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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Herbstbilder aus Italien

emporgeblickt hatten; Olivenpflanzungen und dichte Laubgehölze bedeckten die
Abhänge des Gipfels, und durch eine Akazienallee fahrend erreichten wir einen
kleinen Platz nu der Südwestecke, unmittelbar unter den hohen Mauern der
gewaltigen Klvsterbnrg, Nach einer etwas mehr als einstündiger Fahrt waren
wir am Ziele,

Durch die dunkle Wölbung des Hauptthvrs zwischen den beiden uralten
steinernen Löwen gelangten wir zu der Klause des Pförtners, eines dienenden
Bruders, der sich auf mein Gesuch um Aufnahme für die Nacht unsre Visiten¬
karten ausbat, um uns seinem superiori zu melden. Einige Minuten später
kam der ?Ä<kr6 loro8ti<zrg.j<), einer der Würdenträger des Klosters, der den
Fremden die Honneurs macht, ein stattlicher Mann im schwarzen Ordenskleide,
ein geborner Südfranzose, lebhaft, gesprächig, höchst verbindlich und führte uns
durch lange, hohe, schwachbeleuchtete hallende Gänge nach unserm Zimmer,
einem sehr einfach eingerichteten, aber großen, mit allem Nötigen versehenen
zweifenstrigen Gemache. In lebhafter, halb französisch, halb italienisch geführter
Unterhaltung erzählte er uns mancherlei vom gegenwärtigen Stande des Klosters,
freute sich, daß wir schon in Subiaco gewesen waren, bedauerte, daß die dor¬
tigen Ordensbrüder keine Erziehungsanstalt eingerichtet hätten, da ohne eine
solche die Existenz der Klöster fortwährend gefährdet sei, bat uns dann, uns
bald zum Abendessen bereit zu halten, zu dem uns ein dienender Bruder ab¬
rufet! werde, und versprach endlich, uns für den nächsten Morgen einen Laien¬
bruder als Führer bei der Besichtigung des Klosters zur Verfügung zu stellen.

Das Abendessen im Ospizio verlief einfach, solid und behaglich, gewürzt
dnrch einen trefflichen Rotwein vom Eigenbau des Klosters. Es waren für
diese Nacht über vierzig Fremde oben, meist einfache Leute, denn das Kloster
übt die alte Gastfreundschaft, die ihm die Regel vorschreibt, ohne Unterschied
des Standes, der Nationalität und der Konfession, hat anch für Frauen ein
besondres Absteigequartier außerhalb seiner Mauern eingerichtet und nimmt
keine Bezahlung; mir wird erwartet, daß der bemitteltere Fremde bei der Ab¬
reise einen entsprechenden Betrag in die Büchse um Thore steckt. Es war für
uns ein eignes Gefühl, die Nacht in dem stillen Frieden dieses uralten Klosters
zuzubringen, hoch über der Menschenwelt, von der kein Laut zu uns heraus¬
drang, nur die spärlichen Lichter der kleinen Stadt blitzten herauf, unter dem
dunkeln, funkelnden Sternenhimmel des Südens.

Noch stand das letzte Viertel des Mondes hoch am klaren Himmel, als
ich am nächsten Morgen ans Fenster trat. Am Horizont lagen Wolkenstreifen,
tief unten über dem weiten Thale eine dichte weiße Nebelschicht, sodaß es aus¬
sah wie ein großer Gebirgssee zwischen hohen, zackigen Bergrücken, aus dem
hier und da ein niedrigerer Gipfel als vereinzelte dunkle Insel emporragte.
Blaßblau zeichneten sich die Umrisse im Westen und Norden ab, dunkelblau
im Osten, wo schon das feurige Morgenrot stand. Dann schwebte der Sonnen¬
ball strahlend empor, die grauen Wolkenstreifen wurden lichtweiß, im Thale
begann der Nebel zu zerfließen, und dunkle Flecken traten heraus, bis die


