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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Sibiriens wirtschaftliche Bedeutung

Areals anbaufähig zu werden. Vom Küstengelnet ist Ussuriland fast in seiner
ganzen Ausdehnung zur Besiedlung geeignet, wogegen die Insel Sachalin mir
wenige kulturfähige Strecken bietet. Die übrigen, um Ochotskischen Meere
liegenden Länder haben ebenso wie die wissenschaftlich so hoch interessante,
vulkanische Halbinsel Kanttschntka in wirtschaftlicher Beziehung vorläufig wenig
Zukunft, da ihr jetziger ganzer Wert in den Ertrügnissen der Jagd und Fischerei
liegt, und die Hebung ihrer mineralischen Schätze nur unter den größten Schwierig¬
keiten möglich sein wird.

Das Klima Sibircns ist durchaus kontinental und wird auch in den Landen
am Stillen Ozean durch keinen warmen Mecresstrom gemildert; im Gegenteil
trägt das Ochotskische Meer trotz seiner nicht allzu nördlichen Lage durchaus
den Charakter eines Polarmeeres und entsendet seine laltfeuchtcn, besonders
den Getreidebau so schädigenden Nebel über das ganze benachbarte Land. Hiervon
abgesehen zeigt Sibirien im allgemeinen große Gleichheit der klimatischen Ver¬
hältnisse, deshalb giebt die überaus geringe Zahl der meteorologischen Beob
achtnngcn doch ein annähernd richtiges Bild des Klimas. Von den vier Jahres¬
zeiten sind Frühjahr und Herbst meist regnerisch, der Sommer bringt trockne
Hitze, der Winter klare, schneidende Kälte und nur wenig Schnee. Die kältesten
Monate sind Dezember und Januar, in denen z. B. die Temperatur in dem
einen Kältepol darstellenden Ort Werchojnnsk ans das in Grönland beobachtete
Minimum von 58 Grad C. herabsinkt. April, der Monat des Wiedererwachens
der Natur, und Mai weisen schroffe Temperaturwechsel oft um 30 Grad C-
in vieruudzwciuzig Stunden auf. Die meiste" Ströme, auch der Baikalsee sind
vom Dezember bis April, je weiter nach Norden, desto länger und fester zu¬
gefroren.

Westsibirien, Ostsibirien und auch das Steppenland haben, je weiter nach
Osten, umso mehr, eine bedeutend niedrigere mittlere Jahrestemperatur, rauhere
Winter, einen stürkern Unterschied zwischen Sommer- und Wintertemperatur
und geringere Niederschläge, als Gegenden derselben Breite in Europa. Die
höhere Durchschuittstcmperatur der Vegetatiousmonate zeitigt aber doch eine
üppige Flora und kräftigen Baumwuchs und begünstigt den Ban fast aller
Getreidearten, soweit eben diese uach dem Klima noch reif werden könne".
Noch kontinentaler, d. h. kälter und im Sommer heißer und trockner stellt sich
das Klima vou Transbaikalien dar, ermöglicht aber unter der kräftigern Wir¬
kung der Sonnenstrahlung einer Flora das Gedeihen, die in Ost- und West¬
sibirien nicht fortkommen kann. Im Amur- und Küstengebiet fällt bei starker
Temperaturdifferenz zwischen Sommer und Winter mehr Feuchtigkeit, als selbst
in der Taigazvne von Ost- und Westsibirien? dieser Feiichtigkeitsnberschiiß, der
gerade in den Vcgetationsmonaten herabkommt und durch dichte Wälder und
hohes Gras festgehalten wird, macht das Land so neblig-feucht und sumpfig,
daß das Getreide vorerst nur in dem geschützten Amurthal und in einigen Neben-
thälern ausreifen kann und dabei uoch sehr häufig nnswnchst oder sich mit
einer gesundheitsschädlichen Pilzbildung überzieht. Je weiter nach Norden,


Sibiriens wirtschaftliche Bedeutung

Areals anbaufähig zu werden. Vom Küstengelnet ist Ussuriland fast in seiner
ganzen Ausdehnung zur Besiedlung geeignet, wogegen die Insel Sachalin mir
wenige kulturfähige Strecken bietet. Die übrigen, um Ochotskischen Meere
liegenden Länder haben ebenso wie die wissenschaftlich so hoch interessante,
vulkanische Halbinsel Kanttschntka in wirtschaftlicher Beziehung vorläufig wenig
Zukunft, da ihr jetziger ganzer Wert in den Ertrügnissen der Jagd und Fischerei
liegt, und die Hebung ihrer mineralischen Schätze nur unter den größten Schwierig¬
keiten möglich sein wird.

Das Klima Sibircns ist durchaus kontinental und wird auch in den Landen
am Stillen Ozean durch keinen warmen Mecresstrom gemildert; im Gegenteil
trägt das Ochotskische Meer trotz seiner nicht allzu nördlichen Lage durchaus
den Charakter eines Polarmeeres und entsendet seine laltfeuchtcn, besonders
den Getreidebau so schädigenden Nebel über das ganze benachbarte Land. Hiervon
abgesehen zeigt Sibirien im allgemeinen große Gleichheit der klimatischen Ver¬
hältnisse, deshalb giebt die überaus geringe Zahl der meteorologischen Beob
achtnngcn doch ein annähernd richtiges Bild des Klimas. Von den vier Jahres¬
zeiten sind Frühjahr und Herbst meist regnerisch, der Sommer bringt trockne
Hitze, der Winter klare, schneidende Kälte und nur wenig Schnee. Die kältesten
Monate sind Dezember und Januar, in denen z. B. die Temperatur in dem
einen Kältepol darstellenden Ort Werchojnnsk ans das in Grönland beobachtete
Minimum von 58 Grad C. herabsinkt. April, der Monat des Wiedererwachens
der Natur, und Mai weisen schroffe Temperaturwechsel oft um 30 Grad C-
in vieruudzwciuzig Stunden auf. Die meiste» Ströme, auch der Baikalsee sind
vom Dezember bis April, je weiter nach Norden, desto länger und fester zu¬
gefroren.

