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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Herbstbilder aus Italien

verluden, nur flachen Sandstrande der Bucht nach Nettmw hin standen zahl¬
reiche Badeanstalten und spielten die Kinder, Hier ziehn sich noch die Reste
der Neronischen Hafendümme, mächtige Tuffblöcke, weit in die See hinaus. Das
blaue Meer rollte seine Schaumwellen über den weichen Sand und warf kleine
Muscheln aus, als ich an Strande entlang nach Nettuno hinging, gerade
wie um unsrer Ostsee, aber neben den Muscheln lagen auch Marmorbruch¬
stücke, und Land, Meer und Himmel strahlten in einem Glänze, wie bei uns
höchstens an besonders schönen Sommertagen, Blendendweiß schimmerten die
dicht nueinandergedrängten Häuser des nahen Nettuuo herüber, weit in der
Ferne ragte das hohe Kap von Cireeji bei Terrneina in schroffen Wänden
ans der blauen Flut, und links, den flachen Strand scharf begrenzend, stiegen
die zerrissenen gelben Küstenfelscu senkrecht empor, droben üppige Gärten um
Weiße Villen, hier und dort stachlige Opuntien (Feigenkaktus) und riesige
Agaven, die schon ganze Hecken bildeten. Es war doch der ganze Süden und
die brennende Sonne des Südens! Da ein zernagter Felsenvorsprung den
weitern Strandweg bald versperrte, stieg ich nach der Straße hinauf, die oben
zwischen Gärten und Villen längs der Eisenbahn in einer guten halben Stunde
nach Nettnno führt. Dann und wann gab eine Lücke in dem dichten Pflanzen¬
wuchs oder ein Vorsprung der Küste den Blick aufs Meer frei, auf die
mit Felstrümmern übersäten Gestade und die jetzt im flachen Strandwasser
liegenden Grundmauern römischer Villen, die sich, mit Kryptogamen überwuchert,
deutlich in dem durchsichtig klaren Wasser abheben. Kurz vor Nettuuo hörten
die Gärten aus, und an der verfallnen "Festung" vorüber, die Papst Ale¬
xander VI. hier für seinen Sohn Rodrigo Borgia auf dem hohen Küstenfelseu
gebaut hat, einem Backsteinviereck mit runden Eckbastiouen, erreichte ich das
Städtchen, wo die Osteria Campana Schutz vor der heißen Mittngssonue, ein
kühles, schattiges Speisezimmer und gute Verpflegung bot.

Nettuno, nach einem Neptunstempcl genaunt, ist ein unbedeutendes, ärm¬
liches Städtchen mit engen, schmutzigen Gassen und schlechtgchaltnen Häusern,
Auf der Pinzza wurden irdenes Geschirr, Gemüse, Obst und dergleichen feil¬
geboten, und mehr schlendernd als tausend trieb sich das Publikum dazwischen
herum, darunter auch Offiziere in eleganter Uniform, Draußen vor der Stadt, wo
die Straße sich leicht senkend weiter läuft nach Astura zu, war es ganz einsam;
denn obwohl der Italiener die Schönheiten seines Landes zu schätzen weiß, am
Sonntag wird er doch der schönsten Aussicht den Rücken kehren und lieber
^igarettenrauchend vor dem Kaffeehause sitzen oder, die Hände in den Hosen¬
taschen, auf seiner Piazza nmherstehn. Und doch war der Blick da draußen
herrlich: in weitem Bogen zieht sich der Strand nach Osten, darüber der dunkle
Streifen des Küstenwalds, am Ende der berühmte Turm von Astura, der Rest
der Jnselburg, in der 1268 der verräterische Frangipani den unglücklichen
Konrndin von Hohenstaufen seinen erbarmungslosen Verfolgern auslieferte, die
ihn zur Hinrichtung nach Neapel schleppten; weit jenseits, durch eine ferner-
^egende, kaum sichtbare Strandlinie mit Astura verbunden, von Westen langsam


