Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Eine Pilgerfahrt nach Stratford am Avon

gespielt? fragte mich einmal ein Junge in einem Städtchen Hinterpommerns,
und es war dein frischen, rotwangiger Jungen gar nicht recht, als ich die
Frage verneinte. Wie wenig Kinderspiele werden bei Goethe genannt. Wie
anders ist das bei Shakespeare, Selbst das heute zu einer Tollwut gewordne
Fußballspiel kommt schon bei ihm vor. Dn niederträchtiger Fußballspieler l.^on
bg.8s took-halt planer), ruft Kent dem Oswald in König Lear zu (I, 4); und
wie oft mag der junge William selbst auf der Gasse lenz inne insn's nrorris,
das im Sommernachtstraum erwähnt wird fil, 2), mit ander" lustigen Burschen
gespielt habe" oder das Kegelspiel (g,t loMg-es), das Hamlet in den Sinn
kommt, als er den Totengräber mit den Gebeinen so harmlos wirtschaften sieht.

Der Weg führte mich nach der Grammnr School, wo Shakespeare als
.Knabe nach Johnsons Meinung "ein bischen Latein und noch lveniger Griechisch"
gelernt hat. Ein Musterschüler wird der junge William nicht gewesen sein!
es paßt wohl auch auf ihn, was Jacques in Wie es euch gefällt in der be¬
rühmten Philosophie über die sieben Lebensalter sagt: "Dann kommt der
weinerliche Schuljunge mit seinem Bücherränzel, das Gesicht morgenfrisch ge¬
waschen und kriecht wie eine Schnecke unwillig zur Schule." Wir wissen auch,
daß Shakespeare von der Schulweisheit blutwenig hält, und daß ihm ein
Mensch mit einem selbständigen Gedanken mehr gilt als ein aufgeblasener
Wiederkäuer von andrer Lenes Gedanken. Der im toten Formelkram lebende
Pedant und der dünkelhafte selbstgerechte Schulmeister spielen bei ihm traurige
Rollen. Wie mag er sich als Schnljnnge über diesen oder jenen Lehrer ge¬
freut haben, der die reine Sprache durch dialektische Verzerrungen und Be¬
tonungen "rißhandelte. Es ist wohl nicht bloßer Zufall, daß er in den
lustigen Weibern von Windsor den Schuljuugeu William auftreten läßt und
ihn durch den im wallisischen Dialekt redenden Prediger und Schulmeister
Evans in der lateinischen Grammatik prüfen läßt.

Ich denke an diese heitre Szene und sehe den Wilhelm die Treppe in
der alten Grnmmatikschule herunterpoltern und wie ein Sausewind die Chapel-
street dahinjagen nach Hause oder, was wohl wahrscheinlicher ist, rechts
hinunter nach den Wiesen am Avon. Ich sehe, wie er seine Angelrute ans
dem alten Weidenstumpf am Wasser hervorholt, den Stein nebenan umdreht,
darunter den frischen Regenwurm faßt und ihn an den Angelhaken steckt. Er
kennt das behagliche, angenehm aufregende Anglerglück; denn was Heros Kammer-
frau in Viel Lärmen um Nichts sagt, mochte er oft empfunden haben:


Die Lust beim Angeln ist, sehn, wie der Fisch
Den Silberstrom mit goldnen Rudern teilt.
Den tückschen Haken gierig zu verschlingen.