Herbstbilder aus Italien

emporgeblickt hatten; Olivenpflanzungen und dichte Laubgehölze bedeckten die
Abhänge des Gipfels, und durch eine Akazienallee fahrend erreichten wir einen
kleinen Platz nu der Südwestecke, unmittelbar unter den hohen Mauern der
gewaltigen Klvsterbnrg, Nach einer etwas mehr als einstündiger Fahrt waren
wir am Ziele,

Durch die dunkle Wölbung des Hauptthvrs zwischen den beiden uralten
steinernen Löwen gelangten wir zu der Klause des Pförtners, eines dienenden
Bruders, der sich auf mein Gesuch um Aufnahme für die Nacht unsre Visiten¬
karten ausbat, um uns seinem superiori zu melden. Einige Minuten später
kam der ?Ä<kr6 loro8ti<zrg.j<), einer der Würdenträger des Klosters, der den
Fremden die Honneurs macht, ein stattlicher Mann im schwarzen Ordenskleide,
ein geborner Südfranzose, lebhaft, gesprächig, höchst verbindlich und führte uns
durch lange, hohe, schwachbeleuchtete hallende Gänge nach unserm Zimmer,
einem sehr einfach eingerichteten, aber großen, mit allem Nötigen versehenen
zweifenstrigen Gemache. In lebhafter, halb französisch, halb italienisch geführter
Unterhaltung erzählte er uns mancherlei vom gegenwärtigen Stande des Klosters,
freute sich, daß wir schon in Subiaco gewesen waren, bedauerte, daß die dor¬
tigen Ordensbrüder keine Erziehungsanstalt eingerichtet hätten, da ohne eine
solche die Existenz der Klöster fortwährend gefährdet sei, bat uns dann, uns
bald zum Abendessen bereit zu halten, zu dem uns ein dienender Bruder ab¬
rufet! werde, und versprach endlich, uns für den nächsten Morgen einen Laien¬
bruder als Führer bei der Besichtigung des Klosters zur Verfügung zu stellen.

Das Abendessen im Ospizio verlief einfach, solid und behaglich, gewürzt
dnrch einen trefflichen Rotwein vom Eigenbau des Klosters. Es waren für
diese Nacht über vierzig Fremde oben, meist einfache Leute, denn das Kloster
übt die alte Gastfreundschaft, die ihm die Regel vorschreibt, ohne Unterschied
des Standes, der Nationalität und der Konfession, hat anch für Frauen ein
besondres Absteigequartier außerhalb seiner Mauern eingerichtet und nimmt
keine Bezahlung; mir wird erwartet, daß der bemitteltere Fremde bei der Ab¬
reise einen entsprechenden Betrag in die Büchse um Thore steckt. Es war für
uns ein eignes Gefühl, die Nacht in dem stillen Frieden dieses uralten Klosters
zuzubringen, hoch über der Menschenwelt, von der kein Laut zu uns heraus¬
drang, nur die spärlichen Lichter der kleinen Stadt blitzten herauf, unter dem
dunkeln, funkelnden Sternenhimmel des Südens.

Noch stand das letzte Viertel des Mondes hoch am klaren Himmel, als
ich am nächsten Morgen ans Fenster trat. Am Horizont lagen Wolkenstreifen,
tief unten über dem weiten Thale eine dichte weiße Nebelschicht, sodaß es aus¬
sah wie ein großer Gebirgssee zwischen hohen, zackigen Bergrücken, aus dem
hier und da ein niedrigerer Gipfel als vereinzelte dunkle Insel emporragte.
Blaßblau zeichneten sich die Umrisse im Westen und Norden ab, dunkelblau
im Osten, wo schon das feurige Morgenrot stand. Dann schwebte der Sonnen¬
ball strahlend empor, die grauen Wolkenstreifen wurden lichtweiß, im Thale
begann der Nebel zu zerfließen, und dunkle Flecken traten heraus, bis die