Herbstbilder aus Italien

verluden, nur flachen Sandstrande der Bucht nach Nettmw hin standen zahl¬
reiche Badeanstalten und spielten die Kinder, Hier ziehn sich noch die Reste
der Neronischen Hafendümme, mächtige Tuffblöcke, weit in die See hinaus. Das
blaue Meer rollte seine Schaumwellen über den weichen Sand und warf kleine
Muscheln aus, als ich an Strande entlang nach Nettuno hinging, gerade
wie um unsrer Ostsee, aber neben den Muscheln lagen auch Marmorbruch¬
stücke, und Land, Meer und Himmel strahlten in einem Glänze, wie bei uns
höchstens an besonders schönen Sommertagen, Blendendweiß schimmerten die
dicht nueinandergedrängten Häuser des nahen Nettuuo herüber, weit in der
Ferne ragte das hohe Kap von Cireeji bei Terrneina in schroffen Wänden
ans der blauen Flut, und links, den flachen Strand scharf begrenzend, stiegen
die zerrissenen gelben Küstenfelscu senkrecht empor, droben üppige Gärten um
Weiße Villen, hier und dort stachlige Opuntien (Feigenkaktus) und riesige
Agaven, die schon ganze Hecken bildeten. Es war doch der ganze Süden und
die brennende Sonne des Südens! Da ein zernagter Felsenvorsprung den
weitern Strandweg bald versperrte, stieg ich nach der Straße hinauf, die oben
zwischen Gärten und Villen längs der Eisenbahn in einer guten halben Stunde
nach Nettnno führt. Dann und wann gab eine Lücke in dem dichten Pflanzen¬
wuchs oder ein Vorsprung der Küste den Blick aufs Meer frei, auf die
mit Felstrümmern übersäten Gestade und die jetzt im flachen Strandwasser
liegenden Grundmauern römischer Villen, die sich, mit Kryptogamen überwuchert,
deutlich in dem durchsichtig klaren Wasser abheben. Kurz vor Nettuuo hörten
die Gärten aus, und an der verfallnen „Festung" vorüber, die Papst Ale¬
xander VI. hier für seinen Sohn Rodrigo Borgia auf dem hohen Küstenfelseu
gebaut hat, einem Backsteinviereck mit runden Eckbastiouen, erreichte ich das
Städtchen, wo die Osteria Campana Schutz vor der heißen Mittngssonue, ein
kühles, schattiges Speisezimmer und gute Verpflegung bot.

Nettuno, nach einem Neptunstempcl genaunt, ist ein unbedeutendes, ärm¬
liches Städtchen mit engen, schmutzigen Gassen und schlechtgchaltnen Häusern,
Auf der Pinzza wurden irdenes Geschirr, Gemüse, Obst und dergleichen feil¬
geboten, und mehr schlendernd als tausend trieb sich das Publikum dazwischen
herum, darunter auch Offiziere in eleganter Uniform, Draußen vor der Stadt, wo
die Straße sich leicht senkend weiter läuft nach Astura zu, war es ganz einsam;
denn obwohl der Italiener die Schönheiten seines Landes zu schätzen weiß, am
Sonntag wird er doch der schönsten Aussicht den Rücken kehren und lieber
^igarettenrauchend vor dem Kaffeehause sitzen oder, die Hände in den Hosen¬
taschen, auf seiner Piazza nmherstehn. Und doch war der Blick da draußen
herrlich: in weitem Bogen zieht sich der Strand nach Osten, darüber der dunkle
Streifen des Küstenwalds, am Ende der berühmte Turm von Astura, der Rest
der Jnselburg, in der 1268 der verräterische Frangipani den unglücklichen
Konrndin von Hohenstaufen seinen erbarmungslosen Verfolgern auslieferte, die
ihn zur Hinrichtung nach Neapel schleppten; weit jenseits, durch eine ferner-
^egende, kaum sichtbare Strandlinie mit Astura verbunden, von Westen langsam


