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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Unser Landvolk und die An'che

Einzelne für eine politische Überzeugung hat. Er verlangt einfach Gehorsam
gegen die Gesetze, allerdings unter Androhung von Strafen. Strafen kann die
Kirche freilich nicht. Ader fie ist doch eine Einrichtung, die bei allen, was sie
auch sonst deuten und sagen mögen, Folgsamkeit verlangt. Man kann uoch
weiter gehn und behaupten, daß in dem Bewußtsein des Bauern Staat und
Kirche ineinander aufgehn, sich decken. Stellt nicht der Großherzog die Pfarrer
so gut wie die Beamten an? Und machen nicht die "Herren" alle Gesetze?
und macht nicht die Kirche so gut Geschäfte wie der Staat? und treibt nicht
die Kirche so gut wie der Staat ihre Steuern ein? Was wir gelernt haben
als das eigentliche Wesen der Kirche zu betrachten: die Gemeinschaft des
Glaubens im Sinne Luthers und der Augsburgischen Konfession, der ideale
Grundgedanke der neuern Kirchengesetzgebung, die ans eine bewußte persönliche
evangelische Erkenntnis und Überzeugung bei dem Einzelnen rechnet, das ist
noch lange nicht Gemeingut des evangelischen Volks, insbesondre nicht des
evangelischen Landvolks geworden. Für die Pietisten, die ihre zahlreichsten
Anhänger auf dem Lande haben, gilt das soeben Gesagte allerdings nicht. Die
Pietisten unterscheiden ja zwischen der Kirche, in der sich die "Welt" (auch der
Staat ist bloß Welt) breit macht, in der die "Ungläubigen" das große Wort
führen, und der engern Gemeinschaft der "Gläubigen," die sich im "Herrn"
erkennen. Aber für unsre Betrachtung dürfen wir wohl von diesen Pietisten
absehen. Erstens ist ihre Zahl verhältnismäßig gering. Sie steht im umge¬
kehrten Verhältnisse zu der Wichtigkeit, die ihnen da und dort, auch von
manchen Behörden und von einer gewissen kirchlichen Presse zugeschrieben wird.
Vor allen Dingen aber ist zu beachten, daß die pietistische Frömmigkeit nichts
Bäuerliches, nichts Volkstümliches an sich hat. Im Grnnde wird die religiöse
und die kirchliche Empfindungsweise des Bauern von dein pietistischen Wesen
gar nicht berührt.

Worin besteht die Frömmigkeit des Bauern? Nach dein bisherigen könnte
man beinahe vermuten, daß des Bauern Frömmigkeit eben darin besteht, daß
er sich auf irgend eine Weise mit der nun einmal vorhandnen Einrichtung der
Kirche abfindet. Ein solches Verhalten würden wir freilich nur mit Unrecht
als Frömmigkeit bezeichnen. Aber unser Bauer -- wir dürfen es mit aller
Offenheit und Entschiedenheit sagen -- ist im allgemeinen ein frommer Mensch!
">an würde ihm sicherlich Unrecht thun, wollte man ihm diese Anerkennung
versagen. Nur erwarte man nicht von ihm, daß er sich des Langen und
Breiten über seine Frömmigkeit ausspreche. Der Bauer ist an sich eine ver¬
schlossene Natur. Was ihn bewegt, sagt er nicht gern gerade heraus; er deutet
es lieber bloß an, er umschreibt es in irgend welchen Wendungen und erwartet
von seinem Partner, daß der ihn schon verstehn werde. So redet er auch nicht
von seinem innern religiösen Leben, von seiner Frvmnrigkeit. Das Wort:
fromm mag er überhaupt nicht, er legt ihm den Sinn des Frömmelnden unter.
Statt fromm sagt er: ordentlich oder allenfalls: christlich. Der und der ist
ein ordentlicher Mann heißt manchmal geradezu: er ist ein christlich gesinnter,