Aber ich lasse Jung Wilhelm um Ufer hinteren Weidenbusch sitzen und gehe
die 'Wg.tcirsiäö hinunter nach dein merkwürdigen Bauwerk, das im Jahre
1879 zur Erinnerung an den Dichter errichtet wurde: ?luz LÜÄksLvöN'ö
Nsruorml KMäinM, Der Stil erinnert sehr an Richters Ankersteinbankasten,

s


Eine Pilgerfahrt nach Stratford am Avon

gespielt? fragte mich einmal ein Junge in einem Städtchen Hinterpommerns,
und es war dein frischen, rotwangiger Jungen gar nicht recht, als ich die
Frage verneinte. Wie wenig Kinderspiele werden bei Goethe genannt. Wie
anders ist das bei Shakespeare, Selbst das heute zu einer Tollwut gewordne
Fußballspiel kommt schon bei ihm vor. Dn niederträchtiger Fußballspieler l.^on
bg.8s took-halt planer), ruft Kent dem Oswald in König Lear zu (I, 4); und
wie oft mag der junge William selbst auf der Gasse lenz inne insn's nrorris,
das im Sommernachtstraum erwähnt wird fil, 2), mit ander» lustigen Burschen
gespielt habe» oder das Kegelspiel (g,t loMg-es), das Hamlet in den Sinn
kommt, als er den Totengräber mit den Gebeinen so harmlos wirtschaften sieht.

Der Weg führte mich nach der Grammnr School, wo Shakespeare als
.Knabe nach Johnsons Meinung „ein bischen Latein und noch lveniger Griechisch"
gelernt hat. Ein Musterschüler wird der junge William nicht gewesen sein!
es paßt wohl auch auf ihn, was Jacques in Wie es euch gefällt in der be¬
rühmten Philosophie über die sieben Lebensalter sagt: „Dann kommt der
weinerliche Schuljunge mit seinem Bücherränzel, das Gesicht morgenfrisch ge¬
waschen und kriecht wie eine Schnecke unwillig zur Schule." Wir wissen auch,
daß Shakespeare von der Schulweisheit blutwenig hält, und daß ihm ein
Mensch mit einem selbständigen Gedanken mehr gilt als ein aufgeblasener
Wiederkäuer von andrer Lenes Gedanken. Der im toten Formelkram lebende
Pedant und der dünkelhafte selbstgerechte Schulmeister spielen bei ihm traurige
Rollen. Wie mag er sich als Schnljnnge über diesen oder jenen Lehrer ge¬
freut haben, der die reine Sprache durch dialektische Verzerrungen und Be¬
tonungen »rißhandelte. Es ist wohl nicht bloßer Zufall, daß er in den
lustigen Weibern von Windsor den Schuljuugeu William auftreten läßt und
ihn durch den im wallisischen Dialekt redenden Prediger und Schulmeister
Evans in der lateinischen Grammatik prüfen läßt.

Ich denke an diese heitre Szene und sehe den Wilhelm die Treppe in
der alten Grnmmatikschule herunterpoltern und wie ein Sausewind die Chapel-
street dahinjagen nach Hause oder, was wohl wahrscheinlicher ist, rechts
hinunter nach den Wiesen am Avon. Ich sehe, wie er seine Angelrute ans
dem alten Weidenstumpf am Wasser hervorholt, den Stein nebenan umdreht,
darunter den frischen Regenwurm faßt und ihn an den Angelhaken steckt. Er
kennt das behagliche, angenehm aufregende Anglerglück; denn was Heros Kammer-
frau in Viel Lärmen um Nichts sagt, mochte er oft empfunden haben:


Die Lust beim Angeln ist, sehn, wie der Fisch
Den Silberstrom mit goldnen Rudern teilt.
Den tückschen Haken gierig zu verschlingen.

Aber ich lasse Jung Wilhelm um Ufer hinteren Weidenbusch sitzen und gehe
die 'Wg.tcirsiäö hinunter nach dein merkwürdigen Bauwerk, das im Jahre
1879 zur Erinnerung an den Dichter errichtet wurde: ?luz LÜÄksLvöN'ö
Nsruorml KMäinM, Der Stil erinnert sehr an Richters Ankersteinbankasten,

