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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Line Pilgerfahrt nach Ktratford am Avon

Verpachtung nicht einverstanden ist. Dieser unnatürliche Zustand ist für eine
freie Entwicklung der Privatarchitektur in England geradezu verhängnisvoll.
Aber auch die englische Landschaft mit ihren auf die Dauer schou einförmig
wirkenden Wiesenflücheu verliert durch die schablonenhafte!!, charakterlosen Ein-
familienhüuscheu sehr an Reiz, sodnß Reisende, die die deutschen Gaue kennen
mit ihrem unerschöpflichen Reichtum um Farben und Formen, mit ihren freund¬
lichen Dörfern und ihren anmutigen, verschiedenartigen Landhäusern, gewöhnlich
von der vielgepriesenen englischen Landschaft enttäuscht sind.

Die Räume in diesen Duodezhäuschen sind niedrig, eng und durch keine
Thüren miteinander verbunden. Ich hatte Gelegenheit, mir in Jlford eine solche
Villeukolouie genauer anzusehen, wo ein Londoner Freund, ein Bibliothekar,
el" Häuschen für achthundert Schillinge gemietet hatte. Er wollte sich mit
einer Deutschen verheiraten und glaubte, sich ein kleines Himmelreich in so
einem Kästchen einzurichten. Mein Bedenken schien ihm aus der Luft gegriffen,
daß sich ein deutsches Mädchen in diesen etwa drei Meter breiten und drei
Meter langen Futteralen uicht wohl fühlen würde; lieber würde sie in einer
Mietkaserne wohnen, aber größere Räume müsse sie haben, ein echter deutscher
Trinkschrank allein fülle schon solch ein Kmnmerchen aus. Er holte sich sein
junges Weib über den Kanal, und die erste Nachricht, die ich von ihm erhielt,
war, daß sie sich sogleich eine andre Wohnung gesucht hätte".

Nachdem wir eine Strecke von etwa zwanzig Kilometern gefahren sind,
nimmt die Landschaft einen freundlichern Charakter an; wir kreuze" ver-
schiedne .Kanäle und Flüßche", an deren Ufern helle Weidenbüsche und dunkle
Erleustrüucher durcheinander stehn. Das zum Baugrund bestimmte Ödlaud
verschwindet, und saftige grüne Wiesen dehnen sich rechts und links in leicht
gewellten Flächen ans, hier und da im Hintergründe durch die Baumgruppen
eines Parks begrenzt. Es ist für das Auge eine wahre Wohlthat, aus diese"
gleichmäßig gefärbten Grasflächen zuweilen eine breitschattige Ulme emporragen
zu sehe" oder eine alte polypenarmige Eiche, vielleicht den letzten Zeugen ein¬
stiger Bewaldung. Bei dem Städtchen Slough, wo der große Hannoveraner
Wilhelm Herschel und sein Sohn John von ihrem Observatorium aus die
Doppelsterne und Nebelflecken erforschten, atmen wir schon ganz die reine,
klare, leichte Landluft, die herüberweht von dem durch Graph Elegie berühmt
gewordne Stvke Poge. Hier in dieser anmutige" Landschaft sollte das Natur¬
gefühl, das im vorigen Jahrhundert durch Thomsons Jahreszeiten geweckt
worden war, in Gruss Dichtungen den ersten volle" Ausdruck finden:

Südlich vou der Bahn zieht sich an der Themse entlang der Home Park bei
dein Dörfchen Datchet mit der ans den Luftiger Weibern von Windsor be


Line Pilgerfahrt nach Ktratford am Avon

Verpachtung nicht einverstanden ist. Dieser unnatürliche Zustand ist für eine
freie Entwicklung der Privatarchitektur in England geradezu verhängnisvoll.
Aber auch die englische Landschaft mit ihren auf die Dauer schou einförmig
wirkenden Wiesenflücheu verliert durch die schablonenhafte!!, charakterlosen Ein-
familienhüuscheu sehr an Reiz, sodnß Reisende, die die deutschen Gaue kennen
mit ihrem unerschöpflichen Reichtum um Farben und Formen, mit ihren freund¬
lichen Dörfern und ihren anmutigen, verschiedenartigen Landhäusern, gewöhnlich
von der vielgepriesenen englischen Landschaft enttäuscht sind.

Die Räume in diesen Duodezhäuschen sind niedrig, eng und durch keine
Thüren miteinander verbunden. Ich hatte Gelegenheit, mir in Jlford eine solche
Villeukolouie genauer anzusehen, wo ein Londoner Freund, ein Bibliothekar,
el» Häuschen für achthundert Schillinge gemietet hatte. Er wollte sich mit
einer Deutschen verheiraten und glaubte, sich ein kleines Himmelreich in so
einem Kästchen einzurichten. Mein Bedenken schien ihm aus der Luft gegriffen,
daß sich ein deutsches Mädchen in diesen etwa drei Meter breiten und drei
Meter langen Futteralen uicht wohl fühlen würde; lieber würde sie in einer
Mietkaserne wohnen, aber größere Räume müsse sie haben, ein echter deutscher
Trinkschrank allein fülle schon solch ein Kmnmerchen aus. Er holte sich sein
junges Weib über den Kanal, und die erste Nachricht, die ich von ihm erhielt,
war, daß sie sich sogleich eine andre Wohnung gesucht hätte».