Westsibirien, Ostsibirien und auch das Steppenland haben, je weiter nach
Osten, umso mehr, eine bedeutend niedrigere mittlere Jahrestemperatur, rauhere
Winter, einen stürkern Unterschied zwischen Sommer- und Wintertemperatur
und geringere Niederschläge, als Gegenden derselben Breite in Europa. Die
höhere Durchschuittstcmperatur der Vegetatiousmonate zeitigt aber doch eine
üppige Flora und kräftigen Baumwuchs und begünstigt den Ban fast aller
Getreidearten, soweit eben diese uach dem Klima noch reif werden könne».
Noch kontinentaler, d. h. kälter und im Sommer heißer und trockner stellt sich
das Klima vou Transbaikalien dar, ermöglicht aber unter der kräftigern Wir¬
kung der Sonnenstrahlung einer Flora das Gedeihen, die in Ost- und West¬
sibirien nicht fortkommen kann. Im Amur- und Küstengebiet fällt bei starker
Temperaturdifferenz zwischen Sommer und Winter mehr Feuchtigkeit, als selbst
in der Taigazvne von Ost- und Westsibirien? dieser Feiichtigkeitsnberschiiß, der
gerade in den Vcgetationsmonaten herabkommt und durch dichte Wälder und
hohes Gras festgehalten wird, macht das Land so neblig-feucht und sumpfig,
daß das Getreide vorerst nur in dem geschützten Amurthal und in einigen Neben-
thälern ausreifen kann und dabei uoch sehr häufig nnswnchst oder sich mit
einer gesundheitsschädlichen Pilzbildung überzieht. Je weiter nach Norden,


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[0428] Sibiriens wirtschaftliche Bedeutung Areals anbaufähig zu werden. Vom Küstengelnet ist Ussuriland fast in seiner ganzen Ausdehnung zur Besiedlung geeignet, wogegen die Insel Sachalin mir wenige kulturfähige Strecken bietet. Die übrigen, um Ochotskischen Meere liegenden Länder haben ebenso wie die wissenschaftlich so hoch interessante, vulkanische Halbinsel Kanttschntka in wirtschaftlicher Beziehung vorläufig wenig Zukunft, da ihr jetziger ganzer Wert in den Ertrügnissen der Jagd und Fischerei liegt, und die Hebung ihrer mineralischen Schätze nur unter den größten Schwierig¬ keiten möglich sein wird. Das Klima Sibircns ist durchaus kontinental und wird auch in den Landen am Stillen Ozean durch keinen warmen Mecresstrom gemildert; im Gegenteil trägt das Ochotskische Meer trotz seiner nicht allzu nördlichen Lage durchaus den Charakter eines Polarmeeres und entsendet seine laltfeuchtcn, besonders den Getreidebau so schädigenden Nebel über das ganze benachbarte Land. Hiervon abgesehen zeigt Sibirien im allgemeinen große Gleichheit der klimatischen Ver¬ hältnisse, deshalb giebt die überaus geringe Zahl der meteorologischen Beob achtnngcn doch ein annähernd richtiges Bild des Klimas. Von den vier Jahres¬ zeiten sind Frühjahr und Herbst meist regnerisch, der Sommer bringt trockne Hitze, der Winter klare, schneidende Kälte und nur wenig Schnee. Die kältesten Monate sind Dezember und Januar, in denen z. B. die Temperatur in dem einen Kältepol darstellenden Ort Werchojnnsk ans das in Grönland beobachtete Minimum von 58 Grad C. herabsinkt. April, der Monat des Wiedererwachens der Natur, und Mai weisen schroffe Temperaturwechsel oft um 30 Grad C- in vieruudzwciuzig Stunden auf. Die meiste» Ströme, auch der Baikalsee sind vom Dezember bis April, je weiter nach Norden, desto länger und fester zu¬ gefroren. Westsibirien, Ostsibirien und auch das Steppenland haben, je weiter nach Osten, umso mehr, eine bedeutend niedrigere mittlere Jahrestemperatur, rauhere Winter, einen stürkern Unterschied zwischen Sommer- und Wintertemperatur und geringere Niederschläge, als Gegenden derselben Breite in Europa. Die höhere Durchschuittstcmperatur der Vegetatiousmonate zeitigt aber doch eine üppige Flora und kräftigen Baumwuchs und begünstigt den Ban fast aller Getreidearten, soweit eben diese uach dem Klima noch reif werden könne». Noch kontinentaler, d. h. kälter und im Sommer heißer und trockner stellt sich das Klima vou Transbaikalien dar, ermöglicht aber unter der kräftigern Wir¬ kung der Sonnenstrahlung einer Flora das Gedeihen, die in Ost- und West¬ sibirien nicht fortkommen kann. Im Amur- und Küstengebiet fällt bei starker Temperaturdifferenz zwischen Sommer und Winter mehr Feuchtigkeit, als selbst in der Taigazvne von Ost- und Westsibirien? dieser Feiichtigkeitsnberschiiß, der gerade in den Vcgetationsmonaten herabkommt und durch dichte Wälder und hohes Gras festgehalten wird, macht das Land so neblig-feucht und sumpfig, daß das Getreide vorerst nur in dem geschützten Amurthal und in einigen Neben- thälern ausreifen kann und dabei uoch sehr häufig nnswnchst oder sich mit einer gesundheitsschädlichen Pilzbildung überzieht. Je weiter nach Norden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/428>, abgerufen am 04.07.2024.