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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Sibiriens wirtschaftliche Bedeutung

konnte, ein Ende bereitet werden. Es ist dies um so notwendiger geworden,
als die im Jahre 1898 400 0l)<) Seelen zählende Einwandrnng geschlitzt und
befördert werden soll. Im ganzen beläuft sich die Bevölkerung Sibiriens auf
71/2 Millionen Seelen, darunter 2^ Millionen Eingeborne. Auffallend ist
das Überwiegen der männlichen Bevölkerung, in Wladiwostok um das sechs¬
fache, ein Umstand, der das Weib im Preise steigen läßt und zur Erhöhung
seiner Sittlichkeit nicht beiträgt. Die Beamten- und Soldatenfrauen sind denn
auch, wenn ihre Gatten aus dein ferner Osten mich Mütterchen Nußland zurück¬
kehren Wollen, sehr oft nicht zu bewegen, die koloniale Freiheit und Zügel-
losigkeit freiwillig aufzugeben.

Alles, was in frühern Jahren für die volkswirtschaftliche Entwicklung
Sibiriens, wenn von einer solchen überhaupt die Rede sein kann, gethan worden
ist, geschah planlos. Mau ging auf eine randartige Ausnutzung der sich zu¬
nächst bietenden Einnahmequellen und natürlichen Reichtümer aus und war
wenig bedacht, die durch Jäger, Händler und Beamte vermittelten geringen
Kenntnisse von Land und Leuten systematisch zu verwerten und zu erweitern.
Eine durch eingehende Untersuchungen der Natur und des Lebens in den ein¬
zelnen Landstrichen zu erwerbende Kenntnis des gnnzeu Landes ist aber eine
unerläßliche Vorbedingung für die Weiterentwicklung, die Zukunft Sibiriens.
Bisher durch die Ausdehnung und die zunächst wenig einladende Natur deS
größten Teils des Landes gehemmt, hat seit der Eröffnung der mittelsibirischeu
Bahn die praktisch-wissenschaftliche Forschung in Verbindung mit genauern
Landesaufnahmen eiuen mächtigen Aufschwung genommen. Durch das unter
dem Vorsitz des Kaisers arbeitende Komitee der sibirischen Eisenbahn eifrig be¬
fördert, liefert sie tagtäglich neue Beweise, daß dort unberechenbare Schätze im
Schoße der Erde ruhn, und weist die Wege zur sachgemäßen Ausbeutung der
natürlichen Reichtümer und zur Erhöhung der Ertragsfähigkeit des Grund und
Bodens.

Die früheste Einnahmequelle, die seinerzeit Jermak und seine wagelnstigett
Kosaken über den Ural gelockt hatte, der Ertrag der Jagd und Fischerei ist
freilich kaum einer weitem Stärkung fähig. Die gewissenlose Übervorteilung
der eingebornen, von der Jagd lebenden Völkerschaften beim Handel und die
in ihnen geweckte Begehrlichkeit hat sie zu einem Raubkrieg gegen die Pelz¬
tiere verleitet, der sogar eine allmähliche Ausrottung der kostbarem Arten be¬
fürchten läßt. Besonders im fernen Nordosten lassen amerikanische Gesell¬
schaften gegen wahrscheinlich derer bezahlte Handelsbriefe die Raubjagd durch
die Eingebornen ungehindert betreiben; die Nobbcnschlüchterei im Bcringsmcer
ist nur eine recht bezeichnende Äußerung amerikanischen Unternehmungsgeists
gegen die sibirische Tierwelt. Für die Jagd und Fischerei kommen mit Aus¬
nahme der verhältnismäßig wenigen, rein für die Bodenkultur gewonnenen



^) Ob es dazu kommt, erscheint zweifelhaft, nachdem sich die große Mehrzahl aller
^ouvernementsbehörde" dagegen ausgesprochen hat.
Sibiriens wirtschaftliche Bedeutung

konnte, ein Ende bereitet werden. Es ist dies um so notwendiger geworden,
als die im Jahre 1898 400 0l)<) Seelen zählende Einwandrnng geschlitzt und
befördert werden soll. Im ganzen beläuft sich die Bevölkerung Sibiriens auf
71/2 Millionen Seelen, darunter 2^ Millionen Eingeborne. Auffallend ist
das Überwiegen der männlichen Bevölkerung, in Wladiwostok um das sechs¬
fache, ein Umstand, der das Weib im Preise steigen läßt und zur Erhöhung
seiner Sittlichkeit nicht beiträgt. Die Beamten- und Soldatenfrauen sind denn
auch, wenn ihre Gatten aus dein ferner Osten mich Mütterchen Nußland zurück¬
kehren Wollen, sehr oft nicht zu bewegen, die koloniale Freiheit und Zügel-
losigkeit freiwillig aufzugeben.

Alles, was in frühern Jahren für die volkswirtschaftliche Entwicklung
Sibiriens, wenn von einer solchen überhaupt die Rede sein kann, gethan worden
ist, geschah planlos. Mau ging auf eine randartige Ausnutzung der sich zu¬
nächst bietenden Einnahmequellen und natürlichen Reichtümer aus und war
wenig bedacht, die durch Jäger, Händler und Beamte vermittelten geringen
Kenntnisse von Land und Leuten systematisch zu verwerten und zu erweitern.
Eine durch eingehende Untersuchungen der Natur und des Lebens in den ein¬
zelnen Landstrichen zu erwerbende Kenntnis des gnnzeu Landes ist aber eine
unerläßliche Vorbedingung für die Weiterentwicklung, die Zukunft Sibiriens.
Bisher durch die Ausdehnung und die zunächst wenig einladende Natur deS
größten Teils des Landes gehemmt, hat seit der Eröffnung der mittelsibirischeu
Bahn die praktisch-wissenschaftliche Forschung in Verbindung mit genauern
Landesaufnahmen eiuen mächtigen Aufschwung genommen. Durch das unter
dem Vorsitz des Kaisers arbeitende Komitee der sibirischen Eisenbahn eifrig be¬
fördert, liefert sie tagtäglich neue Beweise, daß dort unberechenbare Schätze im
Schoße der Erde ruhn, und weist die Wege zur sachgemäßen Ausbeutung der
natürlichen Reichtümer und zur Erhöhung der Ertragsfähigkeit des Grund und
Bodens.

Die früheste Einnahmequelle, die seinerzeit Jermak und seine wagelnstigett
Kosaken über den Ural gelockt hatte, der Ertrag der Jagd und Fischerei ist
freilich kaum einer weitem Stärkung fähig. Die gewissenlose Übervorteilung
der eingebornen, von der Jagd lebenden Völkerschaften beim Handel und die
in ihnen geweckte Begehrlichkeit hat sie zu einem Raubkrieg gegen die Pelz¬
tiere verleitet, der sogar eine allmähliche Ausrottung der kostbarem Arten be¬
fürchten läßt. Besonders im fernen Nordosten lassen amerikanische Gesell¬
schaften gegen wahrscheinlich derer bezahlte Handelsbriefe die Raubjagd durch
die Eingebornen ungehindert betreiben; die Nobbcnschlüchterei im Bcringsmcer
ist nur eine recht bezeichnende Äußerung amerikanischen Unternehmungsgeists
gegen die sibirische Tierwelt. Für die Jagd und Fischerei kommen mit Aus¬
nahme der verhältnismäßig wenigen, rein für die Bodenkultur gewonnenen



^) Ob es dazu kommt, erscheint zweifelhaft, nachdem sich die große Mehrzahl aller
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/430>, abgerufen am 04.07.2024.