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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Gin zeitgenössischer Bericht über den Rastadter Gesandtenmord

indem er sagte, daß er das Ehrenwort sämtlicher Offiziere habe, daß er ihn
nicht verlassen werde, und daß er bereit sei, eventuell mit ihm zu sterben. Ich
teilte die getroffnen Anordnungen den beiden Boccardi und Frau Roverjot
mit. Die Boccardi bezeugten lebhafte Unruhe, Frau Roberjot aber sprach die
Überzeugung aus, daß alle Männer massakriert und die Frauen weggeschleppt
werden würden, sie blieb aber auf alles gefaßt.

Der Wagen stand zur Abfahrt bereit, die Bedeckungsmannschaft versammelte
sich, und um zwei Uhr setzte sich der Zug in Bewegung, wobei Debry Voraus¬
fuhr. Dann stieg Frau Roberjot, die etwas Nahrung zu sich genommen hatte,
in den Wagen, an den ich und Louis Boccardi sie führten. Ich nahm von
ihr Abschied und trat an den Wagen Debrys. Ich reichte den Damen die
Hand, er saß im Hintergrunde des Wagens und war in großer Erregung.
Die Bedecknngsmannschaft bestand aus sechs markgräflichen Husaren, die unter
Führung des Majors Harrant Vorausritten, Herrn von Jordan, der neben
Debrys Wagen ritt, und aus weitern zwölf Husaren und einem Offizier -- sechs
ritten voraus und sechs hinterher. So habe ich sie zuletzt gesehen. --

In allen wesentlichen Punkten mit dem Dohmschen "gemeinschaftlichen
Bericht" übereinstimmend, enthält die vorstehende Darstellung gleichwohl eine
Zahl Angaben, die in dem ersterwähnten Aktenstück fehlen. Zunächst wird
über das Verhalten der geretteten Franzosen mit größerer Ausführlichkeit
und Lebhaftigkeit berichtet, als in irgend einer der übrigen bisher bekannt
gewordnen Versionen. Von Interesse ist namentlich, was über Frau Roberjot
berichtet wird, deren Fernbleiben von der zu Paris veranstalteten Toten¬
feier vom 20. Prairial in der Folgezeit zu Konjekturen der wunderlichsten Art
Veranlassung geboten hat. Die unter anderm auch vou Helfreich erwähnte
unsinnige Fabel, daß die unglückliche Frau den Gesandten Debry ini Verdacht
der Mitschuld an der Ermordung ihres Mannes gehabt und ihm aus diesem
Grunde jede Zusammenkunft verweigert hube (Helfreich S. 135), wird durch
Brass Angabe darüber, daß Frau Roberjot bei Empfang der Besuche Blins
und Debrys in erneute Klagen und Thränen ausgebrochen sei, direkt widerlegt.

Erwähnenswert ist ferner, daß Bray über Aussagen von Debrys Sekretär
Bim berichtet, deren sonst nirgends Erwähnung geschieht. Während Dohm
Blins gar keine Erwähnung thut, Heisere diesen Sekretär Debrys hartnäckig
"Belin" nennt und nur beiläufig anführt, giebt unser Gewährsmann die Um¬
stände, unter denen Bim angefallen, und nachdem er anfänglich für Bonnier
gehalten worden, gerettet wurde, genau an. Von besondrer Wichtigkeit aber
sind die Angaben des zu vier malen von unserm Berichterstatter ausführlich
vernommnen Dieners des ermordeten Roberjot. Davon, daß der Minister in
französischer Sprache angeredet und nach seiner Person gefragt worden war,
hat der nächste Zeuge seiner Ermordung nicht nur nichts verlautbart, sondern
im Gegenteil ausdrücklich gesagt, die Mörder hätten zu wiederholten malen
das eine Wort "Minister" fragend wiederholt, Frau Roberjot aber hube sie
in dem wenigen ihr geläufigen Deutsch um den Tod gebeten -- ein Umstand,


Gin zeitgenössischer Bericht über den Rastadter Gesandtenmord

indem er sagte, daß er das Ehrenwort sämtlicher Offiziere habe, daß er ihn
nicht verlassen werde, und daß er bereit sei, eventuell mit ihm zu sterben. Ich
teilte die getroffnen Anordnungen den beiden Boccardi und Frau Roverjot
mit. Die Boccardi bezeugten lebhafte Unruhe, Frau Roberjot aber sprach die
Überzeugung aus, daß alle Männer massakriert und die Frauen weggeschleppt
werden würden, sie blieb aber auf alles gefaßt.

