja, es ist gekommen, wie Sie es erwartet haben."<lb/>
Obgleich Thränen meine Stimme erstickten, vermochte ich ihn doch zu fragen, durch<lb/>
welches Wunder er gerettet worden sei. &#x201E;Ja, erwiderte er, durch ein Wunder.<lb/>
Wenn ich nicht immer an eine Vorsehung geglaubt Hütte, so Hütte dieses letzte<lb/>
Erlebnis mir solchen Glauben mit unverlöschlichem Buchstaben ins Herz ge¬<lb/>
graben. Ja! wie hat man uns behandelt, und was haben wir denn eigentlich<lb/>
gethan?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1904"> Dann erzählte er, daß man ihn aus den Armen seiner Frau und seiner<lb/>
Tochter gerissen und sodann mit Hieben überdeckt habe, bis er sich tot gestellt.<lb/>
Er habe sich in einen Graben auf der Seite des der Murg und der Rheinau-<lb/>
brücke gegenüberliegenden Wäldchens gerollt, als seine Mörder von ihm ab¬<lb/>
ließen, um sich zu den übrigen Wagen zu begeben. Denn war er im Schutz<lb/>
der Nacht in das Wäldchen geflüchtet, mit Hilfe der einen unverletzt gebliebner<lb/>
Hand auf einen Baum gestiegen, auf dem er etwa eine Viertelstunde ver¬<lb/>
blieben, sodann heruutergeklettert und nachdem er einige Zeit gegangen, ein¬<lb/>
geschlafen. Bei seinem Erwachen sei der Tag schon angebrochen, und habe er<lb/>
die Richtung nach Rastatt eingeschlagen. Seinen Hut, seine Ohrgehänge, seine<lb/>
Schuhe und das Halstuch habe er weggeworfen und halbtot einen ihm be¬<lb/>
gegnenden Bauern um Kleider gebeten. Auf dem Wege habe er die Leichen<lb/>
seiner unglücklichen Kollegen gesehen, ein Bild, das ihn bestündig verfolge.<lb/>
&#x201E;Im Namen Gottes, rief er aus, man nehme diese Leichen fort! Sind sie<lb/>
denn noch immer nicht zufrieden, haben sie ihre Wut noch immer nicht gestillt?<lb/>
Welche Opfer verlangt man denn noch?" Alle Anwesenden wurden zu Thränen<lb/>
gerührt, der würdige Graf Görtz wußte sich kaum vor Bewegung zu lassen.<lb/>
Debrys Wunden, die übrigens nicht gefährlich waren, wurden in Behandlung<lb/>
genommen: eine leichte und eine schwere Wunde auf dem linken Arm und<lb/>
mehrere Kontusionen ans dem Rücken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1905" next="#ID_1906"> Ich begab mich zu den Debryschen Damen, um ihnen die Nachrichten<lb/>
über ihn mitzuteilen. Sie waren von der Rührung und Freude erfüllt, die<lb/>
man empfindet, wenn man einem großen Unglück entronnen ist. Eine von ihnen<lb/>
behauptete, einer der Husaren habe Debry französisch ausgefragt, sich<lb/>
erkundigt, ob er Debry sei, und auf die bejahende Antwort mit dem Säbel auf<lb/>
ihn losgeschlagen, ihr, der Dame, aber gesagt, sie könne ruhig sein, man werde<lb/>
ihr nichts thun. Als ich zurückgekehrt war, fand ich Debry, der sich die Wunden<lb/>
verbinden ließ; zahlreiche Minister hatten sich zu ihm begeben, um ihn zu<lb/>
sehen und ihrem Entsetzen sowie ihrem Unwillen Ausdruck zu geben, was<lb/>
Debry sichtlich wohlthat. Frau Noberjvt verfiel, als ich ihr die Nachricht von</p><lb/>
