Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vic deutsche Ivcltpolitik

Bürgerstaiid ist aus Gründen der politischen Geschichte mißtrauisch gegen Re¬
gierung und Krone, Er ist es seit dem Dreißigjährigen .Kriege gewohnt, daß
die deutschen Fürsten nur ihr dynastisches, absolutistisches Interesse und mit
ihm das ständische des Adels vertraten und die Mitwirkung der übrigen Be¬
völkerung ablehnten. Solche jahrhundertelangen Eindrücke lassen sich nicht
leicht aus der Volksseele verwischen, und so ist es auch verständlich, daß das
Wirken unsers Kaisers, der doch der bewußte Führer des deutschen Mittel¬
stands ist, noch immer nicht in den mittlern Bevölkeruugsschichten das nötige
Verständnis findet. Was ist es anders als Mittelstandspvlitik, wenn der
Kaiser mit dem Wort vom Brotwucher den Großgrundbesitz in seine Schranken
verwies; wenn er durch die Einleitung einer kräftigen Sozialpolitik den über¬
handnehmenden Einfluß des Großkapitals und der Großindustrie zurückwies;
wenn er den Terrorismus der Sozialdemokratie, die im Grunde doch nur eine
Partei der gewaltthätigen Faust ist, einzuschüchtern suchte, und wenn er schlie߬
lich durch Einleitung einer kräftigen Weltpvlitik für eine Erweiterung des
Arbeitsfeldes zu sorgen trachtet, die im wesentlichen der arbeitenden Intelligenz
des Mittelstands Früchte bringen soll. Überall sucht der Kaiser die Extreme
zurückzudrängen, die Klammern zu lösen, die die mittlern Volksklassen ein¬
engen, damit der Kern des Staats frei werde. Das ist auch nur im Sinne
der Weltpolitik.

Wenn die Erfolge der kaiserlichen Initiative nicht so groß sind, wie sie
sein sollten zum Segen unsers Staats, so liegt das daran, daß dem Gedanken
oft genug der ausführende Arm fehlt. Die Stützen, die Friedrich der Große
dem preußischen Staate gab, Heer und Verwaltung, reichen nicht mehr aus,
die Blüte des Reichs zu erhalten. Der Bureaukratismus war einst not¬
wendig, als es hieß, die verstreuten Provinzen, die die Hohenzollern in allen
Teilen Deutschlands durch Erbschaft oder Krieg ihrer Krone einverleibt hatten,
zu einem einheitlichen Staate zusammenzuschweißen. Jetzt sind die deutschen
Provinzen zu einem Reich zusnmmeugefügt, und das deutsche Volk hat be¬
gonnen, wenn auch langsam, sich mündig zu fühlen. Da ist es nötig, daß
der frische Hauch der neuen Zeit auch den Burcaukratismus aufrüttle, daß
aus den? Diener der Paragraphen, dem selbstherrlichen Volksvormuud, ein
Diener des Staats werde mit Verständnis für das, waS freie, weitschauende
Männer ersonnen haben zum Wohle der Gesamtheit. Das neue Leben, das
von der See her in die deutschen Lande strömt, fürchtet den Paragraphen-
und Buchstabendienst, und der knospende Baum des neuen Deutschlands zagt
nicht vor der Frühlingsstimme, aber er welkt unter dem Pcrnckenstanb, der
sich auf die jungen Triebe senkt.




Vic deutsche Ivcltpolitik

Bürgerstaiid ist aus Gründen der politischen Geschichte mißtrauisch gegen Re¬
gierung und Krone, Er ist es seit dem Dreißigjährigen .Kriege gewohnt, daß
die deutschen Fürsten nur ihr dynastisches, absolutistisches Interesse und mit
ihm das ständische des Adels vertraten und die Mitwirkung der übrigen Be¬
völkerung ablehnten. Solche jahrhundertelangen Eindrücke lassen sich nicht
leicht aus der Volksseele verwischen, und so ist es auch verständlich, daß das
Wirken unsers Kaisers, der doch der bewußte Führer des deutschen Mittel¬
stands ist, noch immer nicht in den mittlern Bevölkeruugsschichten das nötige
Verständnis findet. Was ist es anders als Mittelstandspvlitik, wenn der
Kaiser mit dem Wort vom Brotwucher den Großgrundbesitz in seine Schranken
verwies; wenn er durch die Einleitung einer kräftigen Sozialpolitik den über¬
handnehmenden Einfluß des Großkapitals und der Großindustrie zurückwies;
wenn er den Terrorismus der Sozialdemokratie, die im Grunde doch nur eine
Partei der gewaltthätigen Faust ist, einzuschüchtern suchte, und wenn er schlie߬
lich durch Einleitung einer kräftigen Weltpvlitik für eine Erweiterung des
Arbeitsfeldes zu sorgen trachtet, die im wesentlichen der arbeitenden Intelligenz
des Mittelstands Früchte bringen soll. Überall sucht der Kaiser die Extreme
zurückzudrängen, die Klammern zu lösen, die die mittlern Volksklassen ein¬
engen, damit der Kern des Staats frei werde. Das ist auch nur im Sinne
der Weltpolitik.

