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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Line Pilgerfahrt nach Stratford am Avon

erste Niedergeschlagenheit in Frankreich überwunden war, dachte man schon
wieder daran, auch den Rest des linksrheinischen Deutschlands zu gewinnen.
Von Jahr zu Jahr mehrten sich die Stimmen derer, die die Nheingrenze als
den natürlichen Abschluß forderten. Bei der tiefen politischen Niedergeschlagen¬
heit, die damals in Deutschland herrschte, trat der welschen Begehrlichkeit nur
des Sängers Wort entgegen: "Sie sollen ihn nicht haben, den freien, deutschen
Rhein!", auf das freilich Alfred de Musset nicht ohne Recht anWorten konnte:
Nous l'avons su, votrs Ruin allemauä. Der deutschen Volksauffassung aber
gab Ernst Moritz Arndt den knappsten und beredtesten Ausdruck in dem Titel
seiner berühmten Schrift: Der Rhein Deutschlands Strom, nicht Deutschlands
Grenze.

Nach jahrelangem Zögern ward es Ernst, als die Heere marschierten.
Nach Jahrhunderten ist es uns Deutschem gelungen, das, was die Väter einst
besaßen, wieder zu erwerben. Nicht mehr 1s tnalwsA an R,um, wie es im
Wiener Friedensprotokoll heißt, sondern der waldgekrönte Vogesenkamm, der
unwillkürlich den Gedanken des Grenzsanms erweckt, trennt heilte Deutschland
und Welschland. Daß die deutsche Auffassung von einer Grenze 1871 so
entschieden durchdrang und die römische beiseite geschoben hat, macht uns den
unversöhnlichen Nevanchegedankcn unsrer Nachbarn vielleicht etwas verständlicher,
erklärt uns aber mich, daß das Ringen so gewaltig war, und daß bis auf das
äußerste gekämpft wurde. Denn es trat nicht ein einmaliger Wunsch hervor
und fand Widerspruch, es handelte sich nicht um einen beliebigen Kampfpreis,
der an sich zwar begehrenswert sein mag, aber doch nicht die ganze Seele
füllt, sondern es war der Kampf zweier entgegengesetzter Ideen, die in der
Tiefe beider Volksseelen begründet liegen.


Ernst Schwabe


Eine Pilgerfahrt nach stratford am Avon
von Lrnst Groth

enden Washington Irving in einer seiner anmutigsten Skizzen
ein so freundliches Bild von Stratford, dem Geburtsstüdtchen
Shakespeares, entworfen hat, seitdem der große Dichter in den
letzten Jahrzehnten, weniger durch die englische Bühne als durch
die Literarhistoriker und durch die Schule, auf das geistige
Leben der englisch redenden Völker einen beständig wachsenden Einfluß ge¬
wonnen hat, ist auch sein Geburtsort eine Wallfahrtsstätte für alle gebildeten
Engländer und Amerikaner geworden. Namentlich haben in den letzten Jahren


Line Pilgerfahrt nach Stratford am Avon

erste Niedergeschlagenheit in Frankreich überwunden war, dachte man schon
wieder daran, auch den Rest des linksrheinischen Deutschlands zu gewinnen.
Von Jahr zu Jahr mehrten sich die Stimmen derer, die die Nheingrenze als
den natürlichen Abschluß forderten. Bei der tiefen politischen Niedergeschlagen¬
heit, die damals in Deutschland herrschte, trat der welschen Begehrlichkeit nur
des Sängers Wort entgegen: „Sie sollen ihn nicht haben, den freien, deutschen
Rhein!", auf das freilich Alfred de Musset nicht ohne Recht anWorten konnte:
Nous l'avons su, votrs Ruin allemauä. Der deutschen Volksauffassung aber
gab Ernst Moritz Arndt den knappsten und beredtesten Ausdruck in dem Titel
seiner berühmten Schrift: Der Rhein Deutschlands Strom, nicht Deutschlands
Grenze.