          <note xml:id="FID_103" place="foot"> ') In Wahrheit war es ein Schuhmacher Otto.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0586] Ein zeitgenössischer Bericht über den Rastadter Gesandtenmord sein Gesicht war mit Blut und Rissen bedeckt, das vom Regen durchnäßte Haar fiel aufs Gesicht herab, der Hemdkragen war mit Blut gefärbt, seiue Kleidungsstücke zerrissen und zerschnitten. Er war indessen völlig bei Sinnen, erkannte mich sogleich und reichte mir die rechte Hand, indem er sagte, daß diese noch brauchbar sei: „Ja, es ist gekommen, wie Sie es erwartet haben." Obgleich Thränen meine Stimme erstickten, vermochte ich ihn doch zu fragen, durch welches Wunder er gerettet worden sei. „Ja, erwiderte er, durch ein Wunder. Wenn ich nicht immer an eine Vorsehung geglaubt Hütte, so Hütte dieses letzte Erlebnis mir solchen Glauben mit unverlöschlichem Buchstaben ins Herz ge¬ graben. Ja! wie hat man uns behandelt, und was haben wir denn eigentlich gethan?" Dann erzählte er, daß man ihn aus den Armen seiner Frau und seiner Tochter gerissen und sodann mit Hieben überdeckt habe, bis er sich tot gestellt. Er habe sich in einen Graben auf der Seite des der Murg und der Rheinau- brücke gegenüberliegenden Wäldchens gerollt, als seine Mörder von ihm ab¬ ließen, um sich zu den übrigen Wagen zu begeben. Denn war er im Schutz der Nacht in das Wäldchen geflüchtet, mit Hilfe der einen unverletzt gebliebner Hand auf einen Baum gestiegen, auf dem er etwa eine Viertelstunde ver¬ blieben, sodann heruutergeklettert und nachdem er einige Zeit gegangen, ein¬ geschlafen. Bei seinem Erwachen sei der Tag schon angebrochen, und habe er die Richtung nach Rastatt eingeschlagen. Seinen Hut, seine Ohrgehänge, seine Schuhe und das Halstuch habe er weggeworfen und halbtot einen ihm be¬ gegnenden Bauern um Kleider gebeten. Auf dem Wege habe er die Leichen seiner unglücklichen Kollegen gesehen, ein Bild, das ihn bestündig verfolge. „Im Namen Gottes, rief er aus, man nehme diese Leichen fort! Sind sie denn noch immer nicht zufrieden, haben sie ihre Wut noch immer nicht gestillt? Welche Opfer verlangt man denn noch?" Alle Anwesenden wurden zu Thränen gerührt, der würdige Graf Görtz wußte sich kaum vor Bewegung zu lassen. Debrys Wunden, die übrigens nicht gefährlich waren, wurden in Behandlung genommen: eine leichte und eine schwere Wunde auf dem linken Arm und mehrere Kontusionen ans dem Rücken. Ich begab mich zu den Debryschen Damen, um ihnen die Nachrichten über ihn mitzuteilen. Sie waren von der Rührung und Freude erfüllt, die man empfindet, wenn man einem großen Unglück entronnen ist. Eine von ihnen behauptete, einer der Husaren habe Debry französisch ausgefragt, sich erkundigt, ob er Debry sei, und auf die bejahende Antwort mit dem Säbel auf ihn losgeschlagen, ihr, der Dame, aber gesagt, sie könne ruhig sein, man werde ihr nichts thun. Als ich zurückgekehrt war, fand ich Debry, der sich die Wunden verbinden ließ; zahlreiche Minister hatten sich zu ihm begeben, um ihn zu sehen und ihrem Entsetzen sowie ihrem Unwillen Ausdruck zu geben, was Debry sichtlich wohlthat. Frau Noberjvt verfiel, als ich ihr die Nachricht von ') In Wahrheit war es ein Schuhmacher Otto.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/586
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/586>, abgerufen am 30.06.2024.