Wenn die Erfolge der kaiserlichen Initiative nicht so groß sind, wie sie
sein sollten zum Segen unsers Staats, so liegt das daran, daß dem Gedanken
oft genug der ausführende Arm fehlt. Die Stützen, die Friedrich der Große
dem preußischen Staate gab, Heer und Verwaltung, reichen nicht mehr aus,
die Blüte des Reichs zu erhalten. Der Bureaukratismus war einst not¬
wendig, als es hieß, die verstreuten Provinzen, die die Hohenzollern in allen
Teilen Deutschlands durch Erbschaft oder Krieg ihrer Krone einverleibt hatten,
zu einem einheitlichen Staate zusammenzuschweißen. Jetzt sind die deutschen
Provinzen zu einem Reich zusnmmeugefügt, und das deutsche Volk hat be¬
gonnen, wenn auch langsam, sich mündig zu fühlen. Da ist es nötig, daß
der frische Hauch der neuen Zeit auch den Burcaukratismus aufrüttle, daß
aus den? Diener der Paragraphen, dem selbstherrlichen Volksvormuud, ein
Diener des Staats werde mit Verständnis für das, waS freie, weitschauende
Männer ersonnen haben zum Wohle der Gesamtheit. Das neue Leben, das
von der See her in die deutschen Lande strömt, fürchtet den Paragraphen-
und Buchstabendienst, und der knospende Baum des neuen Deutschlands zagt
nicht vor der Frühlingsstimme, aber er welkt unter dem Pcrnckenstanb, der
sich auf die jungen Triebe senkt.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0446" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232998"/>
          <fw type="header" place="top"> Vic deutsche Ivcltpolitik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1462" prev="#ID_1461"> Bürgerstaiid ist aus Gründen der politischen Geschichte mißtrauisch gegen Re¬<lb/>
gierung und Krone, Er ist es seit dem Dreißigjährigen .Kriege gewohnt, daß<lb/>
die deutschen Fürsten nur ihr dynastisches, absolutistisches Interesse und mit<lb/>
ihm das ständische des Adels vertraten und die Mitwirkung der übrigen Be¬<lb/>
völkerung ablehnten. Solche jahrhundertelangen Eindrücke lassen sich nicht<lb/>
leicht aus der Volksseele verwischen, und so ist es auch verständlich, daß das<lb/>
Wirken unsers Kaisers, der doch der bewußte Führer des deutschen Mittel¬<lb/>
stands ist, noch immer nicht in den mittlern Bevölkeruugsschichten das nötige<lb/>
Verständnis findet. Was ist es anders als Mittelstandspvlitik, wenn der<lb/>
Kaiser mit dem Wort vom Brotwucher den Großgrundbesitz in seine Schranken<lb/>
verwies; wenn er durch die Einleitung einer kräftigen Sozialpolitik den über¬<lb/>
handnehmenden Einfluß des Großkapitals und der Großindustrie zurückwies;<lb/>
wenn er den Terrorismus der Sozialdemokratie, die im Grunde doch nur eine<lb/>
Partei der gewaltthätigen Faust ist, einzuschüchtern suchte, und wenn er schlie߬<lb/>
lich durch Einleitung einer kräftigen Weltpvlitik für eine Erweiterung des<lb/>
Arbeitsfeldes zu sorgen trachtet, die im wesentlichen der arbeitenden Intelligenz<lb/>
des Mittelstands Früchte bringen soll. Überall sucht der Kaiser die Extreme<lb/>
zurückzudrängen, die Klammern zu lösen, die die mittlern Volksklassen ein¬<lb/>
engen, damit der Kern des Staats frei werde. Das ist auch nur im Sinne<lb/>
der Weltpolitik.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1463"> Wenn die Erfolge der kaiserlichen Initiative nicht so groß sind, wie sie<lb/>
sein sollten zum Segen unsers Staats, so liegt das daran, daß dem Gedanken<lb/>
oft genug der ausführende Arm fehlt. Die Stützen, die Friedrich der Große<lb/>
dem preußischen Staate gab, Heer und Verwaltung, reichen nicht mehr aus,<lb/>
die Blüte des Reichs zu erhalten. Der Bureaukratismus war einst not¬<lb/>
wendig, als es hieß, die verstreuten Provinzen, die die Hohenzollern in allen<lb/>
Teilen Deutschlands durch Erbschaft oder Krieg ihrer Krone einverleibt hatten,<lb/>