s


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232594"/>
          <fw type="header" place="top"> Eine Pilgerfahrt nach Stratford am Avon</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_105" prev="#ID_104"> gespielt? fragte mich einmal ein Junge in einem Städtchen Hinterpommerns,<lb/>
und es war dein frischen, rotwangiger Jungen gar nicht recht, als ich die<lb/>
Frage verneinte. Wie wenig Kinderspiele werden bei Goethe genannt. Wie<lb/>
anders ist das bei Shakespeare, Selbst das heute zu einer Tollwut gewordne<lb/>
Fußballspiel kommt schon bei ihm vor. Dn niederträchtiger Fußballspieler l.^on<lb/>
bg.8s took-halt planer), ruft Kent dem Oswald in König Lear zu (I, 4); und<lb/>
wie oft mag der junge William selbst auf der Gasse lenz inne insn's nrorris,<lb/>
das im Sommernachtstraum erwähnt wird fil, 2), mit ander» lustigen Burschen<lb/>
gespielt habe» oder das Kegelspiel (g,t loMg-es), das Hamlet in den Sinn<lb/>
kommt, als er den Totengräber mit den Gebeinen so harmlos wirtschaften sieht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_106"> Der Weg führte mich nach der Grammnr School, wo Shakespeare als<lb/>
.Knabe nach Johnsons Meinung &#x201E;ein bischen Latein und noch lveniger Griechisch"<lb/>
gelernt hat. Ein Musterschüler wird der junge William nicht gewesen sein!<lb/>
es paßt wohl auch auf ihn, was Jacques in Wie es euch gefällt in der be¬<lb/>
rühmten Philosophie über die sieben Lebensalter sagt: &#x201E;Dann kommt der<lb/>
weinerliche Schuljunge mit seinem Bücherränzel, das Gesicht morgenfrisch ge¬<lb/>
waschen und kriecht wie eine Schnecke unwillig zur Schule." Wir wissen auch,<lb/>
daß Shakespeare von der Schulweisheit blutwenig hält, und daß ihm ein<lb/>
Mensch mit einem selbständigen Gedanken mehr gilt als ein aufgeblasener<lb/>
Wiederkäuer von andrer Lenes Gedanken. Der im toten Formelkram lebende<lb/>
Pedant und der dünkelhafte selbstgerechte Schulmeister spielen bei ihm traurige<lb/>
Rollen. Wie mag er sich als Schnljnnge über diesen oder jenen Lehrer ge¬<lb/>
freut haben, der die reine Sprache durch dialektische Verzerrungen und Be¬<lb/>
tonungen »rißhandelte. Es ist wohl nicht bloßer Zufall, daß er in den<lb/>
lustigen Weibern von Windsor den Schuljuugeu William auftreten läßt und<lb/>
ihn durch den im wallisischen Dialekt redenden Prediger und Schulmeister<lb/>
Evans in der lateinischen Grammatik prüfen läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_107"> Ich denke an diese heitre Szene und sehe den Wilhelm die Treppe in<lb/>
der alten Grnmmatikschule herunterpoltern und wie ein Sausewind die Chapel-<lb/>
street dahinjagen nach Hause oder, was wohl wahrscheinlicher ist, rechts<lb/>
hinunter nach den Wiesen am Avon. Ich sehe, wie er seine Angelrute ans<lb/>
dem alten Weidenstumpf am Wasser hervorholt, den Stein nebenan umdreht,<lb/>
darunter den frischen Regenwurm faßt und ihn an den Angelhaken steckt. Er<lb/>
kennt das behagliche, angenehm aufregende Anglerglück; denn was Heros Kammer-<lb/>
frau in Viel Lärmen um Nichts sagt, mochte er oft empfunden haben:</p><lb/>
          <quote> Die Lust beim Angeln ist, sehn, wie der Fisch<lb/>
Den Silberstrom mit goldnen Rudern teilt.<lb/>
Den tückschen Haken gierig zu verschlingen.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_108"> Aber ich lasse Jung Wilhelm um Ufer hinteren Weidenbusch sitzen und gehe<lb/>
die 'Wg.tcirsiäö hinunter nach dein merkwürdigen Bauwerk, das im Jahre<lb/>
