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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Line Pilgerfahrt nach Stratfm'd am Avon

in der Geschichte Englands so denkwürdigen Schlosses. Wieder ändert der Zug
seine Richtung und fährt nnn nach Süde" durch weite liebliche Amen an
einzelnen Farmer und Dörfern vorbei, die fast versteckt hinter breNüst'gen Ulmen
und dichten Weidenstränchern liegen. Hier find wir auf dem Schauplatz, wo
Shakespeare seiue Jugend verlebt hat, in der freundlichen Landschaft von
Warwick, die schon der xosta Imireatus DraNton in seiner merkwürdigen
Poetische" Geographie ?o^-01öl-)n (London, 16ni) als t.Ko ne-rrt, ol KnFl-nrci
bezeichnet. Und ivcn.i es wahr ist. daß niemand, am wenigsten ein großer
Künstler, über die Eindrücke aus seiner Jugendzeit hinwegkommt, so mußte sich
anch in Sheakespeares Werken nuiucheS finden, was nnr aus der audschaft-
lichen lUngebung seiner Jugendzeit zu erklären wäre. Diesen Nachweis hat
denn auch schon der englische Gelehrte W. I. Rolfe in seinem Buche: Amlce-
sx^rs etre Lo^ (London. Chatto und Windus, 1897) zu führen versucht, leider
aber in so wenig befriedigender Weise, daß mau uur wünschen kann, en, deutscher
Shakespearekenner möchte diese Beziehungen Shakespeares zu der Landschaft vou
Warivick einmal gründlich darstellen.

^^.,.Wer diese Gegenden durchstreift hat, dem ist es verständlich, daß Shakespeare
niemals heroische Landschafte.i schildert, daß Gebirgsszenen nirgends bei ihm
vorkommen, daß er es aber wunderbar versteht, die ganze Poesie der Auen¬
landschaft mit alleu ihren Reizen in seine Dichtungen zu weben; er ist der
Dichter der Tiefebne mit ihren flimmernden .Heiden, ihren schattigen Laub¬
wäldern, ihren vou Weiden umsäumten Niederungen. Aus dieser Umgebung
nimmt er seiue treffenden Bilder: "Im brachen Feld, so heißt es in Heinrich
dem Fünften, hat Lolch und Schierling nud das geile Erdrauch sich einge¬
nistet, weil die Pflugschar rostet, die solches Wucherkraut entwurzeln sollte. Me
ebne Wiese lieblich sonst bedeckt mit bunten Primel", Pimpernell und Klee, die
Sichel "uffe"d. üppig. oh"e Zucht, wird müßig schwanger. nud gelneret nchts
als schlechte" Ampfer, rauhe Disteln. Kletten, um Schönheit lo,e um Nutzbar¬
keit gebracht. Wie unser Wein nun. Brandland, Wiese". Hecken durch fehler¬
haften Trieb zur Wildnis arten, so haben wir samt unsern, Hans nud Kindern
verlernt, und lernen nicht, weil Muße fehlt, die Wissenschaften, unser Land zu
zieren." Auch heute noch kaun man ans den Strntforder Wesen alle die
Blumen und Unkräuter finden, die Shakespeare oft mit so schelmischen oder
ernsten Hintergedanken zur Charakteristik seiner Gestalten verwendet. Der un¬
glückliche Lear erscheint auf freiem Felde:


Bekränzt mit wildem Erdrauch, Windcnranken,
Mit Kletten, Schierling, Nesseln, Kuckucksblumen,
Und allem müßgen Unkraut, das da wächst
Im nährenden Weizen.

Alle diese Pflanze" wachse" natürlich auch jetzt noch auf den Feldern um
Stratford. nnr der Weizen nicht, der aus England verschwunden zu sein scheint,
denn ich habe diese Getreideart auf allen meine" Streifzüge" nicht zu sehen be-


Line Pilgerfahrt nach Stratfm'd am Avon

in der Geschichte Englands so denkwürdigen Schlosses. Wieder ändert der Zug
seine Richtung und fährt nnn nach Süde» durch weite liebliche Amen an
einzelnen Farmer und Dörfern vorbei, die fast versteckt hinter breNüst'gen Ulmen
und dichten Weidenstränchern liegen. Hier find wir auf dem Schauplatz, wo
Shakespeare seiue Jugend verlebt hat, in der freundlichen Landschaft von
Warwick, die schon der xosta Imireatus DraNton in seiner merkwürdigen
Poetische» Geographie ?o^-01öl-)n (London, 16ni) als t.Ko ne-rrt, ol KnFl-nrci
bezeichnet. Und ivcn.i es wahr ist. daß niemand, am wenigsten ein großer
Künstler, über die Eindrücke aus seiner Jugendzeit hinwegkommt, so mußte sich
anch in Sheakespeares Werken nuiucheS finden, was nnr aus der audschaft-
lichen lUngebung seiner Jugendzeit zu erklären wäre. Diesen Nachweis hat
denn auch schon der englische Gelehrte W. I. Rolfe in seinem Buche: Amlce-
sx^rs etre Lo^ (London. Chatto und Windus, 1897) zu führen versucht, leider
aber in so wenig befriedigender Weise, daß mau uur wünschen kann, en, deutscher
Shakespearekenner möchte diese Beziehungen Shakespeares zu der Landschaft vou
Warivick einmal gründlich darstellen.

