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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

Wünschte uns glückliche Reise und kam dann nochmals gelaufen, ehe er mit
seinem milden Rößlein nach Palestrina ins Nachtquartier abfuhr. Der Zug
von Neapel nahm sich Zeit; gemächlich kam die Diligenza von Palestrina an-
getrottet, ein paar Geschirre aus den benachbarten Orten brachten "Herrschaften,"
zwei stattliche Carabinieri hoch zu Roß, Pallasch und Revolver am Sattel,
saßen ab, und auf dem Bahnsteig bot ein Verkäufer dem anwachsenden Publikum
Wein und Früchte aus, hinter dem Albnnergebirge aber ging in Gold und
Purpur die Sonne unter, und die Sabincrberge hüllten sich in blaue Schatten-
So fuhren wir bei völliger Dunkelheit nach Rom hinein.

(Fortsetzung folgt)




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
von Fritz Anders Dritte Reihe
5. Auch ein Martyrium

farrsch-Max lag in dem hohen Grase der Amtswiese
>
! , die sich hinter
dem Pfarrgarten und nur durch einen Bach vom Garten getrennt
ausbreitete. Über den Bach führte eine Jndianerbrücke, die, von
Knabenhänden aus Stricken und Stangen gebaut, mehr dazu ge¬
eignet war, die Gefahr des Hineinfallens zu vermehren als zu ver¬
mindern. Am Wiesenrande standen alte Pappelwciden, und zwischen
diesen Bäumen war ein Wiesenwinkel, so heimlich und so weltfremd, wie je einer
das Entzücken eines Knaben gewesen ist. Und doch so voll Lebens! Hier webte
sich der Pfingstvogel ans hohen Zweigen sein Beutelnest, dort guckte ein Baum¬
läufer um die Ecke, dort schlüpften Blaumeisen schnell und vorsichtig in ihren
Höhlenbau. Hoch oben saß der Star und deklamierte und schlug mit den Flügeln
etwa so, wie ein Kandidat, der eine Predigt memoriert. Dort im Graben unter
einem Busche war ein Goldammernest, und hier stieß der Maulwurf seinen kleinen
Rüssel aus der Erde und nahm eine Nase voll Sommerluft, und dort spielten
Mücken und Libellen, und dort im Bach huschten Wasserratten von Ufer zu Ufer-
Hier also lag Pfarrsch-Max im Grase; das war sein Reich, hier herrschte er über
die Vogel unterm Himmel und die Tiere auf Erden, solange er nicht selbst von
dem gestrengen Herrn Vater und den unregelmäßigen Verden beherrscht wurde,
was leider täglich, und zwar an den besten Stunden des Tages, geschah. Wenn
er aber freigegeben war und sein Butterbrot verzehrt hatte, dann "schnürte" er nach
Art des Fuchses an den Dorf- und Buschrändern entlang, einen Sprenkel unter
der Jacke und ein Bündel in Papier gewickelte Leimruten im Ärmel und revidierte
sein Reich. Und wenn er seinen Rundgang beendet hatte, dann legte er sich ins
Gras und sah in die Wolken, die am blauen Himmel vorübersegelten, und gab
seinen Gedanken Audienz..

Pfarrsch-Max, komm mal ra--us, rief es auf der Straße jenseits des Gartens


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

Wünschte uns glückliche Reise und kam dann nochmals gelaufen, ehe er mit
seinem milden Rößlein nach Palestrina ins Nachtquartier abfuhr. Der Zug
von Neapel nahm sich Zeit; gemächlich kam die Diligenza von Palestrina an-
getrottet, ein paar Geschirre aus den benachbarten Orten brachten „Herrschaften,"
zwei stattliche Carabinieri hoch zu Roß, Pallasch und Revolver am Sattel,
saßen ab, und auf dem Bahnsteig bot ein Verkäufer dem anwachsenden Publikum
Wein und Früchte aus, hinter dem Albnnergebirge aber ging in Gold und
Purpur die Sonne unter, und die Sabincrberge hüllten sich in blaue Schatten-
So fuhren wir bei völliger Dunkelheit nach Rom hinein.

(Fortsetzung folgt)




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
von Fritz Anders Dritte Reihe
5. Auch ein Martyrium

