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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Herbstbilder aus Italien

ganze großartige Landschaft im helle" Sonnenglanze dalag; aus dem Laubwald
unter uns aber klang der Vogelgesang. Inzwischen wurde es in den weiten
Gängen des mächtigen Baus lebendig. Es wimmelte von jugendliche" Ge¬
stalten in geistlicher Tracht, Schillern des Seminars und des Kollegiums. Sie
sahen uns etwas neugierig an, als wir durch einen der langen hohen Gänge,
der als Schlafsaal eingerichtet ist, schritten, nach einem Balkon am Ende.
Denn dort bot sich ein prachtvoller Blick nach Nordwesten, auf das mächtige,
kahle Haupt des Monte Gairo (1670 Meter), eine weißgraue, starre Felsmasse;
nur an den Flanken weiter unter zeigten sich braune Erdflecke, durch Quer¬
dämme sorglich vor Abspülnng geschützt; denn in diesem Felskante ist jeder
Fußbreit Humus kostbar. Weiter landeinwärts ragten die hohen Häupter der
Abruzzen auf, tief unten an der andern Seite lag das Thal des Liris.

Von der Aussicht auf die Landschaft wandten wir uns zurück inS Kloster.
Von den Gebäudemcisseu, die das Plateau des Berges in verschiedenen Ab¬
stufungen bedecken, stammt aus dem Mittelalter nur wenig, nämlich die so¬
genannte Torretta um Haupteingange, die alte Klnnse Benedikts, und die
Küche (aus dem elften Jahrhundert), weitaus das meiste ist erst im sechzehnten,
siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert entstanden, und auch die innere Aus¬
schmückung ist ganz überwiegend modern. Denn seitdem Benedittus 528 den
Apollotempel, der im Altertum diesen Bergkegel über dem alten Casiuum
schmückte, niederwarf, um an seiner Stelle seine Klanse aufzurichten, sind
schwere äußere und innere Stürme darüber hinweggezogen. An einer großen
Heerstraße liegend ist Monte Cassino trotz seiner geschützten Höhenlage sogar
mehrmals der Zerstörung verfallen und mußte jedesmal gewissermaßen neu
gegründet werden. Um 580 von den Langobarden zerstört, lag eS gegen
140 Jahre wüst, und die Mönche siedelten nach Rom über uach dem Lateran.
Erst unter Papst Gregor II. stellte es um 720 der Abt Pctronnx wieder her,
und seine erste Blütezeit, die karolingische, begann. Damals trat Karls des
Großen Oheim Karlmnnn (um 750) ins Kloster ein, der große Fraukenköuig
selbst besuchte es 787, und einer seiner Mönche, den er dann an seinen Hof
zog, Paulus, Waruefrieds Sohn, schrieb hier seiue Geschichte der Langobarden,
als ihr Reich 774 mit dem fränkische" vereinigt worden war, mit Ausnahme
einiger Fürstentümer, vor allein des Herzogtums Benevent. Gerade dessen fromme
Beherrscher legten durch großartige Schenkungen den Grund zu dem Reichtume
und dem Landbesitze der Abtei. Aber im Jahre 884 erfuhr es, wie Subiaco,
die Plünderung arabischer Raubscharen, die sich an der Lirismüudung festgesetzt
hatten; der Abt Bcrtharius wurde um Hochaltar der Klosterkirche erschlagen,
und die Mönche flüchteten erst nach Teanum, dann nach Cnpua. Erst als
die großen Sachseukaiser mit fester Hand Italien ans seiner Zerrüttung und
das Papsttum ans tiefem Verfalle emporrichteten, kehrte der Abt Aliger"
(949--985) wieder nach dein verödeten Klosterberge zurück, ordnete die ver¬
wirrten Verhältnisse und baute zum Schutze gegen feindliche Angriffe die Roecci
Janula an Stelle eines alte" Jcmustempels. Doch zog mit dem steigenden


