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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Line Pilgerfahrt "ach Stratford am Avon

abgetönter Himmel darüber, ein leichter von den Wiesen herüberwehender Heu¬
duft -- ich stand lange an dieser Kirchhofmauer; als ich nach der Kirche zurück¬
kam, war der Gottesdienst schon zu Ende, und der Küster führte die Fremde"
umher und gab ihnen seine handwerksmäßigen Erklärungen über die gotischen
Ornamente, über die aus dem vierzehnten Jahrhundert stammenden Fenster
des Seitenschiffs, über den Altar und das von Amerikanern im Jahre 1885
gestiftete Uviuorikck ^Vuräinv. Ich dachte nur daran, daß vor dem Altarraum
Englands größter Geist und vielleicht das größte Genie ruht, das die Mensch¬
heit hervorgebracht hat.

Man Hütte seine Gebeine gern nach London in die Wcstminstcrkirche ge¬
schafft -- ein wahres Glück, daß er diesem Verhängnis durch seine Grabschrift
entgangen ist!'

Maki hat nicht gewagt, den Staub des Dichters zu berühren, und so ist sein
freundliches Heimatstädtchen seine Ruhestätte geblieben. Wir wissen, daß es
ihn immer wieder nach den heimatlichen Fluren hinzog, auch als er in London
zu hohem Ausehn und zu Reichtum gelangt war, und daß er dieser Sehnsucht
folgend die letzten Jahre seines Lebeus in Stratford zubrachte. Wer seine
Werte und die Kulturgeschichte seiner Zeit genauer kennt, der weiß, daß die
ganze Luft dieses Lnndstädtchens, die eigentümlichen Menschen, die idyllische
Landschaft, das weideuumwachsene Flüßchen, der von Linden umrauschte Fried¬
hof, der ganze Humor und die ganze Melancholie des Flachlandes auch in
allen seinen Werken wie unverwüstliche Jugenderinnerungen immer wieder auf¬
tauchen. Nur vier die Heimat des Dichters nie gesehen hat, kann aus den
wunderliche" Gedanken kommeu, daß ein Londoner Kind wie Francis Vaeon
der eigentliche Verfasser der Werke Shakespeares sei.

Links von der Grabplatte steht in die Mauer eingelassen die berühmte
Mvnnmentalbüste des Dichters, die wahrscheinlich von seinem Zeitgenossen
Gcrnrd Johnson vor dem Jahre 1623 angefertigt worden ist. Wülker bietet
in seiner bekannten Geschichte der englischen Litteratur von dieser Büste ein
farbiges Bild, das auch die Einzelheiten vortrefflich wiedergiebt. Unter der
Büste stehn vor einer englischen Inschrift die Verse:


.laclioio ^.ylimn, Äiorawm, art.o Narunom
'I'vint. tyUt, poxulu" navire, 01?in,no> Iiabst.

Rede" Shakespeare ruht sein Weib Anne Hathaway, deren Leben neben dem
großen Manne, wie einige Shakespcareforscher meinen, wohl mehr ein stilles
Dulden gewesen sein mag als ein stolzes Glück, aber die Seligkeit der Jugend¬
liebe haben sie mit ihre" leidenschaftlichen Herzen doch in vollen Zügen ge¬
nossen. Es ist natürlich, daß uns Deutschen gerade die Jugendliebe großer
Männer besonders fesselnd, lieb, rührend ist. Wieviel Deutsche sind schon


Line Pilgerfahrt »ach Stratford am Avon

abgetönter Himmel darüber, ein leichter von den Wiesen herüberwehender Heu¬
duft — ich stand lange an dieser Kirchhofmauer; als ich nach der Kirche zurück¬
kam, war der Gottesdienst schon zu Ende, und der Küster führte die Fremde»
umher und gab ihnen seine handwerksmäßigen Erklärungen über die gotischen
Ornamente, über die aus dem vierzehnten Jahrhundert stammenden Fenster
des Seitenschiffs, über den Altar und das von Amerikanern im Jahre 1885
gestiftete Uviuorikck ^Vuräinv. Ich dachte nur daran, daß vor dem Altarraum
Englands größter Geist und vielleicht das größte Genie ruht, das die Mensch¬
heit hervorgebracht hat.

Man Hütte seine Gebeine gern nach London in die Wcstminstcrkirche ge¬
schafft — ein wahres Glück, daß er diesem Verhängnis durch seine Grabschrift
entgangen ist!'

Maki hat nicht gewagt, den Staub des Dichters zu berühren, und so ist sein
freundliches Heimatstädtchen seine Ruhestätte geblieben. Wir wissen, daß es
ihn immer wieder nach den heimatlichen Fluren hinzog, auch als er in London
zu hohem Ausehn und zu Reichtum gelangt war, und daß er dieser Sehnsucht
folgend die letzten Jahre seines Lebeus in Stratford zubrachte. Wer seine
Werte und die Kulturgeschichte seiner Zeit genauer kennt, der weiß, daß die
ganze Luft dieses Lnndstädtchens, die eigentümlichen Menschen, die idyllische
Landschaft, das weideuumwachsene Flüßchen, der von Linden umrauschte Fried¬
hof, der ganze Humor und die ganze Melancholie des Flachlandes auch in
allen seinen Werken wie unverwüstliche Jugenderinnerungen immer wieder auf¬
tauchen. Nur vier die Heimat des Dichters nie gesehen hat, kann aus den
wunderliche» Gedanken kommeu, daß ein Londoner Kind wie Francis Vaeon
der eigentliche Verfasser der Werke Shakespeares sei.

