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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Line Pilgerfahrt nach Stratford am Avon

kannten Bleichwiese mit dem "schlammigen Graben nicht weit von der Themse,'
in den die schelmische Fran Flut den liebestollen Falstaff aus dem Wäschekorb
werfen läßt. .Ich wäre ertrunken, so erzählt der feiste Ritter seinem treuen
Bardolph im Gasthofe zum Hosenbaude, wäre nicht das Ufer seicht und sandig
gewesen; ein Tod, den ich verabscheue! Denn das Wasser schwellt den Menschen
auf; und was für eine Figur wäre aus nur geworden, wenn ich ins Schwellen
geraten wäre? Ich wäre ein Gebirq von einer Mumie geworden!" Hier ni
der Nähe von Datchet stand much die große Eiche des sagenhaften Jägers Herue,
der mit einem Hirschgeweih auf dem Kopfe in der Nacht durch deu Wiudsor-
wald streifte und allen abergläubischen Leuten ein Schrecken war.^ ^n der
Verkleidung als Jäger 5,erne erwartet Falstaff die augeschwürmte ^ran Flut,
aber wieder treibt man mit ihm Narrenspossen. bis er einsteht, "welch ein
Hanswurst ans dem Verstände werden kann, wenn er auf verbotnen Wegen
schleicht." ,

Hinter Slough erscheinen über den Laubkronen des WindsorparW die
altersgrauen Türme und Zinnen des Schlosses. Das frische Grün der Wiesen,
die von Erlen und Weidenbüschen begrenzt werden, und die kühlere etwcn-
fenchte Luft verraten uns, daß wir uns immer mehr dein Ufer der Themse
nähern; in dem hübsch liegenden Städtchen Maidenhend überschreiten wir den
Nuß und eilen min an der linken Seite weiter nach Westen, während er eme
Schleife nach Norden macht. In Reading, der vonn^-wnu von Berkshire,
kommen wir wieder in die Nähe der Themse. Ich merkte auch aus der Unter-
haltung der Mitreisenden, daß wir uns dem Bannkreise der Universität Oxford
näherten, denn in Reading liegt dicht am Bahnhof ein wichtiges Institut, das
ihr angegliedert ist: das Umvsrsiv Lxtsu8i<in volles. Mit Befremden horte
'es, daß die Engländer von dieser Einrichtung keine sehr hohe Meinung haben;
die Popularisierung der Wissenschaft erklärte ein älterer Herr, dem man den
weitgereisten, weltcrfahrnen Kaufmann bald anmerkte, für a Sörnmn nouss^s
Ich Protestierte natürlich dagegen und erzählte, daß wir Deutschen diesen Versuch
idealer Volksbeglückung erst von Amerika und England übernommen hatten

Nun. und was haben Sie für Erfolge in Deutschland? fragte einer der
Herren, ohne die qualmende kurze Pfeife aus dem Munde zu nehme", ^es
mußte leider zugeben, daß sich auch bei uns die Arbeiter den Vorträgen gegen¬
über ziemlich ablehnend verhielten; was sie nicht praktisch nützen könnten, sei
ihnen eine tote Last. Und doch sei es wichtig, daß unsern Fabrikarbeitern
Wieder der Sinn für das Ganze gegeben werde, der ihnen durch die Teilung
der Arbeit völlig verloren gehe. ' Der intelligente Arbeiter habe keine rechte
Freude an seiner Stückarbeit.' die Schablone mache ihn zu einem geistig elenden
Menschen; man müsse ihn aus dem Maschinendasein Herausheben, und dazu
sei doch wohl die Univsrsit^ Lxtsnsicm oder, wie wir es nennten, die Hoch-
schulvortrüge berufen. Es sei kein schlechter Gedanke, die intelligenten, aber
unbefriedigten Arbeiter um den Bestrebungen und Erfolgen der Wissenschaften
und der Künste teilnehmen zu lassen.