zu einem einheitlichen Staate zusammenzuschweißen. Jetzt sind die deutschen<lb/>
Provinzen zu einem Reich zusnmmeugefügt, und das deutsche Volk hat be¬<lb/>
gonnen, wenn auch langsam, sich mündig zu fühlen. Da ist es nötig, daß<lb/>
der frische Hauch der neuen Zeit auch den Burcaukratismus aufrüttle, daß<lb/>
aus den? Diener der Paragraphen, dem selbstherrlichen Volksvormuud, ein<lb/>
Diener des Staats werde mit Verständnis für das, waS freie, weitschauende<lb/>
Männer ersonnen haben zum Wohle der Gesamtheit. Das neue Leben, das<lb/>
von der See her in die deutschen Lande strömt, fürchtet den Paragraphen-<lb/>
und Buchstabendienst, und der knospende Baum des neuen Deutschlands zagt<lb/>
nicht vor der Frühlingsstimme, aber er welkt unter dem Pcrnckenstanb, der<lb/>
sich auf die jungen Triebe senkt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0446] Vic deutsche Ivcltpolitik Bürgerstaiid ist aus Gründen der politischen Geschichte mißtrauisch gegen Re¬ gierung und Krone, Er ist es seit dem Dreißigjährigen .Kriege gewohnt, daß die deutschen Fürsten nur ihr dynastisches, absolutistisches Interesse und mit ihm das ständische des Adels vertraten und die Mitwirkung der übrigen Be¬ völkerung ablehnten. Solche jahrhundertelangen Eindrücke lassen sich nicht leicht aus der Volksseele verwischen, und so ist es auch verständlich, daß das Wirken unsers Kaisers, der doch der bewußte Führer des deutschen Mittel¬ stands ist, noch immer nicht in den mittlern Bevölkeruugsschichten das nötige Verständnis findet. Was ist es anders als Mittelstandspvlitik, wenn der Kaiser mit dem Wort vom Brotwucher den Großgrundbesitz in seine Schranken verwies; wenn er durch die Einleitung einer kräftigen Sozialpolitik den über¬ handnehmenden Einfluß des Großkapitals und der Großindustrie zurückwies; wenn er den Terrorismus der Sozialdemokratie, die im Grunde doch nur eine Partei der gewaltthätigen Faust ist, einzuschüchtern suchte, und wenn er schlie߬ lich durch Einleitung einer kräftigen Weltpvlitik für eine Erweiterung des Arbeitsfeldes zu sorgen trachtet, die im wesentlichen der arbeitenden Intelligenz des Mittelstands Früchte bringen soll. Überall sucht der Kaiser die Extreme zurückzudrängen, die Klammern zu lösen, die die mittlern Volksklassen ein¬ engen, damit der Kern des Staats frei werde. Das ist auch nur im Sinne der Weltpolitik. Wenn die Erfolge der kaiserlichen Initiative nicht so groß sind, wie sie sein sollten zum Segen unsers Staats, so liegt das daran, daß dem Gedanken oft genug der ausführende Arm fehlt. Die Stützen, die Friedrich der Große dem preußischen Staate gab, Heer und Verwaltung, reichen nicht mehr aus, die Blüte des Reichs zu erhalten. Der Bureaukratismus war einst not¬ wendig, als es hieß, die verstreuten Provinzen, die die Hohenzollern in allen Teilen Deutschlands durch Erbschaft oder Krieg ihrer Krone einverleibt hatten, zu einem einheitlichen Staate zusammenzuschweißen. Jetzt sind die deutschen Provinzen zu einem Reich zusnmmeugefügt, und das deutsche Volk hat be¬ gonnen, wenn auch langsam, sich mündig zu fühlen. Da ist es nötig, daß der frische Hauch der neuen Zeit auch den Burcaukratismus aufrüttle, daß aus den? Diener der Paragraphen, dem selbstherrlichen Volksvormuud, ein Diener des Staats werde mit Verständnis für das, waS freie, weitschauende Männer ersonnen haben zum Wohle der Gesamtheit. Das neue Leben, das von der See her in die deutschen Lande strömt, fürchtet den Paragraphen- und Buchstabendienst, und der knospende Baum des neuen Deutschlands zagt nicht vor der Frühlingsstimme, aber er welkt unter dem Pcrnckenstanb, der sich auf die jungen Triebe senkt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/446
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/446>, abgerufen am 04.07.2024.