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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Was ist der Traum?

was ihnen durch den Kopf geht. Er schärft ihnen ein, gar keine Kritik zu üben
an den Vorstellungen und Bildern, die sich einstellen, nicht etwa das eine oder
das andre als zu unbedeutend oder zu unsinnig oder aus einem andern Grunde
zu verschweigen. Die Vorstellungen setzen sich gewöhnlich in Bilder um, und
es kommt nun darauf an, zwischen diesen Bildern und den jüngst vergangnen
und frühern Erlebnissen oder der willkürlichen Geistesthätigkeit dieser Personen
den Zusammenhang zu ermitteln, was ihm, wie er glaubt, durch Übung je
länger desto besser gelungen ist. Der Gedanke, daß die Träume auf ähnliche
Weise entstehn wie die Wahngebilde der Neurotiker, lag um so näher, da auch
der gesunde Mensch, wenn er in Zeiten der Ermüdung einmal zu denken auf¬
hört, namentlich im Bett vorm Einschlafen, von tranmartigen Gebilden heim¬
gesucht wird, die manchmal in wirkliche Träume übergehn, sodaß das Einschlafen
kein vom Bewußtsein festzustellender Abschnitt zwischen den beiden Zuständen
ist. Er läßt sich darum auch die Träume seiner Pfleglinge erzählen, achtet
auf seiue eignen Träume, schreibt sie auf und annlhsiert sie mit Rücksicht auf
die veranlassenden Tagesereignisse und auf die Stimmungen, Wünsche und
Absichten, die sich in ihnen ausdrücken. Eine Anzahl solcher Analysen hat er
in das Buch aufgenommen. Ich gebe nachstehend die eines seiner eignen Träume
wieder, den er selbst für besonders reich und charakteristisch hält, stark abgekürzt
natürlich, denn im Buche nimmt diese Analyse zwölf Seiten ein. Er hat eine
Dame, Irma, aus einer befreundeten Familie behandelt. Die Wahnvorstel¬
lungen sind beseitigt, aber noch nicht alle leiblichen Beschwerden. Die Kur
wird abgebrochen, und die Familie begiebt sich aufs Land. Ein Mißerfolg
oder nur halber Erfolg würde ihm doppelt unangenehm sein, weil er das
freundschaftliche Verhältnis gefährden könnte. Eines Tags kommt sein Freund
Otto aus Irmas Landaufenthalt und meldet: Es geht ihr besser, aber nicht
ganz gut. Aus dem Toi?, mit dem diese Worte gesprochen werden, glaubt er
einen Vorwurf herauszuhören. Er ärgert und beunruhigt sich und schreibt an
demselben Abend die Krankheitsgeschichte Irmas nieder, um sie einem gemein¬
samen Freunde, dein Dr. M, vorzulegen. In der Nacht darauf hat er den
Traum/") "Eine große Halle, viele Gäste, die Nur empfangen." Freud wohnte
in einem Hause, das früher ein Vergnügungslokal gewesen war, und gedachte
in den nächsten Tagen zum Geburtstage seiner Frau einige Freunde, darunter
Irmas Familie, einzuladen. "Unter ihnen Irma: ich nehme sie beiseite und
sage ihr: Wenn du noch Schmerzen hast, so ist es deine Schuld." Er hat
damals noch geglaubt -- was er später als Irrtum erkannte --, daß mit der
Auflösung der Wahnvorstellungen in ihre Elemente und mit der Annahme
dieser Lösung durch den Patienten die Heilung vollendet sei, und er schreibt
die mangelhafte Heilung Irmas dem Umstände zu, daß sie seine Lösung nicht
angenommen hat. "Sie antwortet: Wenn du wüßtest, was ich für Schmerzen



Um Raum zu sparen, erzähle ich den Traum nicht im Zusammenhange nach, sondern
setze hinter jedes durch Anführungszeichen kenntlich gemachte Traumstuck gleich die Erklärung.
Was ist der Traum?

