Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.die Londoner trotz der Entfernung von etwa hu"deren"dfünfzig Kilometern Wer jemals in London eine ähnliche Hitze durchgemacht hat wie wir un nzboten I 1900
die Londoner trotz der Entfernung von etwa hu»deren»dfünfzig Kilometern Wer jemals in London eine ähnliche Hitze durchgemacht hat wie wir un nzboten I 1900
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0033" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232585"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_74" prev="#ID_73"> die Londoner trotz der Entfernung von etwa hu»deren»dfünfzig Kilometern<lb/> une so große Vorliebe für das idyllische Städtchen gezeigt, daß sich die Ver¬<lb/> waltung der Großen Westbnh» in, vorige» Jahre gezwungen sah, eine große<lb/> Zahl von Souderzügeu nach Stratford am Avon einzustellen. Diese Züge,<lb/> expreß excmi-siens, wurden während der Monate Juli. August und September<lb/> in jeder Woche am Donnerstag von der Paddingtonftation abgelassen, und<lb/> zwar zu den, äußerst geringen Preise von drei Schillingen sechs Pence für die<lb/> Hin- und Rückfahrt.</p><lb/> <p xml:id="ID_75" next="#ID_76"> Wer jemals in London eine ähnliche Hitze durchgemacht hat wie wir un<lb/> vorigen Jahre, wo alle Wiesen der Parks grau und öde, wie versengt, dalagen,<lb/> wo über der Stadt bei andauernder Windstille eine entsetzliche Luft brütete,<lb/> und der ganze widerwärtige Geruch der Großstadt bis in d>e Raume der<lb/> Wohnungen drang, der wird es erklärlich finden, daß diese So»derzuge von<lb/> den Londonern geradezu gestürmt wurden. Keine Eisenbahnluire fuhrt schneller<lb/> ans dein Dunstkreise Londons als die Oreat Röstern schou nach zehn<lb/> Minuten verschwindet der gigantische Steinhaufen. Der Wirrwarr unzähliger<lb/> Schienen. Weichen und Brücken hört auf. die Aussicht wird freier, die ^»se<lb/> leichter, und man kann endlich aufatmen; aber die Bilder rechts und links<lb/> von der Bahn find noch wenig erquickend. Weite Sirecken von Ödland und<lb/> Schuttstntten. bedeckt mit verdorrtem Unkraut und dürftigem Buschwerk.^ziehn<lb/> sich an der Bahn entlang; dann erscheint eine ganze Reihe von neuen Villen¬<lb/> kolonien, an denen der Zug. ohne zu halte», vorbeieilt. Auch diese neuen<lb/> Villenkolonie» in der Nähe Londons gewähren keinen besonders erfreuliche»<lb/> Anblick; sie haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit den Anlagen bei Berlin<lb/> oder andern großen deutschen Städten, wo die Landhäuschen möglichst getrennt<lb/> voneinander liegen und in ihrer ganzen Einrichtung und Bauart, freilich<lb/> aus mit mancher Geschmacklosigkeit, besondre individuelle Züge verraten.<lb/> Wollte man den Charakter des englischen Volks nach den neusten ganz schablonen¬<lb/> haft angelegten Villeukolouieu der Londoner Umgebung beurteilen, so Ware<lb/> mal versucht zu glauben, daß in der jüngsten Zeit dem modernen Engländer<lb/> die Eigenschaft, seine Wohnstätte uach eignem Geschmack und eignen Neigungen<lb/> 5" »estalten, ganz verloren gegangen sei. Der Anblick dieser langen Straßen¬<lb/> züge mit einstöckigen, gleich niedrigen, gleichfarbigen und gleichmäßig gedeckten<lb/> Häuschen, die oft zu zwanzig aneinandergcklebt sind, ist geradezu trostlos<lb/> Zwei Uuistäude mögen diese schablonenhafte Guckkastcnarchitektur veranlaßt<lb/> haben: das berechtigte Streben jeder Familie, ein eignes Häuschen für sich<lb/> allein zu bewohnen/ und andrerseits die ungesunde Verteilung des Grund und<lb/> Bodens vou ganz England unter eine verlMnismäßig kleine Zahl von Gro߬<lb/> grundbesitzern. Diese Besitzer verkaufen nur höchst selten etwas vou ihre»<lb/> Lälldereien als Baustellen; sie verpachten den Grund und Boden auf neun-<lb/> undneunzig Jahre und zwingen so die Bauspekulanten, so wenig wie möglichGeld in die Baute» zu stecken, den» nach neunundneunzig Jahren füllt das<lb/> Grundstück n» die Familie des Besitzers zurück, we»» sie mit der weiter»<lb/> Gre</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> nzboten I 1900</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0033]
die Londoner trotz der Entfernung von etwa hu»deren»dfünfzig Kilometern
une so große Vorliebe für das idyllische Städtchen gezeigt, daß sich die Ver¬
waltung der Großen Westbnh» in, vorige» Jahre gezwungen sah, eine große
Zahl von Souderzügeu nach Stratford am Avon einzustellen. Diese Züge,
expreß excmi-siens, wurden während der Monate Juli. August und September
in jeder Woche am Donnerstag von der Paddingtonftation abgelassen, und
zwar zu den, äußerst geringen Preise von drei Schillingen sechs Pence für die
Hin- und Rückfahrt.