1879 zur Erinnerung an den Dichter errichtet wurde: ?luz LÜÄksLvöN'ö<lb/>
Nsruorml KMäinM, Der Stil erinnert sehr an Richters Ankersteinbankasten,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_109" next="#ID_110"> s</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0042] Eine Pilgerfahrt nach Stratford am Avon gespielt? fragte mich einmal ein Junge in einem Städtchen Hinterpommerns, und es war dein frischen, rotwangiger Jungen gar nicht recht, als ich die Frage verneinte. Wie wenig Kinderspiele werden bei Goethe genannt. Wie anders ist das bei Shakespeare, Selbst das heute zu einer Tollwut gewordne Fußballspiel kommt schon bei ihm vor. Dn niederträchtiger Fußballspieler l.^on bg.8s took-halt planer), ruft Kent dem Oswald in König Lear zu (I, 4); und wie oft mag der junge William selbst auf der Gasse lenz inne insn's nrorris, das im Sommernachtstraum erwähnt wird fil, 2), mit ander» lustigen Burschen gespielt habe» oder das Kegelspiel (g,t loMg-es), das Hamlet in den Sinn kommt, als er den Totengräber mit den Gebeinen so harmlos wirtschaften sieht. Der Weg führte mich nach der Grammnr School, wo Shakespeare als .Knabe nach Johnsons Meinung „ein bischen Latein und noch lveniger Griechisch" gelernt hat. Ein Musterschüler wird der junge William nicht gewesen sein! es paßt wohl auch auf ihn, was Jacques in Wie es euch gefällt in der be¬ rühmten Philosophie über die sieben Lebensalter sagt: „Dann kommt der weinerliche Schuljunge mit seinem Bücherränzel, das Gesicht morgenfrisch ge¬ waschen und kriecht wie eine Schnecke unwillig zur Schule." Wir wissen auch, daß Shakespeare von der Schulweisheit blutwenig hält, und daß ihm ein Mensch mit einem selbständigen Gedanken mehr gilt als ein aufgeblasener Wiederkäuer von andrer Lenes Gedanken. Der im toten Formelkram lebende Pedant und der dünkelhafte selbstgerechte Schulmeister spielen bei ihm traurige Rollen. Wie mag er sich als Schnljnnge über diesen oder jenen Lehrer ge¬ freut haben, der die reine Sprache durch dialektische Verzerrungen und Be¬ tonungen »rißhandelte. Es ist wohl nicht bloßer Zufall, daß er in den lustigen Weibern von Windsor den Schuljuugeu William auftreten läßt und ihn durch den im wallisischen Dialekt redenden Prediger und Schulmeister Evans in der lateinischen Grammatik prüfen läßt. Ich denke an diese heitre Szene und sehe den Wilhelm die Treppe in der alten Grnmmatikschule herunterpoltern und wie ein Sausewind die Chapel- street dahinjagen nach Hause oder, was wohl wahrscheinlicher ist, rechts hinunter nach den Wiesen am Avon. Ich sehe, wie er seine Angelrute ans dem alten Weidenstumpf am Wasser hervorholt, den Stein nebenan umdreht, darunter den frischen Regenwurm faßt und ihn an den Angelhaken steckt. Er kennt das behagliche, angenehm aufregende Anglerglück; denn was Heros Kammer- frau in Viel Lärmen um Nichts sagt, mochte er oft empfunden haben: Die Lust beim Angeln ist, sehn, wie der Fisch Den Silberstrom mit goldnen Rudern teilt. Den tückschen Haken gierig zu verschlingen. Aber ich lasse Jung Wilhelm um Ufer hinteren Weidenbusch sitzen und gehe die 'Wg.tcirsiäö hinunter nach dein merkwürdigen Bauwerk, das im Jahre 1879 zur Erinnerung an den Dichter errichtet wurde: ?luz LÜÄksLvöN'ö Nsruorml KMäinM, Der Stil erinnert sehr an Richters Ankersteinbankasten, s

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/42
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/42>, abgerufen am 30.06.2024.