Links von der Grabplatte steht in die Mauer eingelassen die berühmte
Mvnnmentalbüste des Dichters, die wahrscheinlich von seinem Zeitgenossen
Gcrnrd Johnson vor dem Jahre 1623 angefertigt worden ist. Wülker bietet
in seiner bekannten Geschichte der englischen Litteratur von dieser Büste ein
farbiges Bild, das auch die Einzelheiten vortrefflich wiedergiebt. Unter der
Büste stehn vor einer englischen Inschrift die Verse:


.laclioio ^.ylimn, Äiorawm, art.o Narunom
'I'vint. tyUt, poxulu» navire, 01?in,no> Iiabst.

Rede» Shakespeare ruht sein Weib Anne Hathaway, deren Leben neben dem
großen Manne, wie einige Shakespcareforscher meinen, wohl mehr ein stilles
Dulden gewesen sein mag als ein stolzes Glück, aber die Seligkeit der Jugend¬
liebe haben sie mit ihre» leidenschaftlichen Herzen doch in vollen Zügen ge¬
nossen. Es ist natürlich, daß uns Deutschen gerade die Jugendliebe großer
Männer besonders fesselnd, lieb, rührend ist. Wieviel Deutsche sind schon


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[0044] Line Pilgerfahrt »ach Stratford am Avon abgetönter Himmel darüber, ein leichter von den Wiesen herüberwehender Heu¬ duft — ich stand lange an dieser Kirchhofmauer; als ich nach der Kirche zurück¬ kam, war der Gottesdienst schon zu Ende, und der Küster führte die Fremde» umher und gab ihnen seine handwerksmäßigen Erklärungen über die gotischen Ornamente, über die aus dem vierzehnten Jahrhundert stammenden Fenster des Seitenschiffs, über den Altar und das von Amerikanern im Jahre 1885 gestiftete Uviuorikck ^Vuräinv. Ich dachte nur daran, daß vor dem Altarraum Englands größter Geist und vielleicht das größte Genie ruht, das die Mensch¬ heit hervorgebracht hat. Man Hütte seine Gebeine gern nach London in die Wcstminstcrkirche ge¬ schafft — ein wahres Glück, daß er diesem Verhängnis durch seine Grabschrift entgangen ist!' Maki hat nicht gewagt, den Staub des Dichters zu berühren, und so ist sein freundliches Heimatstädtchen seine Ruhestätte geblieben. Wir wissen, daß es ihn immer wieder nach den heimatlichen Fluren hinzog, auch als er in London zu hohem Ausehn und zu Reichtum gelangt war, und daß er dieser Sehnsucht folgend die letzten Jahre seines Lebeus in Stratford zubrachte. Wer seine Werte und die Kulturgeschichte seiner Zeit genauer kennt, der weiß, daß die ganze Luft dieses Lnndstädtchens, die eigentümlichen Menschen, die idyllische Landschaft, das weideuumwachsene Flüßchen, der von Linden umrauschte Fried¬ hof, der ganze Humor und die ganze Melancholie des Flachlandes auch in allen seinen Werken wie unverwüstliche Jugenderinnerungen immer wieder auf¬ tauchen. Nur vier die Heimat des Dichters nie gesehen hat, kann aus den wunderliche» Gedanken kommeu, daß ein Londoner Kind wie Francis Vaeon der eigentliche Verfasser der Werke Shakespeares sei. Links von der Grabplatte steht in die Mauer eingelassen die berühmte Mvnnmentalbüste des Dichters, die wahrscheinlich von seinem Zeitgenossen Gcrnrd Johnson vor dem Jahre 1623 angefertigt worden ist. Wülker bietet in seiner bekannten Geschichte der englischen Litteratur von dieser Büste ein farbiges Bild, das auch die Einzelheiten vortrefflich wiedergiebt. Unter der Büste stehn vor einer englischen Inschrift die Verse: .laclioio ^.ylimn, Äiorawm, art.o Narunom 'I'vint. tyUt, poxulu» navire, 01?in,no> Iiabst. Rede» Shakespeare ruht sein Weib Anne Hathaway, deren Leben neben dem großen Manne, wie einige Shakespcareforscher meinen, wohl mehr ein stilles Dulden gewesen sein mag als ein stolzes Glück, aber die Seligkeit der Jugend¬ liebe haben sie mit ihre» leidenschaftlichen Herzen doch in vollen Zügen ge¬ nossen. Es ist natürlich, daß uns Deutschen gerade die Jugendliebe großer Männer besonders fesselnd, lieb, rührend ist. Wieviel Deutsche sind schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/44>, abgerufen am 30.06.2024.