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[0558] Herbstbilder aus Italien emporgeblickt hatten; Olivenpflanzungen und dichte Laubgehölze bedeckten die Abhänge des Gipfels, und durch eine Akazienallee fahrend erreichten wir einen kleinen Platz nu der Südwestecke, unmittelbar unter den hohen Mauern der gewaltigen Klvsterbnrg, Nach einer etwas mehr als einstündiger Fahrt waren wir am Ziele, Durch die dunkle Wölbung des Hauptthvrs zwischen den beiden uralten steinernen Löwen gelangten wir zu der Klause des Pförtners, eines dienenden Bruders, der sich auf mein Gesuch um Aufnahme für die Nacht unsre Visiten¬ karten ausbat, um uns seinem superiori zu melden. Einige Minuten später kam der ?Ä<kr6 loro8ti<zrg.j<), einer der Würdenträger des Klosters, der den Fremden die Honneurs macht, ein stattlicher Mann im schwarzen Ordenskleide, ein geborner Südfranzose, lebhaft, gesprächig, höchst verbindlich und führte uns durch lange, hohe, schwachbeleuchtete hallende Gänge nach unserm Zimmer, einem sehr einfach eingerichteten, aber großen, mit allem Nötigen versehenen zweifenstrigen Gemache. In lebhafter, halb französisch, halb italienisch geführter Unterhaltung erzählte er uns mancherlei vom gegenwärtigen Stande des Klosters, freute sich, daß wir schon in Subiaco gewesen waren, bedauerte, daß die dor¬ tigen Ordensbrüder keine Erziehungsanstalt eingerichtet hätten, da ohne eine solche die Existenz der Klöster fortwährend gefährdet sei, bat uns dann, uns bald zum Abendessen bereit zu halten, zu dem uns ein dienender Bruder ab¬ rufet! werde, und versprach endlich, uns für den nächsten Morgen einen Laien¬ bruder als Führer bei der Besichtigung des Klosters zur Verfügung zu stellen. Das Abendessen im Ospizio verlief einfach, solid und behaglich, gewürzt dnrch einen trefflichen Rotwein vom Eigenbau des Klosters. Es waren für diese Nacht über vierzig Fremde oben, meist einfache Leute, denn das Kloster übt die alte Gastfreundschaft, die ihm die Regel vorschreibt, ohne Unterschied des Standes, der Nationalität und der Konfession, hat anch für Frauen ein besondres Absteigequartier außerhalb seiner Mauern eingerichtet und nimmt keine Bezahlung; mir wird erwartet, daß der bemitteltere Fremde bei der Ab¬ reise einen entsprechenden Betrag in die Büchse um Thore steckt. Es war für uns ein eignes Gefühl, die Nacht in dem stillen Frieden dieses uralten Klosters zuzubringen, hoch über der Menschenwelt, von der kein Laut zu uns heraus¬ drang, nur die spärlichen Lichter der kleinen Stadt blitzten herauf, unter dem dunkeln, funkelnden Sternenhimmel des Südens. Noch stand das letzte Viertel des Mondes hoch am klaren Himmel, als ich am nächsten Morgen ans Fenster trat. Am Horizont lagen Wolkenstreifen, tief unten über dem weiten Thale eine dichte weiße Nebelschicht, sodaß es aus¬ sah wie ein großer Gebirgssee zwischen hohen, zackigen Bergrücken, aus dem hier und da ein niedrigerer Gipfel als vereinzelte dunkle Insel emporragte. Blaßblau zeichneten sich die Umrisse im Westen und Norden ab, dunkelblau im Osten, wo schon das feurige Morgenrot stand. Dann schwebte der Sonnen¬ ball strahlend empor, die grauen Wolkenstreifen wurden lichtweiß, im Thale begann der Nebel zu zerfließen, und dunkle Flecken traten heraus, bis die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/558>, abgerufen am 03.07.2024.