Unser Landvolk und die An'che

Einzelne für eine politische Überzeugung hat. Er verlangt einfach Gehorsam
gegen die Gesetze, allerdings unter Androhung von Strafen. Strafen kann die
Kirche freilich nicht. Ader fie ist doch eine Einrichtung, die bei allen, was sie
auch sonst deuten und sagen mögen, Folgsamkeit verlangt. Man kann uoch
weiter gehn und behaupten, daß in dem Bewußtsein des Bauern Staat und
Kirche ineinander aufgehn, sich decken. Stellt nicht der Großherzog die Pfarrer
so gut wie die Beamten an? Und machen nicht die „Herren" alle Gesetze?
und macht nicht die Kirche so gut Geschäfte wie der Staat? und treibt nicht
die Kirche so gut wie der Staat ihre Steuern ein? Was wir gelernt haben
als das eigentliche Wesen der Kirche zu betrachten: die Gemeinschaft des
Glaubens im Sinne Luthers und der Augsburgischen Konfession, der ideale
Grundgedanke der neuern Kirchengesetzgebung, die ans eine bewußte persönliche
evangelische Erkenntnis und Überzeugung bei dem Einzelnen rechnet, das ist
noch lange nicht Gemeingut des evangelischen Volks, insbesondre nicht des
evangelischen Landvolks geworden. Für die Pietisten, die ihre zahlreichsten
Anhänger auf dem Lande haben, gilt das soeben Gesagte allerdings nicht. Die
Pietisten unterscheiden ja zwischen der Kirche, in der sich die „Welt" (auch der
Staat ist bloß Welt) breit macht, in der die „Ungläubigen" das große Wort
führen, und der engern Gemeinschaft der „Gläubigen," die sich im „Herrn"
erkennen. Aber für unsre Betrachtung dürfen wir wohl von diesen Pietisten
absehen. Erstens ist ihre Zahl verhältnismäßig gering. Sie steht im umge¬
kehrten Verhältnisse zu der Wichtigkeit, die ihnen da und dort, auch von
manchen Behörden und von einer gewissen kirchlichen Presse zugeschrieben wird.
Vor allen Dingen aber ist zu beachten, daß die pietistische Frömmigkeit nichts
Bäuerliches, nichts Volkstümliches an sich hat. Im Grnnde wird die religiöse
und die kirchliche Empfindungsweise des Bauern von dein pietistischen Wesen
gar nicht berührt.

Worin besteht die Frömmigkeit des Bauern? Nach dein bisherigen könnte
man beinahe vermuten, daß des Bauern Frömmigkeit eben darin besteht, daß
er sich auf irgend eine Weise mit der nun einmal vorhandnen Einrichtung der
Kirche abfindet. Ein solches Verhalten würden wir freilich nur mit Unrecht
als Frömmigkeit bezeichnen. Aber unser Bauer — wir dürfen es mit aller
Offenheit und Entschiedenheit sagen — ist im allgemeinen ein frommer Mensch!
»>an würde ihm sicherlich Unrecht thun, wollte man ihm diese Anerkennung
versagen. Nur erwarte man nicht von ihm, daß er sich des Langen und
Breiten über seine Frömmigkeit ausspreche. Der Bauer ist an sich eine ver¬
schlossene Natur. Was ihn bewegt, sagt er nicht gern gerade heraus; er deutet
es lieber bloß an, er umschreibt es in irgend welchen Wendungen und erwartet
von seinem Partner, daß der ihn schon verstehn werde. So redet er auch nicht
von seinem innern religiösen Leben, von seiner Frvmnrigkeit. Das Wort:
fromm mag er überhaupt nicht, er legt ihm den Sinn des Frömmelnden unter.
Statt fromm sagt er: ordentlich oder allenfalls: christlich. Der und der ist
ein ordentlicher Mann heißt manchmal geradezu: er ist ein christlich gesinnter,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/480>, abgerufen am 02.07.2024.