Nach jahrelangem Zögern ward es Ernst, als die Heere marschierten.
Nach Jahrhunderten ist es uns Deutschem gelungen, das, was die Väter einst
besaßen, wieder zu erwerben. Nicht mehr 1s tnalwsA an R,um, wie es im
Wiener Friedensprotokoll heißt, sondern der waldgekrönte Vogesenkamm, der
unwillkürlich den Gedanken des Grenzsanms erweckt, trennt heilte Deutschland
und Welschland. Daß die deutsche Auffassung von einer Grenze 1871 so
entschieden durchdrang und die römische beiseite geschoben hat, macht uns den
unversöhnlichen Nevanchegedankcn unsrer Nachbarn vielleicht etwas verständlicher,
erklärt uns aber mich, daß das Ringen so gewaltig war, und daß bis auf das
äußerste gekämpft wurde. Denn es trat nicht ein einmaliger Wunsch hervor
und fand Widerspruch, es handelte sich nicht um einen beliebigen Kampfpreis,
der an sich zwar begehrenswert sein mag, aber doch nicht die ganze Seele
füllt, sondern es war der Kampf zweier entgegengesetzter Ideen, die in der
Tiefe beider Volksseelen begründet liegen.


Ernst Schwabe


Eine Pilgerfahrt nach stratford am Avon
von Lrnst Groth

enden Washington Irving in einer seiner anmutigsten Skizzen
ein so freundliches Bild von Stratford, dem Geburtsstüdtchen
Shakespeares, entworfen hat, seitdem der große Dichter in den
letzten Jahrzehnten, weniger durch die englische Bühne als durch
die Literarhistoriker und durch die Schule, auf das geistige
Leben der englisch redenden Völker einen beständig wachsenden Einfluß ge¬
wonnen hat, ist auch sein Geburtsort eine Wallfahrtsstätte für alle gebildeten
Engländer und Amerikaner geworden. Namentlich haben in den letzten Jahren


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[0032] Line Pilgerfahrt nach Stratford am Avon erste Niedergeschlagenheit in Frankreich überwunden war, dachte man schon wieder daran, auch den Rest des linksrheinischen Deutschlands zu gewinnen. Von Jahr zu Jahr mehrten sich die Stimmen derer, die die Nheingrenze als den natürlichen Abschluß forderten. Bei der tiefen politischen Niedergeschlagen¬ heit, die damals in Deutschland herrschte, trat der welschen Begehrlichkeit nur des Sängers Wort entgegen: „Sie sollen ihn nicht haben, den freien, deutschen Rhein!", auf das freilich Alfred de Musset nicht ohne Recht anWorten konnte: Nous l'avons su, votrs Ruin allemauä. Der deutschen Volksauffassung aber gab Ernst Moritz Arndt den knappsten und beredtesten Ausdruck in dem Titel seiner berühmten Schrift: Der Rhein Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze. Nach jahrelangem Zögern ward es Ernst, als die Heere marschierten. Nach Jahrhunderten ist es uns Deutschem gelungen, das, was die Väter einst besaßen, wieder zu erwerben. Nicht mehr 1s tnalwsA an R,um, wie es im Wiener Friedensprotokoll heißt, sondern der waldgekrönte Vogesenkamm, der unwillkürlich den Gedanken des Grenzsanms erweckt, trennt heilte Deutschland und Welschland. Daß die deutsche Auffassung von einer Grenze 1871 so entschieden durchdrang und die römische beiseite geschoben hat, macht uns den unversöhnlichen Nevanchegedankcn unsrer Nachbarn vielleicht etwas verständlicher, erklärt uns aber mich, daß das Ringen so gewaltig war, und daß bis auf das äußerste gekämpft wurde. Denn es trat nicht ein einmaliger Wunsch hervor und fand Widerspruch, es handelte sich nicht um einen beliebigen Kampfpreis, der an sich zwar begehrenswert sein mag, aber doch nicht die ganze Seele füllt, sondern es war der Kampf zweier entgegengesetzter Ideen, die in der Tiefe beider Volksseelen begründet liegen. Ernst Schwabe Eine Pilgerfahrt nach stratford am Avon von Lrnst Groth enden Washington Irving in einer seiner anmutigsten Skizzen ein so freundliches Bild von Stratford, dem Geburtsstüdtchen Shakespeares, entworfen hat, seitdem der große Dichter in den letzten Jahrzehnten, weniger durch die englische Bühne als durch die Literarhistoriker und durch die Schule, auf das geistige Leben der englisch redenden Völker einen beständig wachsenden Einfluß ge¬ wonnen hat, ist auch sein Geburtsort eine Wallfahrtsstätte für alle gebildeten Engländer und Amerikaner geworden. Namentlich haben in den letzten Jahren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/32>, abgerufen am 30.06.2024.