Nachdem wir eine Strecke von etwa zwanzig Kilometern gefahren sind,
nimmt die Landschaft einen freundlichern Charakter an; wir kreuze» ver-
schiedne .Kanäle und Flüßche», an deren Ufern helle Weidenbüsche und dunkle
Erleustrüucher durcheinander stehn. Das zum Baugrund bestimmte Ödlaud
verschwindet, und saftige grüne Wiesen dehnen sich rechts und links in leicht
gewellten Flächen ans, hier und da im Hintergründe durch die Baumgruppen
eines Parks begrenzt. Es ist für das Auge eine wahre Wohlthat, aus diese»
gleichmäßig gefärbten Grasflächen zuweilen eine breitschattige Ulme emporragen
zu sehe» oder eine alte polypenarmige Eiche, vielleicht den letzten Zeugen ein¬
stiger Bewaldung. Bei dem Städtchen Slough, wo der große Hannoveraner
Wilhelm Herschel und sein Sohn John von ihrem Observatorium aus die
Doppelsterne und Nebelflecken erforschten, atmen wir schon ganz die reine,
klare, leichte Landluft, die herüberweht von dem durch Graph Elegie berühmt
gewordne Stvke Poge. Hier in dieser anmutige» Landschaft sollte das Natur¬
gefühl, das im vorigen Jahrhundert durch Thomsons Jahreszeiten geweckt
worden war, in Gruss Dichtungen den ersten volle» Ausdruck finden:

Südlich vou der Bahn zieht sich an der Themse entlang der Home Park bei
dein Dörfchen Datchet mit der ans den Luftiger Weibern von Windsor be


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[0034] Line Pilgerfahrt nach Ktratford am Avon Verpachtung nicht einverstanden ist. Dieser unnatürliche Zustand ist für eine freie Entwicklung der Privatarchitektur in England geradezu verhängnisvoll. Aber auch die englische Landschaft mit ihren auf die Dauer schou einförmig wirkenden Wiesenflücheu verliert durch die schablonenhafte!!, charakterlosen Ein- familienhüuscheu sehr an Reiz, sodnß Reisende, die die deutschen Gaue kennen mit ihrem unerschöpflichen Reichtum um Farben und Formen, mit ihren freund¬ lichen Dörfern und ihren anmutigen, verschiedenartigen Landhäusern, gewöhnlich von der vielgepriesenen englischen Landschaft enttäuscht sind. Die Räume in diesen Duodezhäuschen sind niedrig, eng und durch keine Thüren miteinander verbunden. Ich hatte Gelegenheit, mir in Jlford eine solche Villeukolouie genauer anzusehen, wo ein Londoner Freund, ein Bibliothekar, el» Häuschen für achthundert Schillinge gemietet hatte. Er wollte sich mit einer Deutschen verheiraten und glaubte, sich ein kleines Himmelreich in so einem Kästchen einzurichten. Mein Bedenken schien ihm aus der Luft gegriffen, daß sich ein deutsches Mädchen in diesen etwa drei Meter breiten und drei Meter langen Futteralen uicht wohl fühlen würde; lieber würde sie in einer Mietkaserne wohnen, aber größere Räume müsse sie haben, ein echter deutscher Trinkschrank allein fülle schon solch ein Kmnmerchen aus. Er holte sich sein junges Weib über den Kanal, und die erste Nachricht, die ich von ihm erhielt, war, daß sie sich sogleich eine andre Wohnung gesucht hätte». Nachdem wir eine Strecke von etwa zwanzig Kilometern gefahren sind, nimmt die Landschaft einen freundlichern Charakter an; wir kreuze» ver- schiedne .Kanäle und Flüßche», an deren Ufern helle Weidenbüsche und dunkle Erleustrüucher durcheinander stehn. Das zum Baugrund bestimmte Ödlaud verschwindet, und saftige grüne Wiesen dehnen sich rechts und links in leicht gewellten Flächen ans, hier und da im Hintergründe durch die Baumgruppen eines Parks begrenzt. Es ist für das Auge eine wahre Wohlthat, aus diese» gleichmäßig gefärbten Grasflächen zuweilen eine breitschattige Ulme emporragen zu sehe» oder eine alte polypenarmige Eiche, vielleicht den letzten Zeugen ein¬ stiger Bewaldung. Bei dem Städtchen Slough, wo der große Hannoveraner Wilhelm Herschel und sein Sohn John von ihrem Observatorium aus die Doppelsterne und Nebelflecken erforschten, atmen wir schon ganz die reine, klare, leichte Landluft, die herüberweht von dem durch Graph Elegie berühmt gewordne Stvke Poge. Hier in dieser anmutige» Landschaft sollte das Natur¬ gefühl, das im vorigen Jahrhundert durch Thomsons Jahreszeiten geweckt worden war, in Gruss Dichtungen den ersten volle» Ausdruck finden: Südlich vou der Bahn zieht sich an der Themse entlang der Home Park bei dein Dörfchen Datchet mit der ans den Luftiger Weibern von Windsor be

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/34>, abgerufen am 30.06.2024.