Herbstbilder aus Italien

ganze großartige Landschaft im helle» Sonnenglanze dalag; aus dem Laubwald
unter uns aber klang der Vogelgesang. Inzwischen wurde es in den weiten
Gängen des mächtigen Baus lebendig. Es wimmelte von jugendliche» Ge¬
stalten in geistlicher Tracht, Schillern des Seminars und des Kollegiums. Sie
sahen uns etwas neugierig an, als wir durch einen der langen hohen Gänge,
der als Schlafsaal eingerichtet ist, schritten, nach einem Balkon am Ende.
Denn dort bot sich ein prachtvoller Blick nach Nordwesten, auf das mächtige,
kahle Haupt des Monte Gairo (1670 Meter), eine weißgraue, starre Felsmasse;
nur an den Flanken weiter unter zeigten sich braune Erdflecke, durch Quer¬
dämme sorglich vor Abspülnng geschützt; denn in diesem Felskante ist jeder
Fußbreit Humus kostbar. Weiter landeinwärts ragten die hohen Häupter der
Abruzzen auf, tief unten an der andern Seite lag das Thal des Liris.

Von der Aussicht auf die Landschaft wandten wir uns zurück inS Kloster.
Von den Gebäudemcisseu, die das Plateau des Berges in verschiedenen Ab¬
stufungen bedecken, stammt aus dem Mittelalter nur wenig, nämlich die so¬
genannte Torretta um Haupteingange, die alte Klnnse Benedikts, und die
Küche (aus dem elften Jahrhundert), weitaus das meiste ist erst im sechzehnten,
siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert entstanden, und auch die innere Aus¬
schmückung ist ganz überwiegend modern. Denn seitdem Benedittus 528 den
Apollotempel, der im Altertum diesen Bergkegel über dem alten Casiuum
schmückte, niederwarf, um an seiner Stelle seine Klanse aufzurichten, sind
schwere äußere und innere Stürme darüber hinweggezogen. An einer großen
Heerstraße liegend ist Monte Cassino trotz seiner geschützten Höhenlage sogar
mehrmals der Zerstörung verfallen und mußte jedesmal gewissermaßen neu
gegründet werden. Um 580 von den Langobarden zerstört, lag eS gegen
140 Jahre wüst, und die Mönche siedelten nach Rom über uach dem Lateran.
Erst unter Papst Gregor II. stellte es um 720 der Abt Pctronnx wieder her,
und seine erste Blütezeit, die karolingische, begann. Damals trat Karls des
Großen Oheim Karlmnnn (um 750) ins Kloster ein, der große Fraukenköuig
selbst besuchte es 787, und einer seiner Mönche, den er dann an seinen Hof
zog, Paulus, Waruefrieds Sohn, schrieb hier seiue Geschichte der Langobarden,
als ihr Reich 774 mit dem fränkische» vereinigt worden war, mit Ausnahme
einiger Fürstentümer, vor allein des Herzogtums Benevent. Gerade dessen fromme
Beherrscher legten durch großartige Schenkungen den Grund zu dem Reichtume
und dem Landbesitze der Abtei. Aber im Jahre 884 erfuhr es, wie Subiaco,
die Plünderung arabischer Raubscharen, die sich an der Lirismüudung festgesetzt
hatten; der Abt Bcrtharius wurde um Hochaltar der Klosterkirche erschlagen,
und die Mönche flüchteten erst nach Teanum, dann nach Cnpua. Erst als
die großen Sachseukaiser mit fester Hand Italien ans seiner Zerrüttung und
das Papsttum ans tiefem Verfalle emporrichteten, kehrte der Abt Aliger»
(949—985) wieder nach dein verödeten Klosterberge zurück, ordnete die ver¬
wirrten Verhältnisse und baute zum Schutze gegen feindliche Angriffe die Roecci
Janula an Stelle eines alte» Jcmustempels. Doch zog mit dem steigenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/559>, abgerufen am 02.10.2024.