Wer jemals in London eine ähnliche Hitze durchgemacht hat wie wir un
vorigen Jahre, wo alle Wiesen der Parks grau und öde, wie versengt, dalagen,
wo über der Stadt bei andauernder Windstille eine entsetzliche Luft brütete,
und der ganze widerwärtige Geruch der Großstadt bis in d>e Raume der
Wohnungen drang, der wird es erklärlich finden, daß diese So»derzuge von
den Londonern geradezu gestürmt wurden. Keine Eisenbahnluire fuhrt schneller
ans dein Dunstkreise Londons als die Oreat Röstern schou nach zehn
Minuten verschwindet der gigantische Steinhaufen. Der Wirrwarr unzähliger
Schienen. Weichen und Brücken hört auf. die Aussicht wird freier, die ^»se
leichter, und man kann endlich aufatmen; aber die Bilder rechts und links
von der Bahn find noch wenig erquickend. Weite Sirecken von Ödland und
Schuttstntten. bedeckt mit verdorrtem Unkraut und dürftigem Buschwerk.^ziehn
sich an der Bahn entlang; dann erscheint eine ganze Reihe von neuen Villen¬
kolonien, an denen der Zug. ohne zu halte», vorbeieilt. Auch diese neuen
Villenkolonie» in der Nähe Londons gewähren keinen besonders erfreuliche»
Anblick; sie haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit den Anlagen bei Berlin
oder andern großen deutschen Städten, wo die Landhäuschen möglichst getrennt
voneinander liegen und in ihrer ganzen Einrichtung und Bauart, freilich
aus mit mancher Geschmacklosigkeit, besondre individuelle Züge verraten.
Wollte man den Charakter des englischen Volks nach den neusten ganz schablonen¬
haft angelegten Villeukolouieu der Londoner Umgebung beurteilen, so Ware
mal versucht zu glauben, daß in der jüngsten Zeit dem modernen Engländer
die Eigenschaft, seine Wohnstätte uach eignem Geschmack und eignen Neigungen
5" »estalten, ganz verloren gegangen sei. Der Anblick dieser langen Straßen¬
züge mit einstöckigen, gleich niedrigen, gleichfarbigen und gleichmäßig gedeckten
Häuschen, die oft zu zwanzig aneinandergcklebt sind, ist geradezu trostlos
Zwei Uuistäude mögen diese schablonenhafte Guckkastcnarchitektur veranlaßt
haben: das berechtigte Streben jeder Familie, ein eignes Häuschen für sich
allein zu bewohnen/ und andrerseits die ungesunde Verteilung des Grund und
Bodens vou ganz England unter eine verlMnismäßig kleine Zahl von Gro߬
grundbesitzern. Diese Besitzer verkaufen nur höchst selten etwas vou ihre»
Lälldereien als Baustellen; sie verpachten den Grund und Boden auf neun-
undneunzig Jahre und zwingen so die Bauspekulanten, so wenig wie möglichGeld in die Baute» zu stecken, den» nach neunundneunzig Jahren füllt das
Grundstück n» die Familie des Besitzers zurück, we»» sie mit der weiter»
Gre
nzboten I 1900
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