Line Pilgerfahrt nach Stratford am Avon

kannten Bleichwiese mit dem „schlammigen Graben nicht weit von der Themse,'
in den die schelmische Fran Flut den liebestollen Falstaff aus dem Wäschekorb
werfen läßt. .Ich wäre ertrunken, so erzählt der feiste Ritter seinem treuen
Bardolph im Gasthofe zum Hosenbaude, wäre nicht das Ufer seicht und sandig
gewesen; ein Tod, den ich verabscheue! Denn das Wasser schwellt den Menschen
auf; und was für eine Figur wäre aus nur geworden, wenn ich ins Schwellen
geraten wäre? Ich wäre ein Gebirq von einer Mumie geworden!" Hier ni
der Nähe von Datchet stand much die große Eiche des sagenhaften Jägers Herue,
der mit einem Hirschgeweih auf dem Kopfe in der Nacht durch deu Wiudsor-
wald streifte und allen abergläubischen Leuten ein Schrecken war.^ ^n der
Verkleidung als Jäger 5,erne erwartet Falstaff die augeschwürmte ^ran Flut,
aber wieder treibt man mit ihm Narrenspossen. bis er einsteht, „welch ein
Hanswurst ans dem Verstände werden kann, wenn er auf verbotnen Wegen
schleicht." ,

Hinter Slough erscheinen über den Laubkronen des WindsorparW die
altersgrauen Türme und Zinnen des Schlosses. Das frische Grün der Wiesen,
die von Erlen und Weidenbüschen begrenzt werden, und die kühlere etwcn-
fenchte Luft verraten uns, daß wir uns immer mehr dein Ufer der Themse
nähern; in dem hübsch liegenden Städtchen Maidenhend überschreiten wir den
Nuß und eilen min an der linken Seite weiter nach Westen, während er eme
Schleife nach Norden macht. In Reading, der vonn^-wnu von Berkshire,
kommen wir wieder in die Nähe der Themse. Ich merkte auch aus der Unter-
haltung der Mitreisenden, daß wir uns dem Bannkreise der Universität Oxford
näherten, denn in Reading liegt dicht am Bahnhof ein wichtiges Institut, das
ihr angegliedert ist: das Umvsrsiv Lxtsu8i<in volles. Mit Befremden horte
'es, daß die Engländer von dieser Einrichtung keine sehr hohe Meinung haben;
die Popularisierung der Wissenschaft erklärte ein älterer Herr, dem man den
weitgereisten, weltcrfahrnen Kaufmann bald anmerkte, für a Sörnmn nouss^s
Ich Protestierte natürlich dagegen und erzählte, daß wir Deutschen diesen Versuch
idealer Volksbeglückung erst von Amerika und England übernommen hatten

Nun. und was haben Sie für Erfolge in Deutschland? fragte einer der
Herren, ohne die qualmende kurze Pfeife aus dem Munde zu nehme», ^es
mußte leider zugeben, daß sich auch bei uns die Arbeiter den Vorträgen gegen¬
über ziemlich ablehnend verhielten; was sie nicht praktisch nützen könnten, sei
ihnen eine tote Last. Und doch sei es wichtig, daß unsern Fabrikarbeitern
Wieder der Sinn für das Ganze gegeben werde, der ihnen durch die Teilung
der Arbeit völlig verloren gehe. ' Der intelligente Arbeiter habe keine rechte
Freude an seiner Stückarbeit.' die Schablone mache ihn zu einem geistig elenden
Menschen; man müsse ihn aus dem Maschinendasein Herausheben, und dazu
sei doch wohl die Univsrsit^ Lxtsnsicm oder, wie wir es nennten, die Hoch-
schulvortrüge berufen. Es sei kein schlechter Gedanke, die intelligenten, aber
unbefriedigten Arbeiter um den Bestrebungen und Erfolgen der Wissenschaften
und der Künste teilnehmen zu lassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/35>, abgerufen am 30.06.2024.