farrsch-Max lag in dem hohen Grase der Amtswiese
>
! , die sich hinter
dem Pfarrgarten und nur durch einen Bach vom Garten getrennt
ausbreitete. Über den Bach führte eine Jndianerbrücke, die, von
Knabenhänden aus Stricken und Stangen gebaut, mehr dazu ge¬
eignet war, die Gefahr des Hineinfallens zu vermehren als zu ver¬
mindern. Am Wiesenrande standen alte Pappelwciden, und zwischen
diesen Bäumen war ein Wiesenwinkel, so heimlich und so weltfremd, wie je einer
das Entzücken eines Knaben gewesen ist. Und doch so voll Lebens! Hier webte
sich der Pfingstvogel ans hohen Zweigen sein Beutelnest, dort guckte ein Baum¬
läufer um die Ecke, dort schlüpften Blaumeisen schnell und vorsichtig in ihren
Höhlenbau. Hoch oben saß der Star und deklamierte und schlug mit den Flügeln
etwa so, wie ein Kandidat, der eine Predigt memoriert. Dort im Graben unter
einem Busche war ein Goldammernest, und hier stieß der Maulwurf seinen kleinen
Rüssel aus der Erde und nahm eine Nase voll Sommerluft, und dort spielten
Mücken und Libellen, und dort im Bach huschten Wasserratten von Ufer zu Ufer-
Hier also lag Pfarrsch-Max im Grase; das war sein Reich, hier herrschte er über
die Vogel unterm Himmel und die Tiere auf Erden, solange er nicht selbst von
dem gestrengen Herrn Vater und den unregelmäßigen Verden beherrscht wurde,
was leider täglich, und zwar an den besten Stunden des Tages, geschah. Wenn
er aber freigegeben war und sein Butterbrot verzehrt hatte, dann „schnürte" er nach
Art des Fuchses an den Dorf- und Buschrändern entlang, einen Sprenkel unter
der Jacke und ein Bündel in Papier gewickelte Leimruten im Ärmel und revidierte
sein Reich. Und wenn er seinen Rundgang beendet hatte, dann legte er sich ins
Gras und sah in die Wolken, die am blauen Himmel vorübersegelten, und gab
seinen Gedanken Audienz..

Pfarrsch-Max, komm mal ra—us, rief es auf der Straße jenseits des Gartens


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[0508] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Wünschte uns glückliche Reise und kam dann nochmals gelaufen, ehe er mit seinem milden Rößlein nach Palestrina ins Nachtquartier abfuhr. Der Zug von Neapel nahm sich Zeit; gemächlich kam die Diligenza von Palestrina an- getrottet, ein paar Geschirre aus den benachbarten Orten brachten „Herrschaften," zwei stattliche Carabinieri hoch zu Roß, Pallasch und Revolver am Sattel, saßen ab, und auf dem Bahnsteig bot ein Verkäufer dem anwachsenden Publikum Wein und Früchte aus, hinter dem Albnnergebirge aber ging in Gold und Purpur die Sonne unter, und die Sabincrberge hüllten sich in blaue Schatten- So fuhren wir bei völliger Dunkelheit nach Rom hinein. (Fortsetzung folgt) Skizzen aus unserm heutigen Volksleben von Fritz Anders Dritte Reihe 5. Auch ein Martyrium farrsch-Max lag in dem hohen Grase der Amtswiese > ! , die sich hinter dem Pfarrgarten und nur durch einen Bach vom Garten getrennt ausbreitete. Über den Bach führte eine Jndianerbrücke, die, von Knabenhänden aus Stricken und Stangen gebaut, mehr dazu ge¬ eignet war, die Gefahr des Hineinfallens zu vermehren als zu ver¬ mindern. Am Wiesenrande standen alte Pappelwciden, und zwischen diesen Bäumen war ein Wiesenwinkel, so heimlich und so weltfremd, wie je einer das Entzücken eines Knaben gewesen ist. Und doch so voll Lebens! Hier webte sich der Pfingstvogel ans hohen Zweigen sein Beutelnest, dort guckte ein Baum¬ läufer um die Ecke, dort schlüpften Blaumeisen schnell und vorsichtig in ihren Höhlenbau. Hoch oben saß der Star und deklamierte und schlug mit den Flügeln etwa so, wie ein Kandidat, der eine Predigt memoriert. Dort im Graben unter einem Busche war ein Goldammernest, und hier stieß der Maulwurf seinen kleinen Rüssel aus der Erde und nahm eine Nase voll Sommerluft, und dort spielten Mücken und Libellen, und dort im Bach huschten Wasserratten von Ufer zu Ufer- Hier also lag Pfarrsch-Max im Grase; das war sein Reich, hier herrschte er über die Vogel unterm Himmel und die Tiere auf Erden, solange er nicht selbst von dem gestrengen Herrn Vater und den unregelmäßigen Verden beherrscht wurde, was leider täglich, und zwar an den besten Stunden des Tages, geschah. Wenn er aber freigegeben war und sein Butterbrot verzehrt hatte, dann „schnürte" er nach Art des Fuchses an den Dorf- und Buschrändern entlang, einen Sprenkel unter der Jacke und ein Bündel in Papier gewickelte Leimruten im Ärmel und revidierte sein Reich. Und wenn er seinen Rundgang beendet hatte, dann legte er sich ins Gras und sah in die Wolken, die am blauen Himmel vorübersegelten, und gab seinen Gedanken Audienz.. Pfarrsch-Max, komm mal ra—us, rief es auf der Straße jenseits des Gartens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/508>, abgerufen am 04.07.2024.