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[0403] Herbstbilder aus Italien verluden, nur flachen Sandstrande der Bucht nach Nettmw hin standen zahl¬ reiche Badeanstalten und spielten die Kinder, Hier ziehn sich noch die Reste der Neronischen Hafendümme, mächtige Tuffblöcke, weit in die See hinaus. Das blaue Meer rollte seine Schaumwellen über den weichen Sand und warf kleine Muscheln aus, als ich an Strande entlang nach Nettuno hinging, gerade wie um unsrer Ostsee, aber neben den Muscheln lagen auch Marmorbruch¬ stücke, und Land, Meer und Himmel strahlten in einem Glänze, wie bei uns höchstens an besonders schönen Sommertagen, Blendendweiß schimmerten die dicht nueinandergedrängten Häuser des nahen Nettuuo herüber, weit in der Ferne ragte das hohe Kap von Cireeji bei Terrneina in schroffen Wänden ans der blauen Flut, und links, den flachen Strand scharf begrenzend, stiegen die zerrissenen gelben Küstenfelscu senkrecht empor, droben üppige Gärten um Weiße Villen, hier und dort stachlige Opuntien (Feigenkaktus) und riesige Agaven, die schon ganze Hecken bildeten. Es war doch der ganze Süden und die brennende Sonne des Südens! Da ein zernagter Felsenvorsprung den weitern Strandweg bald versperrte, stieg ich nach der Straße hinauf, die oben zwischen Gärten und Villen längs der Eisenbahn in einer guten halben Stunde nach Nettnno führt. Dann und wann gab eine Lücke in dem dichten Pflanzen¬ wuchs oder ein Vorsprung der Küste den Blick aufs Meer frei, auf die mit Felstrümmern übersäten Gestade und die jetzt im flachen Strandwasser liegenden Grundmauern römischer Villen, die sich, mit Kryptogamen überwuchert, deutlich in dem durchsichtig klaren Wasser abheben. Kurz vor Nettuuo hörten die Gärten aus, und an der verfallnen „Festung" vorüber, die Papst Ale¬ xander VI. hier für seinen Sohn Rodrigo Borgia auf dem hohen Küstenfelseu gebaut hat, einem Backsteinviereck mit runden Eckbastiouen, erreichte ich das Städtchen, wo die Osteria Campana Schutz vor der heißen Mittngssonue, ein kühles, schattiges Speisezimmer und gute Verpflegung bot. Nettuno, nach einem Neptunstempcl genaunt, ist ein unbedeutendes, ärm¬ liches Städtchen mit engen, schmutzigen Gassen und schlechtgchaltnen Häusern, Auf der Pinzza wurden irdenes Geschirr, Gemüse, Obst und dergleichen feil¬ geboten, und mehr schlendernd als tausend trieb sich das Publikum dazwischen herum, darunter auch Offiziere in eleganter Uniform, Draußen vor der Stadt, wo die Straße sich leicht senkend weiter läuft nach Astura zu, war es ganz einsam; denn obwohl der Italiener die Schönheiten seines Landes zu schätzen weiß, am Sonntag wird er doch der schönsten Aussicht den Rücken kehren und lieber ^igarettenrauchend vor dem Kaffeehause sitzen oder, die Hände in den Hosen¬ taschen, auf seiner Piazza nmherstehn. Und doch war der Blick da draußen herrlich: in weitem Bogen zieht sich der Strand nach Osten, darüber der dunkle Streifen des Küstenwalds, am Ende der berühmte Turm von Astura, der Rest der Jnselburg, in der 1268 der verräterische Frangipani den unglücklichen Konrndin von Hohenstaufen seinen erbarmungslosen Verfolgern auslieferte, die ihn zur Hinrichtung nach Neapel schleppten; weit jenseits, durch eine ferner- ^egende, kaum sichtbare Strandlinie mit Astura verbunden, von Westen langsam

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/403>, abgerufen am 04.07.2024.