^^.,.Wer diese Gegenden durchstreift hat, dem ist es verständlich, daß Shakespeare
niemals heroische Landschafte.i schildert, daß Gebirgsszenen nirgends bei ihm
vorkommen, daß er es aber wunderbar versteht, die ganze Poesie der Auen¬
landschaft mit alleu ihren Reizen in seine Dichtungen zu weben; er ist der
Dichter der Tiefebne mit ihren flimmernden .Heiden, ihren schattigen Laub¬
wäldern, ihren vou Weiden umsäumten Niederungen. Aus dieser Umgebung
nimmt er seiue treffenden Bilder: „Im brachen Feld, so heißt es in Heinrich
dem Fünften, hat Lolch und Schierling nud das geile Erdrauch sich einge¬
nistet, weil die Pflugschar rostet, die solches Wucherkraut entwurzeln sollte. Me
ebne Wiese lieblich sonst bedeckt mit bunten Primel», Pimpernell und Klee, die
Sichel »uffe»d. üppig. oh»e Zucht, wird müßig schwanger. nud gelneret nchts
als schlechte» Ampfer, rauhe Disteln. Kletten, um Schönheit lo,e um Nutzbar¬
keit gebracht. Wie unser Wein nun. Brandland, Wiese». Hecken durch fehler¬
haften Trieb zur Wildnis arten, so haben wir samt unsern, Hans nud Kindern
verlernt, und lernen nicht, weil Muße fehlt, die Wissenschaften, unser Land zu
zieren." Auch heute noch kaun man ans den Strntforder Wesen alle die
Blumen und Unkräuter finden, die Shakespeare oft mit so schelmischen oder
ernsten Hintergedanken zur Charakteristik seiner Gestalten verwendet. Der un¬
glückliche Lear erscheint auf freiem Felde:


Bekränzt mit wildem Erdrauch, Windcnranken,
Mit Kletten, Schierling, Nesseln, Kuckucksblumen,
Und allem müßgen Unkraut, das da wächst
Im nährenden Weizen.

Alle diese Pflanze» wachse» natürlich auch jetzt noch auf den Feldern um
Stratford. nnr der Weizen nicht, der aus England verschwunden zu sein scheint,
denn ich habe diese Getreideart auf allen meine» Streifzüge» nicht zu sehen be-


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[0037] Line Pilgerfahrt nach Stratfm'd am Avon in der Geschichte Englands so denkwürdigen Schlosses. Wieder ändert der Zug seine Richtung und fährt nnn nach Süde» durch weite liebliche Amen an einzelnen Farmer und Dörfern vorbei, die fast versteckt hinter breNüst'gen Ulmen und dichten Weidenstränchern liegen. Hier find wir auf dem Schauplatz, wo Shakespeare seiue Jugend verlebt hat, in der freundlichen Landschaft von Warwick, die schon der xosta Imireatus DraNton in seiner merkwürdigen Poetische» Geographie ?o^-01öl-)n (London, 16ni) als t.Ko ne-rrt, ol KnFl-nrci bezeichnet. Und ivcn.i es wahr ist. daß niemand, am wenigsten ein großer Künstler, über die Eindrücke aus seiner Jugendzeit hinwegkommt, so mußte sich anch in Sheakespeares Werken nuiucheS finden, was nnr aus der audschaft- lichen lUngebung seiner Jugendzeit zu erklären wäre. Diesen Nachweis hat denn auch schon der englische Gelehrte W. I. Rolfe in seinem Buche: Amlce- sx^rs etre Lo^ (London. Chatto und Windus, 1897) zu führen versucht, leider aber in so wenig befriedigender Weise, daß mau uur wünschen kann, en, deutscher Shakespearekenner möchte diese Beziehungen Shakespeares zu der Landschaft vou Warivick einmal gründlich darstellen. ^^.,.Wer diese Gegenden durchstreift hat, dem ist es verständlich, daß Shakespeare niemals heroische Landschafte.i schildert, daß Gebirgsszenen nirgends bei ihm vorkommen, daß er es aber wunderbar versteht, die ganze Poesie der Auen¬ landschaft mit alleu ihren Reizen in seine Dichtungen zu weben; er ist der Dichter der Tiefebne mit ihren flimmernden .Heiden, ihren schattigen Laub¬ wäldern, ihren vou Weiden umsäumten Niederungen. Aus dieser Umgebung nimmt er seiue treffenden Bilder: „Im brachen Feld, so heißt es in Heinrich dem Fünften, hat Lolch und Schierling nud das geile Erdrauch sich einge¬ nistet, weil die Pflugschar rostet, die solches Wucherkraut entwurzeln sollte. Me ebne Wiese lieblich sonst bedeckt mit bunten Primel», Pimpernell und Klee, die Sichel »uffe»d. üppig. oh»e Zucht, wird müßig schwanger. nud gelneret nchts als schlechte» Ampfer, rauhe Disteln. Kletten, um Schönheit lo,e um Nutzbar¬ keit gebracht. Wie unser Wein nun. Brandland, Wiese». Hecken durch fehler¬ haften Trieb zur Wildnis arten, so haben wir samt unsern, Hans nud Kindern verlernt, und lernen nicht, weil Muße fehlt, die Wissenschaften, unser Land zu zieren." Auch heute noch kaun man ans den Strntforder Wesen alle die Blumen und Unkräuter finden, die Shakespeare oft mit so schelmischen oder ernsten Hintergedanken zur Charakteristik seiner Gestalten verwendet. Der un¬ glückliche Lear erscheint auf freiem Felde: Bekränzt mit wildem Erdrauch, Windcnranken, Mit Kletten, Schierling, Nesseln, Kuckucksblumen, Und allem müßgen Unkraut, das da wächst Im nährenden Weizen. Alle diese Pflanze» wachse» natürlich auch jetzt noch auf den Feldern um Stratford. nnr der Weizen nicht, der aus England verschwunden zu sein scheint, denn ich habe diese Getreideart auf allen meine» Streifzüge» nicht zu sehen be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/37>, abgerufen am 30.06.2024.