Der Wagen stand zur Abfahrt bereit, die Bedeckungsmannschaft versammelte
sich, und um zwei Uhr setzte sich der Zug in Bewegung, wobei Debry Voraus¬
fuhr. Dann stieg Frau Roberjot, die etwas Nahrung zu sich genommen hatte,
in den Wagen, an den ich und Louis Boccardi sie führten. Ich nahm von
ihr Abschied und trat an den Wagen Debrys. Ich reichte den Damen die
Hand, er saß im Hintergrunde des Wagens und war in großer Erregung.
Die Bedecknngsmannschaft bestand aus sechs markgräflichen Husaren, die unter
Führung des Majors Harrant Vorausritten, Herrn von Jordan, der neben
Debrys Wagen ritt, und aus weitern zwölf Husaren und einem Offizier — sechs
ritten voraus und sechs hinterher. So habe ich sie zuletzt gesehen. —

In allen wesentlichen Punkten mit dem Dohmschen „gemeinschaftlichen
Bericht" übereinstimmend, enthält die vorstehende Darstellung gleichwohl eine
Zahl Angaben, die in dem ersterwähnten Aktenstück fehlen. Zunächst wird
über das Verhalten der geretteten Franzosen mit größerer Ausführlichkeit
und Lebhaftigkeit berichtet, als in irgend einer der übrigen bisher bekannt
gewordnen Versionen. Von Interesse ist namentlich, was über Frau Roberjot
berichtet wird, deren Fernbleiben von der zu Paris veranstalteten Toten¬
feier vom 20. Prairial in der Folgezeit zu Konjekturen der wunderlichsten Art
Veranlassung geboten hat. Die unter anderm auch vou Helfreich erwähnte
unsinnige Fabel, daß die unglückliche Frau den Gesandten Debry ini Verdacht
der Mitschuld an der Ermordung ihres Mannes gehabt und ihm aus diesem
Grunde jede Zusammenkunft verweigert hube (Helfreich S. 135), wird durch
Brass Angabe darüber, daß Frau Roberjot bei Empfang der Besuche Blins
und Debrys in erneute Klagen und Thränen ausgebrochen sei, direkt widerlegt.

Erwähnenswert ist ferner, daß Bray über Aussagen von Debrys Sekretär
Bim berichtet, deren sonst nirgends Erwähnung geschieht. Während Dohm
Blins gar keine Erwähnung thut, Heisere diesen Sekretär Debrys hartnäckig
„Belin" nennt und nur beiläufig anführt, giebt unser Gewährsmann die Um¬
stände, unter denen Bim angefallen, und nachdem er anfänglich für Bonnier
gehalten worden, gerettet wurde, genau an. Von besondrer Wichtigkeit aber
sind die Angaben des zu vier malen von unserm Berichterstatter ausführlich
vernommnen Dieners des ermordeten Roberjot. Davon, daß der Minister in
französischer Sprache angeredet und nach seiner Person gefragt worden war,
hat der nächste Zeuge seiner Ermordung nicht nur nichts verlautbart, sondern
im Gegenteil ausdrücklich gesagt, die Mörder hätten zu wiederholten malen
das eine Wort „Minister" fragend wiederholt, Frau Roberjot aber hube sie
in dem wenigen ihr geläufigen Deutsch um den Tod gebeten — ein Umstand,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/588>, abgerufen am 22.06.2024.