was ihnen durch den Kopf geht. Er schärft ihnen ein, gar keine Kritik zu üben
an den Vorstellungen und Bildern, die sich einstellen, nicht etwa das eine oder
das andre als zu unbedeutend oder zu unsinnig oder aus einem andern Grunde
zu verschweigen. Die Vorstellungen setzen sich gewöhnlich in Bilder um, und
es kommt nun darauf an, zwischen diesen Bildern und den jüngst vergangnen
und frühern Erlebnissen oder der willkürlichen Geistesthätigkeit dieser Personen
den Zusammenhang zu ermitteln, was ihm, wie er glaubt, durch Übung je
länger desto besser gelungen ist. Der Gedanke, daß die Träume auf ähnliche
Weise entstehn wie die Wahngebilde der Neurotiker, lag um so näher, da auch
der gesunde Mensch, wenn er in Zeiten der Ermüdung einmal zu denken auf¬
hört, namentlich im Bett vorm Einschlafen, von tranmartigen Gebilden heim¬
gesucht wird, die manchmal in wirkliche Träume übergehn, sodaß das Einschlafen
kein vom Bewußtsein festzustellender Abschnitt zwischen den beiden Zuständen
ist. Er läßt sich darum auch die Träume seiner Pfleglinge erzählen, achtet
auf seiue eignen Träume, schreibt sie auf und annlhsiert sie mit Rücksicht auf
die veranlassenden Tagesereignisse und auf die Stimmungen, Wünsche und
Absichten, die sich in ihnen ausdrücken. Eine Anzahl solcher Analysen hat er
in das Buch aufgenommen. Ich gebe nachstehend die eines seiner eignen Träume
wieder, den er selbst für besonders reich und charakteristisch hält, stark abgekürzt
natürlich, denn im Buche nimmt diese Analyse zwölf Seiten ein. Er hat eine
Dame, Irma, aus einer befreundeten Familie behandelt. Die Wahnvorstel¬
lungen sind beseitigt, aber noch nicht alle leiblichen Beschwerden. Die Kur
wird abgebrochen, und die Familie begiebt sich aufs Land. Ein Mißerfolg
oder nur halber Erfolg würde ihm doppelt unangenehm sein, weil er das
freundschaftliche Verhältnis gefährden könnte. Eines Tags kommt sein Freund
Otto aus Irmas Landaufenthalt und meldet: Es geht ihr besser, aber nicht
ganz gut. Aus dem Toi?, mit dem diese Worte gesprochen werden, glaubt er
einen Vorwurf herauszuhören. Er ärgert und beunruhigt sich und schreibt an
demselben Abend die Krankheitsgeschichte Irmas nieder, um sie einem gemein¬
samen Freunde, dein Dr. M, vorzulegen. In der Nacht darauf hat er den
Traum/") „Eine große Halle, viele Gäste, die Nur empfangen." Freud wohnte
in einem Hause, das früher ein Vergnügungslokal gewesen war, und gedachte
in den nächsten Tagen zum Geburtstage seiner Frau einige Freunde, darunter
Irmas Familie, einzuladen. „Unter ihnen Irma: ich nehme sie beiseite und
sage ihr: Wenn du noch Schmerzen hast, so ist es deine Schuld." Er hat
damals noch geglaubt — was er später als Irrtum erkannte —, daß mit der
Auflösung der Wahnvorstellungen in ihre Elemente und mit der Annahme
dieser Lösung durch den Patienten die Heilung vollendet sei, und er schreibt
die mangelhafte Heilung Irmas dem Umstände zu, daß sie seine Lösung nicht
angenommen hat. „Sie antwortet: Wenn du wüßtest, was ich für Schmerzen



Um Raum zu sparen, erzähle ich den Traum nicht im Zusammenhange nach, sondern
setze hinter jedes durch Anführungszeichen kenntlich gemachte Traumstuck gleich die Erklärung.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/550>, abgerufen am 02.07.2024.